An Diversität führt (k)ein Weg vorbei
Fast jede Branche beklagt den anhaltenden Fachkräfte- bzw. Personalmangel. Wir haben bereits an anderer Stelle vorgerechnet, dass insbesondere Banken und Versicherungen bis 2030 allein über 30 % ihrer Mitarbeitenden aufgrund von Verrentungen verlieren werden.[1] Aber auch heute schon berichten nahezu alle Häuser von langen Vakanzzeiten, rückläufigen Bewerbungszahlen und der stark zunehmenden Schwierigkeit, die erforderliche Personalausstattung sicherzustellen, um umfänglich arbeitsfähig zu bleiben. Die Probleme, die sich heute bereits zeigen, sind indes nur ein Vorgeschmack auf das, was in den kommenden Jahren folgen wird.
Aus diesem Grund sind Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche beinahe gezwungen, das gesamte Potenzial am Arbeitsmarkt auszuschöpfen, um die bestehenden und entstehenden Bedarfe decken zu können. Mit anderen Worten ausgedrückt: Banken und Versicherungen müssen für alle Menschen gleichermaßen attraktive Arbeitgeber sein und können es sich nicht mehr erlauben, ganze Gruppen auszublenden oder gar auszuschließen.
Hinzu kommt, dass die Relevanz erfolgreicher Mitarbeiterbindung immer weiter zunimmt – gute Mitarbeitende haben nahezu freie Auswahl am Arbeitsmarkt. Häufig wird die Vergütung in diesen Zeiten zum reinen Hygienefaktor. Vielmehr kommt es darauf an, ein Gesamtpaket mit einem attraktiven Arbeitsumfeld zu bieten. Dazu zählen nicht nur persönliche Entwicklungsmöglichkeiten, sondern auch die Gestaltung einer beruflichen Heimat zum Verweilen, in der Kultur und Atmosphäre den Erwartungen aller Mitarbeitenden gerecht werden.
Auch die Kund:innen entwickeln ein zunehmendes Bewusstsein für Diversität. So zeigt eine Studie aus dem Jahr 2023, dass einem Großteil der Befragten wichtig ist, dass Unternehmen Diversität und Inklusion fördern. Ein Drittel wäre sogar bereit, Unternehmen zu meiden, die dies in ihren Augen nur unzureichend tun.[2] Solche Faktoren, welche die Kaufentscheidung maßgeblich beeinflussen, sollten nicht außer Acht gelassen werden. Das gilt insbesondere in Zeiten, in denen vor allem Regionalbanken vor der Frage stehen, wie junge Kund:innen gewonnen und nachhaltig gebunden werden können. Sie befinden sich hierbei zusätzlich in einem weiteren Spannungsfeld. Ein zentraler Faktor für die Differenzierung vom Wettbewerb liegt in der Übernahme regionaler und gesellschaftlicher Verantwortung, z. B. durch Sponsoringaktivitäten. Es stellt sich jedoch die Frage, wie glaubwürdig solche Aktivitäten sind, wenn die betreffenden Institute den gesellschaftlichen Entwicklungen nicht auch in ihren internen Strukturen Rechnung tragen.
Dies alles wäre schon Anlass genug, dem Thema Diversität eine größere Bedeutung beizumessen. Der Gesetzgeber legt mit immer strengeren Anforderungen im Kontext von Nachhaltigkeit (ESG) allerdings noch eine Schippe darauf. Mit der Einführung der CSRD, der neuen EU-Richtlinie zur Unternehmens-Nachhaltigkeitsberichterstattung, und der daraus resultierenden Berichtspflicht sind Unternehmen verpflichtet, auch ihre Aktivitäten und ihre Aufstellung im Kontext von Diversität offenzulegen.
Unabhängig davon feierte in diesem Jahr das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) seinen 18. Geburtstag. Es verbietet u. a. Diskriminierungen am Arbeitsplatz und nimmt Unternehmen in die Pflicht. Insbesondere aufgrund der herrschenden Beweislastumkehr im konkreten Verdachtsfall wäre es für Unternehmen vorteilhaft, möglichst alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um Diskriminierungen wirksam entgegenzutreten. In der Praxis zeigt sich jedoch häufig, dass sie allein schon der in § 12 Abs. 2 AGG verankerten Unterweisungspflicht nicht oder nur rudimentär nachkommen.
Es ist davon auszugehen, dass die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vereinbarte Novellierung des AGG, die zum aktuellen Zeitpunkt noch aussteht, weitere Anforderungen formulieren wird, um im Diskriminierungsschutz herrschende Lücken zu schließen.
All diese Punkte dürften als Anlass ausreichen, um sich ernsthaft mit Diversität im eigenen Unternehmen auseinanderzusetzen. Um den Status quo zu bewerten, kann beispielsweise eine Studie der Allbright Stiftung aus dem Jahr 2023 herangezogen werden. Diese zeigt, dass der Anteil von Frauen in Vorstandspositionen in börsennotierten Unternehmen in Deutschland in den letzten Jahren zwar gewachsen ist. Dennoch sind nach wie vor 82,6% der Vorstandspositionen von Männern besetzt. Es ist davon auszugehen, dass eine dezidierte Analyse von Regionalbanken ein vergleichbares Bild zeichnen würde.
Darüber hinaus würde es bei der aktuellen Geschwindigkeit noch über 200 Jahre bis zur Erreichung einer Geschlechterparität dauern.[3] Es stellt sich gar nicht erst die Frage danach, wie es in diesem Zusammenhang mit diversen Vorständen aussieht. Dabei umfasst Diversität weitaus mehr als die Gleichstellung von Mann und Frau. Wenn jedoch eines deutlich wird, ist es, dass Banken und Versicherungen es sich nicht mehr leisten können, die Augen vor Diversität zu verschließen. Das Zusammenspiel von Arbeitsmarktlage, Anforderungen von Mitarbeitenden und Kund:innen sowie regulatorische Anforderungen machen eine aktive Förderung von Diversität zur wirtschaftlichen Notwendigkeit.
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Diversität ist mehr als Frauenförderung und bunte Logos
Wenn Diversität mehr als die Förderung der Gleichstellung von Mann und Frau ist, stellt sich die Frage, was Diversität darüber hinaus umfasst. Die Charta der Vielfalt, eine Initiative zur Förderung eines wertschätzenden und vorurteilsfreien Arbeitsumfelds, definiert ausgehend von der Persönlichkeit eines jeden Individuums sieben Kerndimensionen von Diversität (siehe Abbildung).[4]
Auch wenn vor dem Hintergrund des generationalen Wandels die Dimension des Alters eine zunehmende Beachtung in Unternehmen der Finanzdienstleistung erfährt, so zeigen sich hinsichtlich der weiteren Dimensionen noch eklatante Leerstellen.
Eine gesteuerte und zielgerichtete Förderung von Diversität wird in diesem Zusammenhang häufig als „Diversity-Management“ bezeichnet. Der Begriff zielt auf eine ganzheitliche Betrachtung ab. Dabei sind alle strategischen und operativen Aktivitäten von Unternehmen umfasst, mit denen ein Arbeitsumfeld geschaffen werden soll, in dem eine tatsächliche Teilhabe und Inklusion aller Mitarbeitenden erreicht wird.
Dies setzt voraus, die Unternehmenskultur in den Blick zu nehmen, sämtliche interne und externe Prozesse auf den Prüfstand zu stellen sowie insbesondere in der Personalarbeit die Individualität der Mitarbeitenden zu sehen und wertzuschätzen. Eine ernsthafte Förderung von Diversität ist also mit nicht zu vernachlässigendem Aufwand verbunden.
Reine Lippenbekenntnisse und „Pinkwashing“ richten hingegen einen größeren Schaden an, als dass sie nutzen. Im schlimmsten Fall führen sie zu einem signifikanten Verlust von Glaubwürdigkeit und Authentizität. Dies kann sich nicht nur als Nachteil im Kampf um Talente manifestieren, sondern auch zu einem Bindungs- und Vertrauensverlust in der bestehenden Belegschaft führen.
Die Förderung von Diversität ist mehr Marathon als Sprint
Es könnte der Eindruck entstehen, dass Unternehmen all diese Herausforderungen meistern können, indem sie dezidierte Kapazitäten für ein Diversity-Management abstellen, die sich um die anfallenden Themen kümmern sollen. Ein solch isoliertes Vorgehen hat sich in der Praxis jedoch als wenig zielführend herausgestellt.
Die Förderung von Diversität muss in ihrer strategischen Relevanz anerkannt und in der Unternehmensstrategie oder gar einer eigens gestalteten Diversity-Strategie verankert werden. Dies ist der erste Schritt, um die erforderliche Aufmerksamkeit von Vorstandsmitgliedern und Führungskräften auf das Thema zu lenken. Ferner gilt es, konkrete Ziele zu formulieren, eine Bestandsaufnahme durchzuführen und ausgehend davon Maßnahmen abzuleiten, die zur Zielerreichung beitragen. Die Implementierung entsprechender Kennzahlen und deren regelmäßige Analyse können dazu dienen, einen anhaltenden Blick auf die Fortschritte zu werfen.
Im Kern muss es darum gehen, die gesamte Organisation über alle Ebenen zu sensibilisieren und zu befähigen, um nachhaltige Veränderungen herbeizuführen. Die Verantwortung für den Erfolg oder Nichterfolg der Aktivitäten muss dabei auf oberster Ebene verankert sein. Weitere Erfolgsfaktoren liegen in einer ganzheitlichen Vorgehensweise, einer ernsthaften Bereitschaft, das Thema anzugehen, sowie in einer grundsätzlichen Offenheit. Diese umfasst auch die Reflexion der eigenen verinnerlichten Vorurteile und Stereotype.
Wenngleich die Förderung von Diversität in hohem Maße komplex erscheint, so gibt es in vielen Fragen kein „Richtig“ oder „Falsch“. Vielmehr geht es darum, in dem Bewusstsein zu agieren, dass eine umfassende Förderung von Diversität ein langer Weg ist, auf dem Fehler passieren können. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden auf diesem auch Fehler passieren. Nichtsdestotrotz empfiehlt es sich, einfach zu starten und in Zusammenarbeit mit der gesamten Organisation den Weg gemeinsam zu gestalten.