Einlagenwettbewerb – Neu bewerten statt kopieren

Das Einlagenvolumen im deutschen Privatkundengeschäft hat sich in den vergangenen fünf Jahren um etwa 259 auf rund 1,666 Milliarden Euro erhöht. Wesentlicher Treiber für diesen Anstieg waren unter anderem die nach wie vor hohe Sparquote sowie der Wunsch nach sicheren Anlageformen infolge der Finanzmarktkrise.

Aufgrund des demografischen Wandels werden sich Einlagenzuwächse tendenziell auf immer weniger und ältere Kunden verteilen. Gleichzeitig ist die Sparquote bei Geringverdienern in den vergangenen Jahren zurückgegangen oder deren Verschuldung angestiegen. Sie liegt im Durchschnitt über alle Kunden bei rund 11 Prozent des Einkommens. Auch im Geschäft mit Unternehmen haben sich Einlagen positiv entwickelt und erreichten Ende 2011 etwa 1,132 Milliarden Euro – eine fast doppelt so hohe Summe wie im Jahr 2002.

Die Digitalisierung hat zudem zu einer hohen Standardisierung und Transparenz über Produktfeatures und Konditionen geführt. Die Macht bei Konditionsverhandlungen wurde immer mehr vom Anbieter hin zum Kunden verschoben. Vor allem das kurzfristige Einlagengeschäft wurde zur „Commodity“. Zudem laufen die klassischen Filialbanken Gefahr, die Hoheit über den primären (Kunden-)Kontaktpunkt – eben die Filiale – an Direktkanäle wie Computer oder Smartphones über den gesamten Verkaufsprozess zu verlieren.

Das gegenwärtige Niedrigzinsniveau und die relativ flache Zinsstrukturkurve lassen die Kunden wiederum nach kurzfristigeren Vertragsformen Ausschau halten. Hier ist jedoch die Abwanderungsgefahr besonders hoch. Zinsstruktur und regulatorisch bedingter Rückgang von Fristentransformationserträgen belasten die Rentabilität von Genossenschaftsbanken besonders, da allein der Strukturbeitrag (inklusive Fristentransformation und Eigenkapitalverzinsung) in 2011 bei rund 15 Prozent des Gesamtertrags lag.

Im aktuellen Wettbewerbsumfeld rund um Einlagen ist eine stärkere Rückbesinnung großer Institute – beispielsweise der Deutschen Bank – auf das Retail und Commercial Banking zu konstatieren. Vor allem Autobanken suchen Alternativen zum oftmals teureren Kapitalmarktzugang der Mutterkonzerne. Ausländische Geschäfts- und Direktbanken wie Royal Bank of Scotland, Santander oder jüngstens die Rabobank drängen auf den deutschen Einlagenmarkt und erhoffen sich hier günstigere Funding-Strukturen im Gegensatz zu ihren Heimatmärkten.

Das regulatorische Umfeld ist auch eher ungünstig für genossenschaftliche Institute. Die von der EU beabsichtigten Änderungen bei der Einlagensicherung würden einerseits den Wettbewerbsvorteil insbesondere der beiden großen Finanzgruppen – Sparkassen und Genossenschaftsbanken – kleiner werden lassen.

Andererseits werden vermutlich Auslandsbanken in Deutschland davon profitieren. Weiter forciert wird der Wettbewerb im Einlagengeschäft durch die neuen Liquiditätsanforderungen unter Basel III. Neben der geringen Anrechnung in der LCR, die mögliche Abflussszenarien der Refinanzierung bewertet, werden die Kundeneinlagen als stabile Refinanzierung in der NSFR hoch angerechnet.

„Eine Neubewertung der Einlagenbewirtschaftung ist vor dem Hintergrund der aufsichtsrechtlichen Änderungen und des verstärkten Wettbewerbs zwingend notwendig.“
Prof. Dr. Bernd Rolfes

Margen sind gesunken

Folge dieser Veränderungen: ein steigender Wettbewerbsdruck insbesondere für die traditionell einlagenstarken Bankengruppen wie Genossenschaftsbanken. Bereits heute hat der Wettbewerb dafür gesorgt, dass in vielen Genossenschaftsbanken die Margen bei Einlagen – je nach Mischungsverhältnissen – gesunken sind. Aktuell liegen sie im Privatkundengeschäft bei etwa 0,95 Prozent und im Firmenkundengeschäft bei rund 1,32 Prozent. Mit einer weiteren Angleichung zwischen Online und Offline-Einlagenkondition nach unten ist angesichts der fortschreitenden Digitalisierung zu rechnen.
Der Marktanteil der Genossenschaftsbanken im Retaileinlagengeschäft hat sich in den vergangenen fünf Jahren nur geringfügig verändert und liegt bei 24,0 Prozent. Im Vergleich zu den deutlichen Verlusten der Sparkassen von minus 7 Prozent (auf 35,8 Prozent) ist dies durchaus eine positive Entwicklung. Gewinner dieser Entwicklung waren insbesondere Autobanken, Direktbanken und Privatbanken, die ihre Marktanteile im selben Zeitraum um knapp ein Fünftel auf einen Marktanteil von 17 Prozent erhöht haben.
Während im Firmenkundengeschäft die Marktanteile von Genossenschaftsbanken in den Jahren 2007 bis 2011 von knapp 11 auf unter 10 Prozent sanken, konnten die Sparkassen hier auf 13,2 Prozent zulegen. Landesbanken als langfristige Marktführer wurden in 2012 von Großbanken abgelöst und erreichten jeweils etwa 22 Prozent.
Der Grund für die stabile Marktanteilsentwicklung der Genossenschaftsbanken liegt dabei nicht unbedingt an den überproportional wachsenden Sparda- und PSD-Banken, die mit eher direktbankähnlichen Geschäftsmodellen im Markt agieren. Beide Bankengruppen zusammen halten nur rund 4,1 Prozent am deutschen Einlagenmarkt mit leicht sinkender Tendenz in den vergangenen Jahren.
Die Ursachen könnten auch in einer teilweise innovativeren und aggressiveren Produkt- und Preispolitik von Genossenschaftsbanken liegen. Einige Institute setzen schon seit Jahren das so genannte Value-Pricing-Konzept ein. Darüber hinaus ist in genossenschaftlichen Banken häufig eine gezieltere Sonderkonditionsvergabe differenziert nach preissensitiven Kunden zu erkennen. Letztlich unterscheiden sich Genossenschaftsbanken vom Rest der Wettbewerber durch das genossenschaftliche Grundprinzip der Mitgliederförderung. Die Steigerung der Anzahl auf aktuell über 17 Millionen Mitglieder könnte ein Indiz für einen wesentlichen Erfolgsfaktor auch für das Einlagengeschäft darstellen.
Durch den höheren Wettbewerbsdruck im Einlagengeschäft besteht jedoch die Gefahr, dass das traditionelle Geschäftsmodell vieler Genossenschaftsbanken ins Wanken gerät. Regionale Verankerung durch ein dichtes Filialnetz mit enger Betreuung durch qualifizierte Mitarbeiter hat seinen Preis, den Kunden und Mitglieder auch in Zukunft zu zahlen bereit sein müssen. Wenn im klassischen Einlagengeschäft die Margenverengung und Volumenverluste möglicherweise zunehmen und im Treasury geringere Zinsüberschüsse zu erwarten sind, werden sicher auch – unter sonst gleichen Umständen – die Kosten der Leistungserstellung als regional verankerter Qualitätsanbieter auf den Prüfstand kommen. Fusionen, Filialschließungen und Abbau von Personal wären womöglich die Folgen. Wie können Genossenschaftsbanken auf diese Entwicklungen reagieren?

Erfolgsfaktoren erkennbar

Kreditinstitute bewirtschaften Kundeneinlagen höchst unterschiedlich. Hier sind nicht nur Unterschiede zwischen Großbanken, sondern auch zwischen den Instituten der FinanzGruppen zu erkennen. Sowohl in Steuerungsfragen (etwa hinsichtlich des Planungsprozesses, der Bodensatzannahmen etc.) als auch in den vertrieblichen und anreizsystematischen Fragen (beispielsweise hinsichtlich des Produkt- und Preismanagements) sind deutliche Differenzen und damit Erfolgsfaktoren erkennbar.
Die Vertriebssteuerung leitet sich dabei aus der Kunden- und Marktsicht einer Bank ab. Durch den „Verfall der Mittelschicht“ kommt der Betreuung von anspruchsvollen und häufig preissensibleren Kunden ab einem Vermögen von über 100.000 Euro im Rahmen eines ganzheitlichen Konzepts eine besondere Bedeutung zu. Segmentspezifische Betreuungskonzepte müssen etabliert werden, damit nicht der Preis, sondern die Lösung den Unterschied für den Kunden ausmacht. Ein Schlüssel hierfür sind die Berater, die dieses Konzept leben und sich gegenüber Kundeneinwänden qualifiziert und selbstbewusst positionieren sollten.
Weiterhin verspricht ein innovatives Produktmanagement in Genossenschaftsbanken Erfolg. Durch den Ausbau des variablen Einlagengeschäfts können perspektivisch private oder gewerbliche Termingelder zurückgeführt werden. Fälligkeiten in den Folgejahren und hiermit verbundene Konditionsdiskussionen werden dadurch reduziert.
Um darüber hinaus im Einlagengeschäft zu reüssieren, sind Innovationen in allen Dimensionen des Marketings – insbesondere im Produkt-Preismix als auch im Kanalmix – erforderlich. Hier sind bereits einige interessante Beispiele in der Praxis vorzufinden:

  • automatische Einlagengenerierung (etwa zum vollen Euro-Betrag) bei Bezahlung mittels Kredit- oder Geldkarte,
  • 1-Klick-Sparen beim Impulskauf von Konsumgütern oder beim Einsatz von Apps am PoS im Zuge des Bezahlvorgangs,
  • Online-Auktion für größere
  • Anlagebeträge zur Gewinnung preissensitiver Kunden mit Direktabschlussmöglichkeit,
  • Kombination von Zins- und Provisionsprodukten (zum Beispiel mit Nachhaltigkeitsfonds).

Erklärtes Ziel hierbei: Einlagen mit Emotionalität aufladen, um Kunden zu „Fans“ zu machen. Dadurch wird insbesondere auch die Vergleichbarkeit mit anderen Anbietern reduziert.

Erfolgsfaktoren des Einlagengeschäfts

  • Etablierung segmentspezifischer Betreuungskonzepte (vor allem für vermögende Privatkunden)
  • innovatives Produktmanagement (im variablen Einlagengeschäft)
  • innovatives Marketing (insbesondere im Produkt-Preis-Mix und im Kanalmix)
  • intelligentes Pricing
  • Professionalisierung des Sonderkonditionsmanagements
  • Herstellung der Transparenz der Erfolgsquellen des Zinsergebnisses
  • Professionalisierung der Kalkulation und der Disposition
  • Integration der Margenkalkulation in ein ertragsorientiertes Vertriebscontrolling

Getrieben durch die Digitalisierung können diese Einlageninnovationen mit neuen  Kommunikationswegen – Stichwort Social Media – bei der Bedarfsweckung und Informationsaufnahme erschlossen werden. Die so genannten „ROPO-Kunden“ (research online, purchase offline) können nicht mehr nur in der Filiale angesprochen werden. Einfache Cashprodukte sollten Multikanalkunden in Zukunft ohne preisliche Unterschiede sowohl offline als auch online abschließen können. Das Projekt „webErfolg“ der genossenschaftlichen Finanz-Gruppe schafft gerade die Voraussetzungen dafür.
Durch die Kombination der Mitgliedschaft mit Einlagenprodukten, beispielsweise mithilfe von Bonusprogrammen im Zuge der Reduktion der Basisdividende, kann ein nicht kopierbarer Wettbewerbsvorteil der Genossenschaftsbanken gegenüber Wettbewerbern entstehen. Einige Volksbanken und Raiffeisenbanken konnten etwa parallel zur Einführung eines Mitgliederbonusprogramms auch die Einlagenvolumina in den vergangenen Jahren deutlich erhöhen.
Im Rahmen einer intelligenten Preissetzung muss die Bank zudem mehr über das „Kaufverhalten“ der Kunden erfahren. Hier steht letztlich die Preis-Absatz-Funktion im festverzinslichen und variabel verzinslichen Einlagengeschäft im Fokus. Allgemein lässt sich in Festzinseinlagen durchaus eine Korrelation von Marge und Volumen erkennen: je höher die Marge, desto geringer das Volumen. Anders sieht dies bei variablen Einlagen im Privatkundengeschäft aus. Eine Korrelation zwischen Kundenzins und Volumina pro Kunde ist hier nicht wahrnehmbar.
Fazit für die Genossenschaftsbanken: Die Trägheit der Kunden ist im variabel verzinslichen Einlagengeschäft für positive Ertragseffekte natürlich unter Beachtung der Kundeninteressen nutzbar.

Damit einhergehend muss gerade im Einlagengeschäft – insbesondere bei höheren Volumina – das Sonderkonditionsmanagement professionalisiert werden. Hierzu gehört die Formulierung eines verbindlichen Regelwerks, um die Vergabe von Sonderkonditionen stärker an der Attraktivität für den Kunden auszurichten. Antrags- und Bewilligungsprozesse, Befristungen sowie sonstige Vereinbarungen müssen technisch unterstützt werden. Ein Spiegelbild des Führungsprozesses oder letztlich der Preisverhandlungskompetenz ist der Mitarbeiter.

Der scheinbare Zielkonflikt von Bruttoertrag und Volumen kann durch ein effektives Zielsystem aufgelöst werden, da der Mitarbeiter in eine unternehmerische Rolle versetzt wird.

Steuerung im Fokus

Neben der Vertriebssteuerung ist die Gesamtbanksteuerung das zweite große Handlungsfeld, das wesentlich die Interessen der Bank und des Managements im Einlagengeschäft widerspiegelt.

Grundlage jeder Auseinandersetzung mit dem Thema Einlagen ist die Definition oder Konkretisierung einer Zielbilanzstruktur und einer damit verbundenen dynamischen Ergebnissimulation, einhergehend mit einer integrierten Ertrags- und Risikoplanung. Die Erfolgsquellen des Zinsergebnisses einer Genossenschaftsbank sollten transparent gemacht werden.

Ein weiterer Erfolgsfaktor bei der Bewirtschaftung des Einlagengeschäfts ist die Auseinandersetzung mit der Kalkulation und Disposition insbesondere des variablen Einlagengeschäfts an der Schnittstelle zwischen Treasury und Vertrieb.
Oftmals steht dabei die Festlegung von Bodensätzen für variable Kundeneinlagen im Vordergrund der Überlegungen. Die Bank ermittelt die notwendigen Parameter oder Mischungsverhältnisse bei Optimierung des Risiko-Rendite-Verhältnisses. Dabei ist es möglich, die geplante Marge durch eine geringfügige Inkaufnahme einer höheren Margenschwankung zu erreichen. Die rein historisch bestimmten Mischungsverhältnisse können dynamisch angepasst werden. So wird sichergestellt, dass die Opportunität durch das Treasury auch in der GuV der Bank realisiert werden kann.
Am Ende müssen sich – insbesondere auch vor dem Hintergrund der neuen MaRisk-Novelle – die Liquiditätskosten im Pricing des Vertriebs und in der Steuerung des Gesamtergebnisses wiederfinden. Hierzu ist der zur Kalkulation herangezogene Opportunitätszins in einen Liquiditätsund einen reinen Refinanzierungsteil aufzuteilen. Dies geschieht meist durch die Berücksichtigung einer institutsspezifischen Refinanzierungskurve und der Swapkurve.
Durch die Integration der Margenkalkulationsmethodik in das ertragsorientierte Vertriebscontrolling werden Akzeptanz und Verständnis für die operative Ausrichtung im Einlagengeschäft vor allem bei Führungskräften und Beratern im Vertrieb geschaffen. Kennzahlen wie Bruttoertrag und Volumina bestimmter Einlagenkategorien müssen in IT-gestützte Management-Cockpits mit Werttreibern zur Ursachenanalyse überführt und mit Anreizsystemen verknüpft werden, damit bei den Beratern eine Verhaltensänderung bewirkt werden kann.

Nicht kopieren

Kundeneinlagen sind auch in Zukunft als strategischer Eckpfeiler im Geschäftsmodell der Genossenschaftsbanken unverzichtbar. Eine Neubewertung der Einlagenbewirtschaftung ist vor dem Hintergrund der aufsichtsrechtlichen Änderungen und des verstärkten Wettbewerbs jedoch zwingend notwendig. Volksbanken und Raiffeisenbanken dürfen allerdings nicht den Fehler begehen, die Geschäftsmodelle von Direkt-, Auto- und Auslandsbanken 1:1 zu kopieren. Die Qualitätsführerschaft im Spannungsfeld zwischen Vertriebsund Gesamtbanksteuerung ist vor allem im Einlagengeschäft für das genossenschaftliche Geschäftsmodell strategische Ratio. Die Stabilisierung oder Erhöhung der Einlagenerträge geht dabei nicht – wie sonst im  Kundengeschäft – mit einer deutlichen Erhöhung der Ressourcenbindung einher und kann zudem kurzfristig umgesetzt werden. Letztlich hat der Ausbau des (variablen) Einlagengeschäfts in den vergangenen Jahren für einen Ausgleich zwischen Kunden- und Bankinteressen gesorgt.

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Prof. Dr. Bernd Rolfes / Autor BankingHub

Prof. Dr. Bernd Rolfes

Gründungsgesellschafter Office Münster

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