Faszination DLT und Digital Assets
Hallo Herr Dr. Bulling! Schön, dass Sie mit uns ein Interview zu diesem spannenden Thema führen. Zu Beginn interessieren wir uns vor allem für Ihre persönliche Faszination an den Themenfeldern DLT und Digital Assets. Wie haben Sie sich hierfür begeistern können und worauf fokussieren Sie sich aktuell in diesem dynamischen Umfeld?
Mein erster Berührungspunkt war das bahnbrechende Paper von Satoshi Nakamoto, „Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System”, im Jahr 2008/2009. Damals lehrte ich im Bereich „theoretische Informatik und künstliche Intelligenz“ und beschäftigte mich mit Forschung zu intelligenten Agentensystemen. Hier spielten Themen wie Spieltheorie, Computer Science und Kryptografie eine Rolle – also genau die Aspekte, die der Blockchain- bzw. Distributed-Ledger-Technologie zugrunde liegen. Dass etwa das Bitcoin-Netzwerk sicher ist, basiert neben kryptografischen Methoden auch auf der Incentivierung für die Miner, andauernd ressourcenverschlingende mathematische Rätsel zu lösen.
Nach dieser ersten Begegnung kam das Thema Blockchain bei mir ein paar Jahre später in der IT- und Strategieberatung immer mal wieder am Rande auf. Bei Avaloq hatte ich anfangs mit der allgemeinen Blockchain-Strategie im Rahmen der Innovationsstrategie zu tun. Dies galt auch für Interaktionen mit unserem Mutterkonzern NEC, der in diesem Bereich aktiv ist. Etwas später habe ich die Digital-Assets-Produktmanagementverantwortung bei Avaloq übernommen. Von da an durfte ich die Weiterentwicklung des Produkts zu einem skalierbaren Serviceangebot vorantreiben.
Ganz allgemein mag ich Herausforderungen, und das Thema war und ist anspruchsvoll – nicht nur technologisch, sondern auch wegen der diversen Meinungen dazu. Es braucht in Sachen Blockchain viel Überzeugungsarbeit und Ausdauer, schon weil niemand mit Gewissheit sagen kann, wie schnell sich der Markt entwickeln wird. Spannend ist diese Technologie natürlich, weil sie aus Sicht einzelner Akteurinnen und Akteure disruptiven Charakter haben kann. Das bedeutet: Wer sich nicht mit ihr beschäftigt, läuft Gefahr, einer geänderten Marktlage mit neuen Angeboten und Geschäftsmodellen zum Opfer zu fallen. Hauptfokus für mich ist derzeit, unsere Digital-Assets-Strategie voranzutreiben, strategische Partnerschaften und Opportunitäten zu explorieren sowie das Produktangebot weiterzuentwickeln.
Nun arbeiten Sie bei Avaloq, einem führenden Anbieter von digitalen Bankinglösungen, und erleben hautnah, was Finanzdienstleister heutzutage umtreibt. Was sind Ihre Eindrücke von Ihren Kunden in Bezug auf die aktuellen Verwerfungen am Kryptomarkt und welche Trends zeichnen sich aus Ihrer Sicht im Kontext von DLT und Digital Assets ab?
Auch im Zusammenhang mit der herausfordernden Marktsituation beobachte ich bei Banken keine substanziell geänderte Einstellung zu Digital-Assets-Angeboten. Wie schon früher gibt es auch heute Befürworter/‑innen, Unentschlossene und kritische Stimmen. Dennoch habe ich den Eindruck, dass Finanzinstitute offener werden, trotz der derzeitigen Krise am Markt. Auch die Investorennachfrage scheint weiterhin intakt. Persönlich denke ich, dass sich ein Trend dahingehend abzeichnet, dass Banken von der aktuellen Entwicklung profitieren werden. Viele Kundinnen und Kunden werden Vertrauen noch mehr wertschätzen als zuvor.
Komfort und eine gute User Experience bei Digital-Assets-Diensten werden aus meiner Sicht auch einen immer höheren Stellenwert bekommen. Ein traditionelles Finanzinstitut kann Ihnen beides bieten – in Gestalt von sicherer Verwahrung und einfachem Zugang, später auch durch Beratung und als Service-Orchestrator für weiterführende Digital-Assets-Angebote. Regulierte Finanzinstitute genießen da einen deutlichen Vertrauensvorsprung. Erste Use Cases für Banken sind oftmals das reine Trading und Custody. Ich denke, in einer zweiten Phase sind Staking, NFTs und erweiterte Tradingfunktionalitäten gute Kandidaten. Ebenso werden die Bereiche Decentralized Finance (DeFi) und Traditional Finance weiter zusammenwachsen – etwa dadurch, dass Bankkundinnen und ‑kunden die Möglichkeit erhalten, ihre privaten Wallets bei ihrer Bank zu integrieren.
Und wie geht Avaloq mit den Herausforderungen und Risiken der Kryptobranche um, insbesondere im Hinblick auf Sicherheitsaspekte bei DLT-Anwendungen für Finanzdienstleister?
Partner sind ein Eckpfeiler unserer Digital-Assets-Strategie. Wir tun viel dafür, die richtigen Partner zu finden und auch strategische Partnerschaften einzugehen. Unser Ziel ist es, dadurch einen ganzheitlichen Service für unsere Kunden anzubieten, der den hohen Anforderungen von Finanzinstituten gerecht wird. Dabei ist es wichtig, dass die Gesamtlösung zugleich sicher, skalierbar und auf die Zukunft ausgerichtet ist – indem sie nicht nur die heutigen, sondern auch schon sich abzeichnende kommende Anwendungsfälle abdecken kann. Hier spielen Integration in Legacysysteme sowie ein modulares und offenes Systemdesign eine entscheidende Rolle. Aber auch Themen wie Public Cloud sind ein Teil der Diskussion, da Dienste vermehrt aus der Cloud angeboten werden und entsprechend angeschaut werden müssen.
Wir verstehen es als unsere Aufgabe, die technologischen Aspekte mit Partnern und Kunden zu erörtern. Dies ist besonders spannend bei neuen Herausforderungen, die technologiespezifisch sind oder im traditionellen Finance nicht existieren. Die nötige Awareness und Akzeptanz zu schaffen, ist ein langwieriger Prozess – was durchaus wichtig und richtig ist.
Neben technologischen gibt es zudem kommerzielle und operationelle Aspekte, die bei einer erfolgreichen Einführung eines Digital-Assets-Angebots herausfordernd sein können. Dazu zähle ich auch das Erstellen eines belastbaren Business Case. Gerade die Kundenadoptionskurve und die Entwicklung der Revenue-Streams sind hier Unbekannte. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls eine Diskussion über neue Pricingansätze wichtig. Zudem hat die Blockchain-Technologie operationelle Auswirkungen und erfordert neue Prozesse. Ein grundlegendes Verständnis für die Funktionsweise der Technologie ist nötig, gerade wenn es darum geht, geeignete Bankangebote zu konzipieren und mit Endkundinnen und ‑kunden zu interagieren.
BankingHub-Newsletter
Analysen, Artikel sowie Interviews rund um Trends und Innovationen im Banking alle 2-3 Wochen direkt in Ihr Postfach
„(erforderlich)“ zeigt erforderliche Felder an
Quo vadis Krypto und der Schrei nach mehr Regulatorik
Zurzeit erleben wir weltweit ein fragmentiertes aufsichtsrechtliches Spannungsfeld, wenn es um den Kryptowährungsmarkt geht: Zu viel Regulatorik lässt in manchen Regionen innovative Anwendungsfälle im Keim ersticken, zu wenig Regulatorik dürfte anderswo weitere Skandale wie den Terra-Crash oder die Causa FTX befeuern. Wie werden sich Ihrer Meinung nach die jüngsten regulatorischen Entwicklungen wie die Verordnungsvorschläge MiCAR oder DLT Pilot Regime auf die Kryptomärkte auswirken?
Meiner Auffassung nach ist mehr Regulatorik notwendig, um Digital Assets in der breiten Masse zu verankern und darüber hinaus neue Wachstumsimpulse zu setzen. Neben dem regulierten Markt wird wohl auch weiter ein unregulierter bzw. dezentraler Markt existieren – eher für einen kleinen Kreis risikofreudiger, technisch versierter Investierender geeignet. Der Mainstream der Anleger/-innen wird allerdings zu regulierten Marktteilnehmenden wechseln. Das wäre eine spannende, potenzielle Entwicklung, die von Blockchain-Technologie und DeFi ermöglicht wird. Solch ein zweigleisiges Set-up würde weiterhin Innovationen befeuern. Sie könnten zunächst im unregulierten Markt getestet werden, um dann – orientiert an ihrer Maturität und den Kundenbedürfnissen – in den regulierten Markt überzuschwappen.
Das DLT Pilot Regime der EU zeigt, dass das Thema DLT auch außerhalb des Kryptohandels an Fahrt gewinnt. Hier geht es um mehr Effizienz beim Handel und Settlement von digitalen Securitys. Dies untermauert noch einmal den Kryptoanwendungsfall: Um die vollen Vorteile der Technologie zu nutzen, sollten beide Settlement-Teile – Payment und Security – über die Blockchain abgewickelt werden. Auf diese Weise wird ein unmittelbares Atomic Settlement im Delivery-versus-Payment-Modell (DvP) möglich.
Implikationen der Kryptokrise für den Finanzmarkt
Wie eingangs erwähnt, haben die jüngsten Kryptobörseninsolvenzen und -hacks sowie zahlreiche Betrugsfälle die Unsicherheiten von Investorinnen und Investoren im noch jungen Kryptomarkt erhöht. Dennoch scheint das Interesse an Kryptowährungen insbesondere von Retail-Investierenden ungebrochen zu sein. Wie ist das möglich und was glauben Sie: Werden sich Kryptowährungen als alternative Assetklasse langfristig im Retail- wie auch im institutionellen Geschäft behaupten können?
Meine Vermutung ist, dass viele der derzeitigen Investorinnen und Investoren vorsichtiger werden und gründlicher hinschauen, aber dass sie weiterhin an Digital Assets glauben und in sie investieren werden. Genauer betrachtet, waren einige Probleme der gescheiterten Kryptoplattformen fehlende Kontrollen und das Eingehen zu hoher Risiken. Von der Krise der Kryptoplattformen könnten traditionelle, regulierte Spieler im Finanzmarkt profitieren, denn hier ist das Vertrauen viel größer. Sie könnten daher das Anlegerinteresse auf sich ziehen.
Zudem sind nicht nur Kryptowerte gefallen, sondern auch Aktien. Derzeit sieht man eine Erholung. Das Wachstum der Anzahl von Kryptowährungsnutzerinnen und -nutzern hat sich 2022 zwar verlangsamt, aber von 306 Millionen Nutzenden im Januar 2022 gab es doch einen stetigen Anstieg auf 402 Millionen im November.[1]
Ich denke, sobald weitere Banken ihren Kundinnen und Kunden Kryptoangebote machen, werden Beratungsleistungen folgen. Kryptowährungen bzw. Coins werden sich als Assetklasse etablieren. Aber in Zukunft wird vermutlich unterschieden werden: zwischen solideren Coins (die beispielsweise mit einem Nutzen wie der Ausführung von Smart Contracts verbunden sind) und puren High-Risk-Spekulationscoins.
Uns als Mitarbeitende und Digital-Assets-Faszinierte bei zeb consulting interessiert vor allem auch, wie sich Banken und Asset-Manager im Markt für DLT und Digital Assets positionieren. Was meinen Sie, mit welchen Aufgaben sehen sich diese Player konfrontiert, um die Sicherheit im Kryptomarkt zu erhöhen und ihre Rolle als Schnittstelle zu Investorinnen und Investoren vertrauensvoll sowie effektiv auszuüben?
Ich glaube, Anlegende haben eine Reihe spezieller Ansprüche an die Vertrauenswürdigkeit und den Komfort von Kryptoangeboten. Regulierte Banken sind prinzipiell in der Lage, all diese Anlegerbedürfnisse zu erfüllen. Nehmen Sie die Sicherheitsanforderungen von Kryptoinvestorinnen und -investoren – Banken können diesem Bedarf durch entsprechende Verwahrleistungen entsprechen. Auf den Wunsch nach Komfort und Effizienz können Finanzinstitute mit Kryptoangeboten reagieren, die leicht zugänglich sind und mit einer sehr guten User Experience überzeugen. Viele Anlegende werden auch für eine kompetente Beratung dankbar sein. Wenn der Anlageberater, der sie schon in Sachen herkömmlicher Assets berät und dem sie bereits vertrauen, ihnen offeriert, dies nun auch für Digital Assets zu tun, ist das aus Sicht vieler Kundinnen und Kunden attraktiv.
Und schließlich sind Banken auch in einer idealen Position, um für diese als Orchestrator unterschiedlicher digitaler Services zu fungieren. Wenn es etwa um digitales Zentralbankgeld (CBDC) und Paymentprozesse geht, um die digitale Identität von Kundinnen und Kunden oder um die Tokenisierung von Assets. In all diesen Feldern kann eine Bank die Effizienz für ihre Kundschaft deutlich erhöhen, wenn sie anbietet, den Zugang zu ermöglichen und die Orchestrierung zu übernehmen.
Abschluss und Marktausblick
Neben Kryptowährungen sind wir bei zeb vor allem an den Entwicklungen anderer Formen von Digital Assets interessiert, insbesondere den Security Tokens (tokenisierten Wertpapieren) und den im deutschen Finanzmarkt vorzufindenden Kryptowertpapieren. Wie schätzen Sie das Potenzial von Tokenisierung im Finanzmarkt mittel- bis langfristig ein und was sind Ihrer Meinung nach die spannendsten Use Cases, die man auf dieser Reise nicht aus den Augen verlieren sollte?
Das Potenzial ist hier enorm, sowohl bei digitalen Wertpapieren als auch bei non-bankable Assets (nBAs). Weltweit zählt rund ein Drittel aller Assets zu dieser Klasse der illiquiden Vermögenswerte, zu den nBAs. Deren Spanne reicht von luxuriösen Immobilien bis zur Kunstsammlung. Nur können Banken damit bislang nicht auf dieselbe Weise umgehen wie mit herkömmlichen Aktien oder Schuldverschreibungen. Distributed-Ledger-Technologie ist in der Lage, das zu ändern. Denn nun können Finanzinstitute nBAs in Gestalt tokenisierter Vermögenswerte anbieten. Mit der Tokenisierung sinken zum einen die Eintrittsbarrieren: denn die Mindestinvestition etwa in einen Picasso wäre viel geringer. Zum anderen entstehen gleichzeitig auf Basis der Tokens liquide Märkte für die digitalisierten nBAs. Tokenisierung fördert eine Demokratisierung der Vermögensverwaltung, denn diese neuen Anlageklassen sind einem breiteren Publikum zugänglich.
Für digitale Wertpapiere gilt dasselbe: Sie tragen zur Demokratisierung bei. Und auch hier gibt es Bewegung. In der Schweiz beispielsweise wurde an der SIX Digital Exchange (SDX) im November 2021 die erste digitale Anleihe auf DLT-Basis lanciert. Im Januar 2023 hat auch die Stadt Lugano im Tessin eine sechsjährige unbesicherte CHF-Anleihe ausgegeben, mit einem Emissionsvolumen von insgesamt 100 Millionen CHF und einer Laufzeit bis 2029. Dieses Instrument ist übrigens sowohl an der SDX notiert und handelbar als auch an der SIX Swiss Exchange. Und in Deutschland ruft die Deutsche Börse unter dem Namen „D7“ derzeit ihre eigene digitale Emissionsplattform für elektronische Wertpapiere ins Leben.
An dieser Entwicklung ist besonders spannend, dass sich in Zukunft eben auch die normalen Bankkundinnen und -kunden als Private-Equity-Investierende betätigen können. Sie informieren sich selbst über Projekte, analysieren sie und investieren dann in diese Unternehmen – etwas, das früher den kapitalstärkeren Kundinnen und Kunden vorbehalten war. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich hier ein ganzes Social Ecosystem entwickeln wird, mit Expertenforen, Ratingapps und sozialen Plattformen.
Zum Abschluss des Interviews würde uns noch interessieren, welche Faktoren aus Ihrer Sicht für eine zunehmende Adoption von DLT und Digital Assets durch Finanzinstitute und Investierende am relevantesten sind und weshalb?
Zunächst bedarf es einer weiteren Regulierung des Kryptomarkts. Dies wird die Grundlage für eine umfassende Adoption sein. Anbieterseitig, bei den Finanzinstituten, sind wiederum einfache Kryptoangebote mit hinreichender Breite für die Kundinnen und Kunden notwendig. Für Banken ist es wichtig, dass sich diese Kryptolösungen in die vorhandenen Kernbankensysteme integrieren, sodass sie skalierbar sind und sich das operative Risiko managen lässt.
Eine Bank muss eine klare Digital-Assets-Strategie definieren, die ihre Gesamtstrategie ergänzt. Denn bei einer isolierten Betrachtung des Digital-Assets-Angebots wird es aufgrund der Adoptionskurve und der ungewissen Wachstumsannahmen anfangs schwer sein, einen belastbaren Business Case zu erzeugen. Zu Beginn ist ein Kryptoangebot eben auch wegen seiner indirekten Opportunitäten für die Bank relevant: etwa Kundenzufriedenheit, Cross- und Upselling, zukünftiges Wachstum und Risikominderung – letzteres im Sinne von „den Zug nicht verpassen“.
Vielen Dank für das spannende Interview, Herr Dr. Bulling. Wir wünschen Ihnen persönlich wie beruflich alles Gute und würden uns freuen, Sie vielleicht schon bald wieder für ein Interview oder einen Gastkommentar auf dem BankingHub begrüßen zu dürfen!