EZB-Leitfaden zum Genehmigungsprozess für Mergers & Acquisitions (M&A)

Mit dem Anfang Juli 2020 veröffentlichten EZB-Leitfaden („Guide on the supervisory approach to consolidation in the banking sector“)[1] zum aufsichtsrechtlichen Ansatz im Rahmen von Banken-Mergers & Acquisitions (M&A ) reagiert die EZB auf eine seit Jahren von Politik und Wirtschaft geforderte, jedoch aktuell wenig dynamische Konsolidierung des EU-Bankenmarkts. Bekanntermaßen sind europäische Institute hinsichtlich Größe und Profitabilität immer noch auf einem deutlich niedrigeren Niveau als ihre internationalen Wettbewerber. Längst wurden sie diesbezüglich von chinesischen und US-amerikanischen Banken abgehängt.[2]

Die EZB-Bankenaufsicht hält eine weitere Konsolidierung des europäischen Bankenmarkts grundsätzlich für sinnvoll, um strukturellen Herausforderungen besser zu begegnen, Überkapazitäten im Markt zu reduzieren, Kosten zu optimieren und nachhaltigere Geschäftsmodelle zu schaffen.[3]

Der nachfolgende Artikel thematisiert die Inhalte der EZB-Leitlinien gemäß der Gliederung:

Der EZB-Leitfaden im Überblick

Um Unsicherheiten bezüglich des regulatorischen Prüfungsprozesses für Zusammenschlüsse und Beteiligungen als Hindernis auszuräumen, hat die EZB-Bankenaufsicht am 01.07.2020 den Entwurf des Leitfadens veröffentlicht. Interessierte Stakeholder können bis 01.10.2020 im Rahmen einer Konsultation dazu Stellung nehmen.

Im EZB-Leitfaden geht es nicht um die Bewertung der Vorteilhaftigkeit von Zusammenschlüssen an sich, sondern darum, dass die neu entstehende Entität alle aufsichtsrechtlichen Anforderungen erfüllt und nachhaltig zur Stabilität des Markts beiträgt.

Der Rechtsrahmen für Fusionen und Übernahmen sieht vor, dass der Kauf einer qualifizierten Beteiligung[4] an einem Kreditinstitut der zuständigen Aufsichtsbehörde angezeigt und durch sie genehmigt werden muss. Je nach nationaler Rechtslage oder im Falle von durch die EZB beaufsichtigten Instituten als Transaktionsparteien werden dem EU-Aufsichtsorgan dabei Mitsprachebefugnisse im Genehmigungsprozess eingeräumt.[5]

Für Banken entsteht im Zuge der Antragsprüfung das Risiko eines regulatorischen Marathons durch komplexe Bearbeitungsprozesse, zusätzlich angesetzte Untersuchungen oder sich verändernde Rahmenbedingungen. Mit zunehmender Dauer und damit verbundener Unsicherheit, kann es zu Abwanderung von Kunden und Mitarbeitern kommen. Außerdem ist der Aufsicht bewusst, dass positive Effekte der Konsolidierung erst über die Zeit ihre volle Wirkung entfalten.

Um dem zu begegnen, zielt der EZB-Leitfaden auf mehr Transparenz im Mergers & Acquisitions (M&A)-Genehmigungsprozess ab. Im Vergleich zu bisher vorhandenen Prozessinformationen präzisiert er Erwartungen an Antrags- sowie Projektunterlagen und nimmt gleichzeitig Stellung zu aufsichtsrechtlichen Maßnahmen. Der Umgang der EZB mit wesentlichen Prüfungsaspekten richtet sich dabei insbesondere an signifikante und damit direkt von ihr beaufsichtigte Institute (SSM-Banken). Die Prüfungsaspekte greifen, wenn mindestens eine Transaktionspartei direkt von der EZB beaufsichtigt wird. Für das involvierte weniger signifikante Institut (LSI) greift während des Prozesses das Proportionalitätsprinzip.

Übersicht des Bewertungsprozesses

Die EZB legt der Bewertung eines Zusammenschlussvorhabens einen dreistufigen Prozess zugrunde.

Bewertungsprozess im Artikel "EZB-Leitfaden zum Genehmigungsprozess"Abbildung 1: Bewertungsprozess

Zur Gewährleistung einer effizienten Bearbeitung hält die Aufsicht Institute dazu an, möglichst frühzeitig – d. h. noch vor öffentlicher Bekanntmachung – mit ihr in Austausch zu treten. Dies dient zum einen dazu, die Notwendigkeit eines formalen Genehmigungsprozesses zu klären, zum anderen, um nach einer Vorabprüfung eingereichter Planungs-/Integrationsunterlagen den Verlauf des weiteren Prozesses klar zu definieren. Indem Informationen frühzeitiger entsprechend den EZB-Erwartungen aufbereitet und eingereicht werden, sollen Nachfragen der Aufsicht zu einem späteren Zeitpunkt vermieden werden. Gleichzeitig erhalten die Konsolidierungsparteien frühzeitiges Feedback zu ihrem Vorhaben.

Sollte eine offizielle Genehmigung des Zusammenschlusses notwendig sein, wird die Antragsphase ausgelöst. Daneben gibt es eine Reihe weiterer gesetzlich verankerten Ereignisse, die eine formale Antragsstellung erforderlich machen. Dazu gehört u. a. die Meldung über einen geplanten Erwerb einer qualifizierten Beteiligung an einem Kreditinstitut. Nach Einreichung des Genehmigungsantrags durch die beteiligten Banken löst die Erlaubnis der Aufsicht, mit dem Projekt fortzufahren, die Umsetzungsphase aus.

Die Implementierung des Zusammenschlusses bzw. der Beteiligung gemäß kommuniziertem Integrationsplan unterliegt einer genauen Überwachung. Bei Abweichungen davon haben die Transaktionsparteien aufsichtsrechtliche Reaktionen zu erwarten.

Insbesondere eine frühzeitige Interaktion mit der EZB bietet für Banken die Chance, Unsicherheiten hinsichtlich aufsichtsrechtlicher Aktivitäten zu verringern und gleichzeitig eine effizientere Durchführung des Zusammenschlussprojekts zu realisieren.

Erwartungen an M&A-Projektanträge

Bezugspunkt für Anforderungen und anzuwendende Analysemethoden bei Bankzusammenschlüssen ist stets die neue Entität. Daher müssen die Transaktionsparteien eine nachhaltige Konsolidierungsstrategie erarbeiten und einreichen. Zur Gewährleistung der Einhaltung aufsichtsrechtlicher Regelungen formuliert die EZB dabei Erwartungen an Informationen und Dokumentationsumfang im Rahmen der folgenden Aspekte:[6]

  1. Geschäftsmodell inkl. Strategie, Kapital und Liquidität
    Die Aufsicht wirft einen genauen Blick auf die Nachvollziehbarkeit des eingereichten Geschäftsplans für die neue Entität. Dazu gehören szenariobasierte Entwicklungssimulationen hinsichtlich mikro- und makroökonomischer Annahmen, möglichst durch Daten und Erfahrungen belegbare Erläuterungen von Zielen, Kosten und Synergieerwartungen sowie der avisierten Liquiditäts- und Funding-Struktur (finanzielle Solidität). Neben plausiblen und konservativen Annahmen wird hierbei Wert auf das Vorhandensein eines adversen Szenarios neben dem realistischen Base-Case gelegt.
  2. Governance und starke Führung
    Zur erfolgreichen Umsetzung des M&A-Projekts erwartet die Aufsicht die Führung durch erfahrene und zuverlässige Entscheidungsträger/-innen mit klar definierten Rollen und Verantwortlichkeiten. Dies gilt über das Projekt hinaus auch für das neue Institut. Entlang klarer Berichtslinien sind auf allen Ebenen der neuen Gruppenstruktur eindeutige Verantwortlichkeiten und Entscheidungsprozesse zu definieren. Die Ressourcen der beteiligten Parteien müssen eine reibungslose Umsetzung des Zusammenschlusses oder der Beteiligung erwarten lassen.
  3. Risikomanagement inkl. Risiken aus Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung
    Im Rahmen des Risikomanagements sollen die Institute in ihrer Planung die unterschiedlichen Risikokulturen und -modelle aller beteiligten Parteien berücksichtigen und entsprechendes Know-how in der Projektsteuerung dafür bereitstellen. Wichtig für die Aufsicht ist dabei das Vorhalten risikomindernder Maßnahmen, um Risiken während der Projektimplementierung frühzeitig zu vermeiden.
  4. Vergütungsgrundsätze
    Die Umsetzung des Zusammenschlusses soll durch ein angemessenes Anreizsystem gesteuert werden können. Variable Vergütungen sollten daher bspw. von Risikofaktoren abhängig gemacht werden, die mit im Integrationsplan festgelegten Meilensteinen verknüpft sind.
  5. Integrationsplan
    Die am Zusammenschluss beteiligten Parteien müssen einen Integrationsplan vorlegen, der für die Umsetzung eine hohe Verbindlichkeit hat. Neben Transparenz über den Weg zur Day-1-Readiness verlangt die EZB eine klare Ausplanung der Post-Merger-Integration, in der die zukünftige Ausgestaltung von IT(-Architektur), Prozessen, Vertriebseinheiten, Ressourcen etc. aufgearbeitet und mit Meilensteinen versehen ist. Dieser Plan bildet die Grundlage für das laufende Aufsichts-Monitoring bis zum erfolgreichen Abschluss der Integration und soll die Institute dazu anhalten, bereits vorab den M&A-Prozess End-to-End zu betrachten.

In den formulierten Erwartungen spiegeln sich die bereits veröffentlichten Aufsichtsschwerpunkte der BaFin für 2020[7] wider und tragen diesen Rechnung. Denn sowohl das Thema Risikomanagement im Rahmen von Widerstandsfähigkeit und Risikotragfähigkeit als auch nachhaltige Geschäftsmodelle werden dort als intensiver Prüfungsbereich für beaufsichtigte Banken genannt. Zusammenschlüsse von Instituten können ein probates Mittel sein, durch gemeinsame Optimierung etablierter Geschäftsmodelle, Arbeitsprozesse, Digitalisierung und Portfoliostrukturen für die BaFin relevante Aspekte zu verbessern.

Zwecks Nachvollziehbarkeit von Zielen erwartet die Aufsicht eine recht umfangreiche und profunde Dokumentation, deren Erstellung einen erheblichen Aufwand für die Banken bereits im Vorfeld der Transaktion bedeutet. Darüber hinaus bildet diese Dokumentation die Basis der Überwachungstätigkeit der EZB und somit eine Benchmark für Umsetzungsfortschritte und -erfolge. Daraus lässt sich eine deutlich intensivere Begleitung durch die Aufsicht im Falle von Abweichungen ableiten.

Aufsichtsrechtliche Schlüsselfaktoren bei der Bestimmung der Durchführbarkeit eines Zusammenschlusses

Drei Aspekte sind gemäß Erfahrung der EZB-Bankenaufsicht Schlüsselfaktoren der aufsichtsrechtlichen Prüfung:

  1. Festlegung von Eigenkapitalanforderungen
  2. Umgang mit buchhalterischem Gewinn („Badwill“)
  3. Nutzung interner Risikobewertungsmodelle

Um mehr Klarheit über die Interpretation dieser Aspekte zu schaffen, bezieht die EZB im Entwurf des Leitfadens hierzu Stellung.

Die neue Entität soll eine dem Risiko entsprechende Eigenmittelausstattung aufweisen. Als aufsichtsrechtliches Unterstützungsinstrument sieht die EZB vor, die neu entstandene Entität nicht per se mit höheren Eigenkapitalanforderungen zu belegen. Basierend auf dem gewichteten Durchschnitt der Kapitalanforderungen beider beteiligter Institute wird in einer Einzelfallprüfung die finale Höhe bestimmt und im Rahmen der Antragsstellungsphase bekannt gegeben. Im EZB-Leitfaden wird aufgeführt, dass Institute mit einer Erhöhung der Säule-2-Anforderungen (P2R) rechnen müssen, wenn es durch die M&A-Transaktion zu keiner Verbesserung der Risikosituation kommt oder sich diese sogar aufgrund eines Komplexitätsanstiegs noch verschlechtert. Anders verhält es sich hingegen bei einer eindeutigen Verbesserung sowohl in Bezug auf das Risikoprofil als auch auf die Nachhaltigkeit der Geschäftstätigkeit. Hier kündigt die Aufsicht an, durchaus Zugeständnisse einzuräumen.

Weitere Transparenz schafft die EZB hinsichtlich des sogenannten „Badwill“, d. h. des Gewinns, der aufgrund eines Kaufpreises unterhalb des Eigenkapitalbuchwerts entsteht, was bei der aktuell geringen Bewertung vieler europäischer Institute durchaus vorkommen kann. „Badwill“ wird von der Aufsicht anerkannt, solange dessen Verwendung die Stärkung der neuen Bankeinheit vorsieht, d. h. bei Einstellung ins Eigenkapital, zur Abdeckung von Projektkosten oder bei Investitionen in eine zukunftsgerichtete Entwicklung des Geschäftsmodells. Eine Ausschüttung an Investoren wird dabei klar abgelehnt, denn aus Sicht der Aufsichtsorgane soll die neue Bank zur Finanzstabilität beitragen und diese nicht durch unzureichende Kapitalstrukturen gefährden.

Zusätzlich räumt die EZB ein, dass sie für eine Übergangsphase die Verwendung bestehender interner (Risikobewertungs-)Modelle zur Kalkulation der Kapitalanforderungen akzeptiert, um unnötige Schwankungen der Risikoaktiva zu vermeiden. Wichtig ist, dass die beteiligten Parteien einen klaren Plan zur Zusammenlegung ihrer Modelle und für den Rollout des gemeinsamen internen Modells vorlegen.

Fazit zum EZB-Leitfaden

Mit dem neuen Leitfaden geht die EZB einen Schritt auf die Banken zu und schafft damit die Grundlage, das Thema Konsolidierung wieder auf die Agenda der Banken zu heben bzw. höher zu priorisieren. Zwar sind die EZB-Anforderungen grundsätzlich nicht neu, die konkrete Formulierung und Granularität der Erläuterungen erleichtert allerdings die M&A-Antragsstellung.

Nachvollziehbare und vollständige M&A-Genehmigungsanträge sowie ein kontinuierlicher, offener Austausch mit den zuständigen Aufsichtsbehörden sollten zu einer Verbesserung der Bearbeitungseffizienz beitragen und Risiken der Banken aus einem zeitlich zähen Regulierungsprozess verringern.

Neben diesen positiven Aspekten lässt der Entwurf jedoch Raum zur weiteren Präzisierung. Zusätzlich zu den drei genannten Faktoren des EZB-Leitfadens spielt im Rahmen einer Großbankenfusion häufig auch eine Rolle, ob Privilegien der Käuferbank auf den neuen Gesamtkonzern angewendet werden dürfen. Insbesondere hinsichtlich der „Waiver-Regelung“[8] wäre mehr Transparenz für die beteiligten Parteien im Vorfeld der Transaktion wünschenswert. Auf diesen Aspekt geht der Entwurf allerdings nicht ein.

Darüber hinaus gibt es neben der EZB weitere beteiligte Behörden, die sich insbesondere mit systemrelevanten Banken befassen. Während die EZB einer weiteren Konsolidierung im Bankenmarkt grundsätzlich positiv gegenübersteht, haben Mechanismen wie das Single Resolution Board (SRB) andere Schwerpunkte – wie beispielsweise die Abwicklungsfähigkeit von Bankengruppen – und daher tendenziell wenig Interesse an großen, komplexen und stark vernetzen Einheiten. Gemäß Leitfaden übernimmt die EZB die Abstimmung mit dem SRB. Es finden sich aber keine Hinweise über die konkrete Zusammenarbeit zwischen den unabhängigen aufsichtsrechtlichen Stakeholdern, sodass die Implikationen für eine mögliche Fusion unklar bleiben, wenn sich diese nicht einigen. Hier besteht Konkretisierungsbedarf, um diesen Unsicherheitsfaktor für die Planung aus Bankensicht zu beseitigen.

Insgesamt bleibt mit Veröffentlichung der finalen Fassung abzuwarten, ob durch den EZB-Leitfaden Banken stärker zu Fusionen ermutigt, die Antragsstellung in der Praxis gefördert, die Bearbeitung beschleunigt sowie Risiken im Prozess deutlich reduziert werden. Ein erster Schritt ist mit dem Konsultationspapier seitens der EZB getan.

[1] Zu finden unter: European Central Bank (2020): Guide on the supervisory approach to consolidation in the banking sector.
[2] Vgl. dazu unseren Artikel auf BankingHub (2020): Megafusion europäischer Banken – quo vadis?
[3] Vgl. EZB: Guide on the supervisory approach to consolidation in the banking sector.
[4] Eine „qualifizierte Beteiligung“ liegt vor, wenn nach § 1 XV Nr. 1 KWG mind. 10 % des Kapitals oder der Stimmrechte mittelbar oder unmittelbar gehalten werden. Entstehen oder Beendigung sind gemäß § 24 I Nr. 13 KWG der BaFin und der Deutschen Bundesbank unverzüglich anzuzeigen.
[5] Die Prinzipien gelten auch bei Transaktionen, deren Teilnehmende nicht direkt EZB-beaufsichtigte Banken sind. Die Anwendung erfolgt dabei unter geforderten Anpassungen. Vgl. § 4 „Guide on the supervisory approach to consolidation in the banking sector“, S. 2.
[6] Die EZB-Bankenaufsicht unterscheidet hier zwei Aspekte. Wir haben diese zur besseren Übersicht weiter aufgegliedert.
[7] Vgl. BaFin (2020): Aufsichtsschwerpunkte 2020.
[8] Einzelinstitute innerhalb der Gruppe müssen nicht auf Solo-Ebene den umfassenden Kapital- und Liquiditätsanforderungen nachkommen (siehe Art. 6 und 7 CRR sowie § 2a KWG).

Sprechen Sie uns gerne an!

Christian Schiele / Autor BankingHub

Christian Schiele

Partner Office Münster
Autor Lena Kellen / BankingHub

Lena Kellen

Autorin zeb

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