KI im Asset Management: Zwischen Mensch und Maschine

Der Hype um künstliche Intelligenz nimmt kein Ende. Erst sorgte das US-Unternehmen OpenAI mit der Veröffentlichung des KI-Chatbots ChatGPT für Aufsehen, und dann zog auch noch Bloomberg mit der Ankündigung nach, einen auf die Finanzmärkte zugeschnittenen Chatbot zu entwickeln. Grund genug, um sich zu fragen, wie es um die KI-Revolution im Asset Management bestellt ist.

Wir haben mit Pablo Hess, einem der zwei Fondsmanager des Tungsten TRYCON AI Global Markets, gesprochen und ihn zu den Chancen und Schwierigkeiten beim Einsatz von KI im Investmentprozess befragt.
Disclaimer: Alle hierin enthaltenen Informationen dienen ausschließlich Informationszwecken und stellen keine Anlageberatung dar.

Über Tungsten Capital

Tungsten Capital ist eine konzernunabhängige, inhabergeführte Investmentboutique mit Sitz in Frankfurt am Main und Köln. Der von Tungsten Capital verwaltete Fonds TRYCON AI Global Markets ist einer der ersten Fonds, der vollständig auf künstliche Intelligenz im Anlageprozess setzt. Er investiert in 60 globale liquide Märkte, bestehend aus Aktien, Staatsanleihen, Währungen und Volatilität. Die Multi-Asset-Long/Short-Strategie kann dabei sowohl von steigenden als auch von fallenden Kursbewegungen profitieren.

Pablo Hess, Fondsmanager des Tungsten TRYCON AI Global Markets
Pablo Hess ist einer der zwei Fondsmanager des Tungsten TRYCON AI Global Markets. Seine Schwerpunkte sind neben dem Portfoliomanagement das Research und die (Weiter‑)Entwicklung von Multi-Asset-Handelsstrategien insbesondere für börsengelistete Derivate. Im Fokus stehen hierbei hoch entwickelte quantitative Modelle.

Hallo Herr Hess, vor rund dreizehn Jahren wurde der TRYCON AI Global Markets als einer der ersten KI-Fonds in Deutschland aufgelegt. Wie kam es zu der Idee eines rein auf künstlicher Intelligenz basierten Fonds?

Unsere Ursprünge liegen in systematischen Handelsstrategien, genauer in quantitativen Verfahren und Trendfolge. Insbesondere Trendfolge geht sehr ineffizient mit den vorhandenen Daten um. Und so forschen wir seit dem Jahr 2000, um mithilfe von künstlicher Intelligenz eine Technologie auf die Finanzmärkte anzuwenden, die eine weitaus tiefschürfendere Analyse ermöglicht. Unser Ziel war es also, die Daten vollumfänglicher auszuwerten und auf diesem Weg einen anderen Blick auf das Geschehen an den Märkten zu gewinnen. Unsere KI kann, vereinfacht gesagt, sowohl Momentum für sich nutzen als auch Richtungswechsel in den Märkten antizipieren und erreicht dabei eine Korrelation von nahe null zu den globalen Aktienmärkten.

Was kann künstliche Intelligenz im Asset Management leisten?

Es gibt zahlreiche Quant-Fonds, bei denen auf anspruchsvolle mathematische Modelle zurückgegriffen wird. Wo genau liegt die Grenze zwischen einer „herkömmlichen“ quantitativen und einer auf künstlicher Intelligenz basierenden Investmentstrategie?

Vor allem im Bereich Machine Learning ist die Trennung in der Tat etwas unscharf. Zum einen kann KI gewaltige Datenmengen bewältigen. Darüber hinaus ist sie insbesondere in der Lage, neben linearen Zusammenhängen auch nicht lineare Verknüpfungen herzustellen. Sie kommt außerdem auch ohne eine Hypothese aus, entlang derer sie sich bewegen muss und die wiederum ihre eigenen Prämissen und Unschärfen in ein Modell einbringt. Und zu guter Letzt generiert der KI-Algorithmus selbst die Handelsstrategie, die am Ende zur Anwendung kommt, während diese bei herkömmlichen Quant-Modellen oft von den Entwicklern definiert wird. Ich würde sagen, das ist eine gänzlich andere Vorgehensweise.

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Während der Coronapandemie sind weltweit die Börsenkurse eingestürzt. Auch aktiv gemanagte Portfolios haben starke Verluste erlitten, wohingegen der Fonds TRYCON AI durch positive Renditen beeindruckt hat. Was kann künstliche Intelligenz, was Portfoliomanager:innen nicht können?

Die KI kann zum einen streng rational Wahrscheinlichkeiten berechnen. Ich glaube, es ist nur allzu verständlich, dass diese Fähigkeit vielen menschlichen Portfoliomanagern in der Panik des Coronacrashs abhandengekommen ist. Der Algorithmus kann darüber hinaus weit in die Vergangenheit schauen und zugleich unzählige Variablen in einer Entscheidung berücksichtigen. Die KI kann fragen, welche noch so weit zurückliegenden Perioden in Abstraktion mit der aktuellen Situation vergleichbar sind, und Anhaltspunkte liefern, welche kommende Marktreaktion die wahrscheinlichste ist. Und – vorhin ist es schon angeklungen – KI kann nicht lineare Zusammenhänge verwerten. Im Hantieren mit einer großen Anzahl von Variablen in Kombination mit Nonlinearität sind wir Menschen nicht besonders gut.

Grenzen und Herausforderungen des Einsatzes von KI

Sie sagen, dass die KI weit in die Vergangenheit schauen kann, aber heißt dies nicht auch, dass nur die aus der Vergangenheit bekannten Trends von der KI erkannt werden. Inwiefern kann die KI zukünftige Trends ermitteln oder vorhersagen?

Ich würde sagen: Auch von Menschen getroffene Entscheidungen basieren auf Erfahrungen und Gelerntem, das sich per Definition aus der Vergangenheit speist und daraus Aussagen auf die Zukunft abstrahiert.

Oftmals sind Kursbewegungen aber auf emotionale Faktoren und den Herdentrieb zurückzuführen, sodass große Kurssprünge unter Umständen nicht logisch und nachvollziehbar erscheinen. Kann KI mit dieser „menschlichen Komponente“ des Investierens denn überhaupt umgehen oder sind nicht vielleicht doch hin und wieder auch diskretionäre Entscheidungen durch das Portfoliomanagement sinnvoll?

Die Märkte sind nicht zuletzt von Angst und Euphorie getrieben. Das ist nach unserer Erfahrung nichts, was der KI zu schaffen macht, im Gegenteil: Sie macht sich die Irrationalität der Marktteilnehmer zunutze, agiert aber dabei selbst ganz nüchtern. Insofern erfordert diese Besonderheit der Märkte kein Eingreifen durch das Portfoliomanagement; ich würde sogar sagen, das wäre vermutlich kontraproduktiv.

Kommen wir zu den Herausforderungen beim Einsatz von KI. Für die erfolgreiche Nutzung von KI-Systemen ist insbesondere das „Signal-to-Noise-Verhältnis“ von entscheidender Bedeutung. Füttert man Algorithmen ungefiltert mit Daten, wird das Modell durch zufällige Korrelationen (Rauschen) gestört, während tatsächliche Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge (Signal) in Relation untergehen. Die Folge ist, dass das Modell unpräzise Vorhersagen trifft. Können Sie näher erläutern, wie Sie mit dieser Problematik umgehen?

Das ist in der Tat ein wesentlicher Fallstrick in der Anwendung von KI gerade an den Finanzmärkten, insofern sollte man an diese Aufgabe nicht mit einer „Plug & Play“-Erwartung herangehen. Der erfolgreiche Einsatz verlangt die tiefe Kenntnis der Besonderheiten der Finanzmärkte und der Funktionsweise von KI-Algorithmen gleichermaßen. Wie unser langjähriger Track Record zeigt, sind wir diesem Problem mit einem Bündel von Maßnahmen beigekommen. Wie man diese Herausforderung managt, das ist sicherlich ein Teil des Schlüssels zum Erfolg von KI im Asset Management.

KI-Modelle haben oft mit einer Nichterklärbarkeit der Vorhersagen zu kämpfen. Häufig werden sie daher auch als „Black Box“ bezeichnet. Können Sie jede Investmententscheidung, die von Ihrem KI-Modell getroffen wird, erklären?

Der Einsatz von KI erfolgt in den meisten Fällen auf dem Weg einer höheren Komplexität. Auch beim KI-Einsatz in anderen alltagsrelevanten Bereichen wie dem autonomen Fahren und der Navigation, in der Medizin u. v. m. steht nicht die Erklärbarkeit des Zustandekommens der Ergebnisse im Vordergrund, sondern ihr konkreter Nutzen. Diesen haben wir in nunmehr knapp zehn Jahren Historie unter Beweis gestellt. Das gilt im Übrigen nicht nur für den Einsatz von KI: Kaum jemand versteht, wie genau der Wechselstrom, den wir täglich nutzen, funktioniert. Ich will damit sagen: Wir setzen Technik in vielen Bereichen für den Nutzen ein, den sie uns bringt, auch wenn die Prozesse im Hintergrund nicht simpel sind.

Die mangelnde Transparenz von KI-Modellen gilt aber beispielsweise als ein Grund dafür, dass vollautonome Fahrzeuge noch nicht auf dem Markt sind. Zwar liefert die KI meistens gute Ergebnisse, trifft in Einzelfällen aber fatale Fehlentscheidungen. So werden in seltenen Fällen Stoppschilder mit anderen Straßenschildern verwechselt. Nur wenn ich als Nutzer:in weiß, was die KI zu ihrer Entscheidung bewegt, können solche Fehler unterbunden werden. Ist es deshalb im Hinblick auf KI-basierte Handelssysteme nicht doch wichtig nachzuvollziehen, wie das System im Einzelfall zu Entscheidungen gekommen ist?

Ich würde unsere Modelle gar nicht als Black Box, sondern eher als Gray Box bezeichnen. So kennen wir ja bei jedem Modell die Einflussfaktoren, die zu Entscheidungen beitragen können. Übrigens ist nicht nur künstliche Intelligenz eine Black (bzw. Gray) Box, sondern ganz besonders auch das menschliche Gehirn. Viele Entscheidungsvorgänge im menschlichen Gehirn können wir derzeit nicht nachvollziehen. Entscheidend ist doch, wer weniger Fehler macht: die KI oder der Mensch. Beim autonomen Fahren scheint dies derzeit – noch – der Mensch zu sein. Im Hinblick auf die Finanzmärkte sind wir von dem Mehrwert, den KI-Modelle bieten können, überzeugt.

Natürlich geben wir der KI auch einen strengen Risikomanagementrahmen vor, innerhalb dessen sie frei agieren darf. Wir halten es für eine umsichtige Vorgehensweise, Signalerzeugung und Risikomanagement voneinander zu trennen. Ich will gerne ein Beispiel dafür geben, wie das anderweitig sinnvoll sein kann, und zwar aus dem Bereich IoT: Wenn der Kühlschrank Butter nachordert, dann will ich doch auch nicht, dass er im Überschwang 800 kg davon bestellt. Zugegeben: In dem Fall wäre wohl auch mit dem zugrunde liegenden Modell etwas nicht ganz in Ordnung …

Die KI ist also nicht befähigt, eigene Trades autonom einzugehen bzw. diese müssen erst noch von einem Menschen freigegeben werden?

In unserem Fall werden die Trades noch von einem Menschen freigegeben. Dies erfolgt im Sinne einer Plausibilitätskontrolle, nicht des Infragestellens des jeweiligen Trades.

Zukunft des Einsatzes von KI im Asset Management

Die Fondsbranche ist ein hart umkämpfter Markt. Anlegende haben die Wahl aus endlos vielen Anlagemöglichkeiten – aktive und passive Angebote, viele unterschiedliche Assetklassen, verschiedene Anlagestrategien, nachhaltige Fonds und vieles mehr erschweren die Anlageentscheidung. Noch handelt es sich bei reinen KI-Fonds eher um Nischenprodukte. Wie ist Ihre Erwartung für die kommenden Jahre? Wird man sich mit der Kombination aus klassischen Anlageschwerpunkten und KI von Wettbewerbern differenzieren können?

Das Feld KI-gesteuerter Fonds ist derzeit in der Tat noch recht leicht zu überblicken. Das ist heute vielleicht sogar ein Vorteil für Anleger, denn sie können aus einem (noch) beherrschbaren Angebot das passende Produkt für sich auswählen.

Die Besonderheit unserer Art des Einsatzes von KI ist nicht nur das positive Alpha, sondern auch die niedrige Korrelation mit Aktien und Anleihen sowie die moderate Volatilität von ca. 5 % – 8 %. Das wird sich bei klassischen Produkten durch die Nutzung von KI kaum erreichen lassen.

Eignet sich der Fonds für institutionelle Anleger und Privatanleger gleichermaßen?

Dank seiner moderaten Volatilität und der hervorstechenden Diversifikationseigenschaften erweist sich der Fonds aus wirtschaftlicher Sicht nachweislich für die meisten der von uns untersuchten Portfolios als vorteilhaft – das können wir über die nunmehr knapp zehnjährige Historie anhand einer Verbesserung des Sharpe Ratio aufzeigen.

Entfaltet der Fonds erst als Beimischung zu klassischen Anlageprodukten zur Risikodiversifikation seinen vollen Wert oder ist er auch als Einzelinvestment sinnvoll?

Wenngleich der Fonds auch als Einzelinvestment attraktiv ist, entfaltet er seine beste Wirkung in der Tat im Zusammenhang mit traditionellen Anlagen.

Eine Einschränkung gibt es allerdings: Die notwendige Offenheit für innovative, fortschrittliche Investmentprozesse war in der Vergangenheit leider nicht immer gegeben. Seitdem ChatGPT große Aufmerksamkeit erfährt, spüren wir aber einen deutlichen Wandel. Den Menschen scheint mehr und mehr bewusst zu werden, dass sie KI in anderen Lebensbereichen schon selbstverständlich nutzen und dass sie damit viele Vorteile für sich erschließen können. Warum nicht auch im Asset Management, das ja ganz wesentlich eine Domäne der Datenverarbeitung ist.

Sprechen Sie uns gerne an!

Manuel Hobisch / Autor BankingHub

Manuel Hobisch

Senior Manager Office München

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