Das 2018 von Ulf Loetschert und Dr. Ulrich Wolffgang gegründete Start-up LoyJoy ist ein führender Anbieter von Chatbots, der eine multilinguale Multichannel-Conversational-Cloud entwickelt hat, welche die Automatisierung von Konversationen und gleichzeitig die Möglichkeit der Übernahme der Unterhaltung durch einen Menschen bietet.
Philosophie von LoyJoy: Von Joy-Faktor bis User Experience.
Ulf, was hat euch dazu motiviert, LoyJoy zu gründen, und was hat sich seitdem getan?
Nach einer erfolgreichen Beraterkarriere war für mich der Zeitpunkt für Veränderung gekommen. Da wir uns privat kannten, wusste ich, dass auch bei Ulrich der starke Wunsch vorhanden war, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. So haben wir 2018 LoyJoy zusammen gegründet.
Der Grundgedanke, Unternehmen und Kunden per Chat zusammenzubringen, ist geblieben. Ansonsten ist quasi kein Stein mehr auf dem anderen. Aus einem MVP ist seitdem eine umfangreiche Cloud-Plattform gewachsen, die von großen Unternehmen wie der Deutschen Telekom, Beiersdorf und jetzt auch ersten Banken und Versicherungen genutzt wird.
Themen wie Skalierbarkeit, Internationalisierung und vor allem die Ideen und Bedarfe der Kunden haben das Produkt geformt. Was mich besonders zuversichtlich stimmt, ist das Vertrauen der Kunden – wir haben quasi keinen Churn – und dass die Plattform nicht nur in der DACH-Region, sondern von Australien bis Brasilien, von Nigeria bis Kanada genutzt wird – das zeigt die Stärke des Cloud-Modells.
Teil eurer Philosophie ist es, Best Practices aus anderen Bereichen auf neue Problemstellungen anzuwenden. Könnt ihr hierfür ein Beispiel nennen?
Wenn man eine neue Plattform von null entwickelt, verfällt man leicht dem Not-invented-here-Syndrom. Natürlich ist man verliebt in eigene Ideen. Im Kern ist LoyJoy eine Plattform für Prozessautomatisierung in Kombination mit einem Chat als User Interface. Nun hätten wir versuchen können, eine eigene Modellierungssprache für Chats zu entwickeln – das haben wir zum Glück nicht gemacht.
Unser Vorteil war, dass wir als Münsteraner Wirtschaftsinformatiker intensiv Prozessmodellierung behandelt haben. So bietet BPMN als globaler Standard für Prozessmodellierung bereits Lösungen für die Herausforderungen, die im Laufe der Prozessmodellierung auftauchen können. Wir haben BPMN dabei für die Plattform adaptiert, und unsere Module enthalten bereits Fachlichkeit – eine Eigenschaft, die bei unseren Kunden als entscheidendes Merkmal von LoyJoy gesehen wird.
Worauf achtet ihr bei der Gestaltung der User Interfaces für die Kunden?
Bei jeder neuen Funktion fragen wir uns zuerst: Wie können wir diese Ergänzung so gestalten, dass Nichtinformatiker/-innen sie selbsterklärend nutzen können? Was für das Chatbot Interface gilt, muss auch das LoyJoy-Back-End erfüllen – unser namensgebender Anspruch des Joy-Faktors. Die User Experience soll also auch dort Spaß machen.
Zwischen dem ersten Entwurf der UX und der finalen Implementierung liegen oft Welten. Erst wenn nichts mehr weggelassen werden kann, gibt es grünes Licht.
Wie schafft ihr den Spannungsbogen zwischen Komplexität des Dialogs und einer möglichst einfachen Bedienbarkeit für die Designerinnen bzw. Ersteller eurer Conversational-Plattform?
Wir haben heute den Luxus, dass uns für neue Funktionen in der Regel ein oder mehrere Pilotkunden zur Verfügung stehen. Wir implementieren also nicht auf der grünen Wiese, sondern verproben schon vor dem Release reale Kundenszenarien. Wir schauen dann nach dem Paretoprinzip, welche Standardeinstellungen wir wählen und welche Funktionen im Vordergrund stehen. Für fortgeschrittene Nutzerinnen und Nutzer gibt es meist weitere Einstellungsmöglichkeiten.
Wir gehen dafür lieber einen längeren Weg in der Entwicklung, als möglichst viele Features zu veröffentlichen. Dabei lernen wir immer wieder dazu und hinterfragen bestehende Bedienbarkeiten. Diese iterative Verbesserung nehmen die Kunden unglaublich positiv auf.
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Leadgenerierung mittels Chatbots
Ein spannender Anwendungsfall für Chatbots ist die Leadgenerierung aus Social Media. Wie kann ein Chatbot zur erfolgreichen Gewinnung von Interessenten eingesetzt werden und welche Vorteile ergeben sich im Vergleich zu klassischer Werbung?
In Social Media ist die Aufmerksamkeitsspanne der Kunden sehr begrenzt. Biete ich dort, zum Beispiel im Rahmen einer Instagram-Story, einen Chatdialog an, zieht das die Kunden in den Bann. Im Gegensatz zu Webseiten baut sich der Dialog nach und nach auf und ist ganz natürlich interaktiv. Als Kunde habe ich die Möglichkeit, die Experience durch mein Verhalten mitzugestalten.
Werden dann noch wohldosierte Gamification-Elemente hinzugefügt – wie LoyJoy sie bietet–, schaffen es unsere Kunden ihre Conversion Rate zu verdreifachen. Chat über die Conversational Cloud wird damit zum zeitgemäßen und mächtigen Marketinginstrument.
Können Interessenten ohne Medienbruch auch ein Produkt oder eine Dienstleitung direkt aus der Konversation mit dem Bot heraus erwerben? Welche Möglichkeiten zur Integration in bereits bestehende Prozesse des Unternehmens stehen grundsätzlich zur Verfügung?
Das Stichwort lautet Conversational Commerce. Als Kunde mag ich die individualisierte Produktberatung per Chat. Und dann möchte ich nicht erst auf eine Shopseite wechseln müssen, das empfohlene Produkt suchen, in den Warenkorb legen und zum Check-out gehen. Ich will direkt aus dem Chat heraus kaufen.
Mit unserer neuen Shopify-Integration bieten wir diese bequeme und nahtlose Möglichkeit an. Weitere Schnittstellen zu Systemen wie Shopware, Magento und Hybris sind in Planung.
Zukunftsaussicht digitale Assistenten für die kommenden Jahre
Was ist in diesem Bereich zukünftig noch vorstellbar?
Für uns ist Chat künftig das zentrale Medium der gesamten Kundeninteraktion. Von Lead über Purchase und Retention bis Loyalty kann ich sämtliche Anliegen ohne Medienbruch die gesamte Wertschöpfungskette entlang im Dialog erleben – also weitaus mehr als nur das typische Beantworten von Servicefragen. Das ist unser Anspruch.
Wir sind überzeugt, dass die Customer Experience das wesentliche Unterscheidungsmerkmal von Unternehmen sein wird. Und Kunden lieben die Einfachheit des Chats – eines Interface, das sich von selbst erklärt.
Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz dabei?
KI ist eine der tragenden Säulen der Plattform und kommt aktuell vor allem an drei Stellen zum Einsatz: erstens dort, wo die Kunden es auch am meisten vermuten: als Natural Language Processing, also bei der Verarbeitung von natürlich sprachlichen Eingaben der Kunden. Ein NLP-Algorithmus klassifiziert die Kundenfragen und kann automatisch Prozesse steuern oder an Kundenberater/-innen abgeben.
Der zweite Bereich ist die Bilderkennung, die man vielleicht nicht unbedingt im Chat erwartet. Beispielsweise können Kunden Dokumente im Chatprozess fotografieren, und diese können automatisch klassifiziert werden. Prozesse werden so effizienter und für die Kunden schneller – ein positiver Aha-Effekt.
Der dritte Bereich ist die intelligente Prozesssteuerung. Wenn ich im Chat bestimme Entscheidungen treffe, können KI-gesteuerte Prozessmodule dynamisch bestimmen, was die Next Best Activity für mich wäre – zum Beispiel ein Cross-Selling-Angebot oder eine Kundenbefragung. In dieses Thema investieren wir gerade.
In allen Bereichen entwickelt sich die KI dank einer globalen Forschungsgemeinde rasant weiter. Wir behalten diese Entwicklung eng im Blick und gestalten auch mit. So stellen wir regelmäßig Abschlussarbeiten zu KI-Themen wie NLP und Image Recognition. Hier konnten wir schon Top-Publikationen veröffentlichen und auch Auszeichnungen mitnehmen. Im Team haben wir KI-Spezialistinnen und -Spezialisten, die aktuelle Entwicklungen nach ihrem Impact auf reale Kundenszenarien bewerten. Kurzlebige Hype-Themen ersparen wir unseren Kunden lieber.
Herzlichen Dank für das Interview!
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