Ermittlung des Zinsschocks
Bei der Ermittlung der Auswirkungen des sog. Zinsschocks wird die Auswirkung eines ad-hoc(„über Nacht“)-wirkenden Zinsschocks (Parallelverschiebung oder Änderung der Struktur der Zinskurve) auf den Barwert aller zinssensitiven Positionen des Bankbuchs, d. h. Aktiv- und Passivpositionen sowie Derivate, quantifiziert.
Sollte der so ermittelte Barwert nach Anwendung des Zinsschocks unterhalb des Ausgangsbarwerts liegen, ergibt sich ein Barwertverlust, welcher das Risiko für das zugehörige Zinsszenario darstellt. Der Zinsschock ist als zentrales Instrument zur Risikoquantifizierung in Artikel 98 der CRD IV bzw. den überarbeiteten CRD V verankert und wird durch die nationalen und europäischen Aufsichtsbehörden in Form entsprechender unmittelbar gültiger Regularien (EBA/GL/2018/02 und BaFin-Rundschreiben 06/2019 (BA)[1]) umgesetzt.
Unterscheidung in Standardtest und Frühwarnindikator
Gemäß den genannten regulatorischen Vorschriften wird für den Zinsschock zwischen dem Standardtest und dem Frühwarnindikator unterschieden:
Der Standardtest umfasst einen währungseinheitlichen +/-200-Basispunkte-Zinsschock, also eine Parallelverschiebung der gesamten Zinsstrukturkurve um 200 Basispunkte nach oben und unten. Die negativere der so ermittelten Barwertveränderungen wird ins Verhältnis zu den vorhandenen regulatorischen Eigenmitteln (Kern- und Ergänzungskapital, CET1 + AT1 + T2) gesetzt. Der Quotient aus Barwertverlust und Eigenmitteln wird auch als Zinsrisikokoeffizient bezeichnet. Sollte sich im Standardtest ein Wertverlust von mehr als 20 Prozent der Eigenmittel ergeben, handelt es sich gemäß den geltenden BaFin-Regularien um ein Institut „mit erhöhtem Zinsänderungsrisiko“. Ab diesem Schwellenwert sind die Aufsichtsbehörden angehalten, aufsichtsrechtliche Maßnahmen zu prüfen (z. B. Anforderung einer zusätzlichen Eigenkapitalunterlegung).
Der Frühwarnindikator nutzt die durch BCBS #368 initial definierten und über die EBA/GL/2018/02 aufgegriffenen sechs währungsspezifischen Zinsszenarien (sog. BCBS-Szenarien). Neben einer Parallelverschiebung der Zinsstrukturkurve nach oben und unten werden hier unter anderem eine Versteilung, eine Verflachung sowie ein Anheben und Absenken der kurzfristigen Stützstellen betrachtet. Die Szenarien sind in Abhängigkeit von der betrachteten Währung ausgestaltet und können sich somit bspw. zwischen Schweizer Franken (CHF) und dem Euro (EUR) unterscheiden. Der über die sechs Zinsszenarien ermittelte maximale Barwertverlust wird ins Verhältnis zum Kernkapital (CET1 + AT1) gesetzt. Somit gilt für den Frühwarnindikator neben einer erweiterten Szenario- auch eine verschärfte Kapitaldefinition. Der Schwellenwert liegt hier bei 15 Prozent, zieht jedoch keine unmittelbaren aufsichtsrechtlichen Konsequenzen nach sich.
Methodische Vorgaben zum Aufstellen und Modellieren des Zinsschocks
Sowohl für den Standardtest als auch für den Frühwarnindikator gilt eine Vielzahl methodischer Vorgaben zum Aufstellen und Modellieren des zinsrisikoäquivalenten Cashflows sowie für die zu verwendenden Diskontierungskurve und die einzubeziehenden Währungen. Diese Vorgaben vereinfachen die Interpretation der Risikowerte durch die Aufsicht und erhöhen gleichzeitig die Vergleichbarkeit zwischen einzelnen Instituten.
Der Zinsschock bzw. die Szenarien des Standardtests (+/-200 Basispunkte) werden auch im Kontext anderer Regularien als Eingangsgrößen genutzt, wie z. B. zur Ermittlung des Eigenkapitalzuschlags für Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch im Rahmen des LSI-SREP.[2]
Im Rahmen der Novellierung der CRD soll zukünftig auch ein periodischer Ausreißertest definiert werden. Eine genauere Spezifizierung der Szenarien, der anzuwendenden Methodik sowie der Schwellenwerte wird über einen technischen Regulierungsstandard der EBA geregelt.[3]