Kryptowerte gemäß IFRS: Durchbruch in der Kryptobilanzierung?

Ein turbulentes Jahr 2022 liegt hinter der Kryptobranche. Erhebliche Wertverluste, Betrugsversuche, Veruntreuung von Kundengeldern (beispielsweise der FTX-Skandal) sowie Insolvenzen relevanter Kryptobörsen destabilisieren den Markt und beeinträchtigen neben Privatanlegenden auch Unternehmen, die in der Vergangenheit vermehrt erhebliches Interesse an Kryptowerten aufgebaut haben.

Trotz dieser jüngsten Entwicklungen bleibt der Kryptomarkt mit einer Gesamtmarktkapitalisierung von knapp 1 Billion EUR hochrelevant.[1] Daher ist eine umfassende Regulierung des Sektors mit soliden Standards essenziell, um Transparenz zu fördern und das Vertrauen in Kryptowerte wiederherzustellen. Im Folgenden wird auf die in der Praxis anwendbaren Bilanzierungspraktiken nach IFRS eingegangen.

Transparenz ist alles: Kryptowerte im Bilanzierungsprozess

Eine (global) einheitliche Regulierung der Kryptobranche spielt eine entscheidende Rolle für die Schaffung von vertrauenswürdigen Produkten und Strukturen sowie die gleichzeitige Minimierung von Risiken. Von unabhängigen Finanzinstitutionen kontrollierte Regulierungsvorschriften tragen dazu bei, das Vertrauen der privaten und institutionellen Anlegenden zu steigern, Betrugsversuche zu verhindern und die Finanzstabilität des Markts zu sichern.

Aufgrund von Interdependenzen zum internationalen Finanzmarkt ist im Falle einer andauernden Krise innerhalb des vergleichsweise unregulierten Kryptomarkts zu erwarten, dass auch die Stabilität des gesamten Markts beeinträchtigt wird. Ohne entsprechende Regulatorik kann diesem Dominoeffekt nur schwer entgegengewirkt werden.

Ein bisher noch verhältnismäßig wenig diskutiertes Thema stellt die ordnungsgemäße rechnungslegungsseitige Erfassung und Bewertung von Kryptowerten zur Herstellung von Transparenz und Vergleichbarkeit in der Finanzberichterstattung dar. Bis dato besteht dazu nach wie vor kein einheitlicher IFRS-Standard. 

Da die internationalen Rechnungslegungsstandards Kryptowerte[2] nicht explizit behandeln, werden anwendbare Bilanzierungspraktiken aktuell anhand von bestehenden IFRS abgeleitet. Dabei bieten die Vorschläge und Einwertungen der durch das IFRS Interpretations Committee veröffentlichten Agendaentscheidung[3] sowie das Diskussionspaper der EFRAG[4] eine Orientierungshilfe für die Praxis. Dieser Artikel fasst die darin abgeleiteten Leitlinien zum Ansatz von Kryptowerten zusammen.

Kategorisierung von Kryptowerten als Form von digitalen Assets

Die Feststellung von anwendbaren Rechnungslegungsstandards hängt von den Eigenschaften bzw. der Verwendung der jeweiligen Kryptowerte ab. Obwohl bislang kein allgemeingültiges Rahmenwerk zur Klassifizierung von Kryptowerten oder eine Legaldefinition für diese existiert, bestehen bereits mehrere Taxonomien mit jeweils unterschiedlichen Zielsetzungen (z. B. MiCAR, EFRAG, Basler Ausschuss etc.). Für die hier relevante Accounting-Sicht erfolgt die Kategorisierung in Anlehnung an die EFRAG-Taxonomie, die sich an den ökonomischen Funktionen bzw. Verwendungsabsichten der unterschiedlichen Kryptowerte orientiert.

Im Wesentlichen können drei Kategorien unterschieden werden, die sich nach dem Zweck des jeweiligen Assets richten.

  • Während „Zahlungstoken“ maßgeblich als Zahlungsmittel(‑äquivalent) und als Tauschmittel verwendet werden,
  • können „Anlagetoken“ als Forderungstitel sowie als Anlagemöglichkeiten verstanden werden.
  • Als dritte Kategorie können die „Nutzungstoken“ gefasst werden, welche den Inhabenden gewisse Rechte zur Nutzung bestimmter Produkte oder Dienstleistungen einräumen.[5]

Nachfolgend sind die einzelnen Kategorien unter Berücksichtigung ihrer ökonomischen Funktion samt den darunter gefassten digitalen Assets zusammengestellt:

Kryptowerte: Kategorisierung in Form von digitalen Assets
Abbildung 1: Kategorisierung von Kryptowerten als Form von digitalen Assets

In Abhängigkeit von der jeweiligen Ausprägung und Anwendungsmöglichkeit des Tokens können Vorschläge für die Rechnungslegung abgeleitet werden. Diese werden für die einzelnen Kategorien im Folgenden näher erörtert.

Es gilt zu beachten, dass bestimmte Kryptowerte Eigenschaften aus mehreren Kategorien umfassen können, sogenannte hybride Token“, welche allerdings nicht Teil dieser Betrachtung sind. Zudem werden weitere abgeleitete Anlageinstrumente wie Kryptowährungsfonds hier nicht näher behandelt.

Bilanzierung von Zahlungstoken (auch: Payment-Token)

Da Payment-Token oft als Tauschmittel verwendet werden, ist es naheliegend, diese als Zahlungsmittel zu bilanzieren. Gemäß IAS 7.6 werden darunter sowohl Barmittel als auch Sichteinlagen verstanden. Da es sich bei den Kryptowerten nicht um Sichteinlagen bei Kreditinstituten handelt, kann letztere Möglichkeit ausgeschlossen werden.

Um die Kriterien des Barmittels zu erfüllen, müsste der Token als Barguthaben in Euro oder einer ausländischen Währung vorliegen. Es ist zwar zulässig, zu argumentieren, dass virtuelle Währungen unter den Begriff der ausländischen Währung fallen können, jedoch scheitert die Klassifizierung zumeist an der spärlichen staatlichen Anerkennung von Kryptowerten als offizielles Zahlungsmittel. Aus diesem Grund erfüllen Payment-Token nicht die Voraussetzungen eines Zahlungsmittels unter IFRS-Gesichtspunkten.

Eine mögliche Ausnahme stellen die Stablecoins dar, welche eine Sonderform der Payment-Token abbilden und zumeist an eine Fiatwährung gekoppelt sind (z. B. an den Dollar). Hier wäre eine Definition als Zahlungsmittel(‑äquivalent) denkbar und folglich die Bilanzierung nach IAS 7 zulässig. Ebenso verhält es sich bei den Central Bank Digital Currencies (CBDC), welche (perspektivisch) durch eine Zentralbank emittiert werden sollen und damit den Charakter eines offiziellen Zahlungsmittels aufweisen könnten.

Nach den in einschlägiger Fachliteratur getroffenen Einschätzungen kommen für die Bilanzierung von Kryptowährungen die Vorschriften für Vorräte gemäß IAS 2 oder immaterielle Vermögenswerte nach IAS 38 in Abhängigkeit vom Haltezweck zum Tragen. IAS 2 betrifft Vermögenswerte, deren Halteabsicht der Verkauf im normalen Geschäftsgang ist. Somit kann dieser Standard zur Anwendung kommen, wenn die Assets zum Verkauf und damit nicht zu Investitionszwecken gehalten werden und dies im Rahmen der üblichen Geschäftstätigkeit des Unternehmens liegt. In diesem Falle erfolgt die Bewertung grundsätzlich zum niedrigeren Wert aus Anschaffungskosten und Nettoveräußerungswert.

Erfüllt die Kryptowährung die Anforderungen des IAS 2 nicht, sollte der Anwendungsbereich von IAS 38 als immaterieller Vermögenswert geprüft werden, der als ein identifizierbarer, nicht monetärer Vermögenswert ohne physische Substanz definiert ist. Diese Tatbestände sind durch die Kryptowährungen i. d. R. einschlägig, weshalb Kryptowerte außerhalb des IAS 2 als immaterielle Vermögenswerte nach IAS 38 zu bilanzieren sind. In dessen Rahmen kann die Bewertung der Kryptowerte anhand des Anschaffungskosten- oder Neubewertungsmodells erfolgen. Letzteres kann allerdings nur dann angewendet werden, wenn der beizulegende Zeitwert anhand eines aktiven Markts bemessen werden kann.

Somit können Kryptowährungen, welche über einen feststellbaren Marktpreis verfügen, entweder zu Anschaffungskosten oder zum beizulegenden Zeitwert bewertet werden. Da die gängigeren Kryptowährungen grundsätzlich alle über einen aktiven Markt verfügen, kann dieses Wahlrecht bzw. die jeweilige Ansatzentscheidung tendenziell erhebliche Ergebniswirkung bedeuten.

Bilanzierung von Anlagetoken

In Abgrenzung zu den Kryptowährungen existieren noch weitere Kryptowerte, die u. a. den Charakter eines digitalen Forderungstitels bzw. Anlageguts aufweisen. Anlagetoken werden i. d. R. nicht als Tauschmittel verwendet, sondern verleihen der/dem Inhabenden gewisse Rechte an Eigentum oder physischen Vermögenswerten. Dementsprechend wird diesen Token ebenfalls kein Bargeldcharakter zugeschrieben, und eine Bilanzierung als Zahlungsmittel nach IFRS ist unwahrscheinlich.

Bestimmte Anlagetoken stellen tokenisierte Wertanlagen dar, die der Inhaberin bzw. dem Inhaber gegenüber dem Emittenten das Recht verleihen, künftig Bargeld oder einen finanziellen Vermögenswert zu erhalten (beispielsweise in Form von Gesellschaftsrechten). Security-Token, die in ihrer Art und Beschaffenheit einem Wertpapier ähneln, sind vor diesem Hintergrund zu bewerten. Diese Token stellen oft ein vertragliches Recht auf Beteiligung an den zukünftigen Gewinnen des Emittenten dar, weshalb eine Bilanzierung nach IAS 32 als finanzielle Vermögenswerte in Betracht kommt. Für die Bilanzierung von Token, welche die Voraussetzungen eines finanziellen Vermögenswerts erfüllen, müssen Unternehmen die Vorgaben nach IFRS 9 beachten.

Während Security-Token nur einen wertpapierähnlichen Charakter haben, ist mit Inkrafttreten des elektronischen Wertpapiergesetzes (eWpG) auch die Möglichkeit zur Emission von Kryptowertpapieren geschaffen worden. Es handelt sich dabei um einen Sonderfall der elektronischen Wertpapiere, die keiner papierhaften Urkunde mehr bedürfen, im Gegensatz zum Security-Token depotverwahrt werden und in einem Kryptowertpapierregister einzutragen sind. Die Rechte der Käuferin bzw. des Käufers sind bei klassischen und elektronischen Wertpapieren jedoch identisch, weshalb anzunehmen ist, dass die Bilanzierung des Kryptowertpapiers dem anzuwendenden Standard für finanzielle Vermögenswerte genügt und damit nach IFRS 9 zu bewerten ist.

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Eine weitere Ausprägung dieser Rubrik stellt der Asset-Backed Token dar, welcher an ein Anlagegut wie eine Immobilie oder Rohstoffe geknüpft ist. Die Bindung an eine Anlageposition hat zur Folge, dass sich die Bilanzierung dieses Tokens nach der Art des dahinterliegenden Basiswerts richtet und dieser den relevanten Bilanzierungsstandard vorgibt (z. B. kommt für als Finanzinvestition gehaltene Immobilien in Form eines Asset-Backed Tokens IAS 40 in Betracht).

Bilanzierung von Nutzungstoken

Nutzungstoken (hier: Utility-Token) stellen eine gesonderte Form von Token dar. Sie verleihen den Inhabenden üblicherweise ein Recht auf Zugang zu oder Nutzung von bestimmten Produkten oder Dienstleistungen. Oftmals handelt es sich dabei um eine Vorauszahlung auf diese Produkte oder Dienstleistungen, weshalb eine Bilanzierung als sonstige Vorauszahlung einschlägig ist.

Entscheidend bei der Beurteilung ist wiederum die Halteabsicht. Plant das Unternehmen die zugrunde liegenden Vermögenswerte zu nutzen bzw. zu erhalten, kann es sich um eine Vorauszahlung handeln. Soll der Token allerdings gehandelt werden bzw. plant das Unternehmen nicht, die Produkte oder Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, wäre eine Bewertung als Vorauszahlung nicht angemessen, und die Regelungen für immaterielle Vermögenswerte gemäß IAS 38 wären heranzuziehen.

Fazit: Kryptowerte im Bilanzierungsprozess – Wo steht die Praxis?

Obwohl Kryptowerte seit einigen Jahren stark im Fokus der Finanzindustrie stehen, ist deren bilanzielle Behandlung weder klar definiert noch reguliert. In der Praxis wird versucht, unter Einbeziehung einer initialen Klassifizierung des Vermögenswerts auf bereits bestehende IFRS-Ansätze zurückzugreifen. Allerdings berücksichtigen diese etablierten Standards nicht die Komplexität und besondere Beschaffenheit von Kryptowerten, deren verschiedene Funktionen und Ausprägungen zu unterschiedlichen bilanziellen Einschätzungen führen.

Aus diesem Grund kann ein Anpassungs- oder Erweiterungsbedarf der bestehenden IFRS festgestellt werden, um die Charakteristika der Token in das Rahmenwerk einzuschließen und damit umfassende Richtlinien für Unternehmen zu schaffen. Klar definierte Vorgaben tragen wiederum dazu bei, den Unternehmen mehr Sicherheit im Umgang mit Kryptowerten zu geben.

Unabhängig von etwaigen, zukünftigen Vorstößen in der Regulierung und in der Rechnungslegung sollten sich Finanzinstitute bewusst sein, dass der aktuelle bilanzielle Rahmen Raum für verschiedene Interpretationen zur Behandlung von Kryptowerten lässt. Dadurch fällt die Einordnung dieser Instrumente in bestehende Buchhaltungssysteme bzw. Kontenpläne (noch) leicht, und es ergeben sich gegebenenfalls Potenziale für bilanzpolitische Maßnahmen, beispielsweise indem nach IAS 8 selbst definierte Bewertungsmaßstäbe festgelegt werden.

Auf der anderen Seite kann eine Reform der Bilanzierung von Kryptowerten dazu führen, dass bisherige Praktiken neu ausgelegt werden und ein Anpassungsbedarf in der Bewertungsmethodik sowie im Jahresabschluss entsteht. Aus diesem Grund sollten Institute, die aktuell entsprechende Instrumente halten und/oder Investitionen in Kryptowerte planen, frühzeitig die Implikationen auf die Rechnungslegung (in Abstimmung mit dem verantwortlichen Wirtschaftsprüfungsunternehmen) einschätzen und bewerten. Auch die entsprechende Eingliederung in weitere komplementäre Vorschriften zu Kryptowerten (z. B. Rahmenwerk des Basler Ausschusses zur aufsichtsrechtlichen Behandlung von Kryptoasset-Exposure, Geldwäschegesetz etc.) sollte hierbei beachtet werden.

[1] CoinMarketCap, Stand 19.02.2023.
[2] Kryptowerte (auch Kryptoassets) sind digitale Darstellungen eines Werts, die als Tausch- oder Zahlungsmittel akzeptiert werden oder Anlagezwecken dienen und auf elektronischem Wege übertragen, gespeichert und gehandelt werden können. Sie stellen somit eine Form von digitalen Assets dar.
[3] Titel: Holdings of Cryptocurrencies—June 2019.
[4] Titel: Accounting for Crypto-Assets (Liabilities): Holder and Issuer Perspective.
[5] Die Begriffe „Zahlungstoken“, „Anlagetoken“ und „Nutzungstoken“ wurden abgeleitet, um eine Klassifizierung im Sinne der Bilanzierung zu vereinfachen. Eine einheitliche Bezeichnung für diese Kategorien besteht in der Fachliteratur nicht.

Was meine Sie, Kryptobilanzierung gemäß IFRS: Blackbox oder kommt (langsam) Licht ins Dunkel?

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Julian Schmeing / Autor BankingHub

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