Ohne das Stichwort „Blockchain“ kommt heute kein Innovationsevent oder FinTech-Blog aus
– trotzdem sind die Anwendungsbereiche bis dato rar.
In einem vorherigen Artikel auf dem BankingHub haben wir bereits Licht auf das „Was ist die Blockchain?“ geworfen, daher soll in diesem Artikel das „Wofür ist die Blockchain?“ näher behandelt werden. Der Fokus fällt hierbei auf die Möglichkeiten der Anwendung von Blockchain im Retail Banking, welche wir in drei Gruppen einteilen: Identitätsmanagement, Vertragsmanagement und Zahlungsverkehr.
Identitätsmanagement
Die Feststellung der Identität des Kunden kommt in der Kunde-Bank-Beziehung häufig vor und ist für beide Seiten mit größerem Aufwand verbunden. Um Know-your-customer-Regularien sowie Geldwäsche-Richtlinien zu erfüllen, müssen nicht nur Ausweispapiere der Neukunden kontrolliert werden, sondern oftmals auch eine tief gehende Prüfung der Geschäftsbeziehung durchgeführt werden. Für diese Prüfung werden derzeit verschiedenste Lösungen verwendet – von der manuellen Prüfung durch einen Mitarbeiter in der Filiale über Ausweiskopie per Post bis hin zu modernen Verfahren wie Videochat (beispielsweise über IDnow oder WebID). Diese Lösungen sind aber weder für Kunden noch für das Institut optimal. Zusätzlich muss der Kunde ein solches Verfahren, wenn er ein neues Konto eröffnen möchte, immer wieder von vorne beginnen und kann eine zuvor erfolgte Legitimation – z. B. bei einer anderen Bank – nicht weiterverwenden. Hier kommt die Blockchain mit ihrer Unveränderbarkeit ins Spiel. Im Bereich der Kunst gibt es bereits solche Identitätsfeststellungen, die es Kunstsammlern ermöglichen, die Authentizität eines Werkes einfach und schnell zu überprüfen. Diese Lösungen funktionieren im digitalen Bereich ähnlich wie eine digitale Signatur. Im Kunsthandel mit physischen Werken setzen diese Technologien entweder auf das Anbringen eines speziellen Wasserzeichens, das die Authentizität eines Werkes beweist, oder auf die lückenlose Aufzeichnung aller Transaktionen. Letztere Lösung hängt jedoch von autorisierten Stellen ab, die die Echtheit eines Werkes verifizieren können, und der durchgängigen Nutzung der Technologie bei jedem Weiterverkauf. Die Anwendung ist auf das Banking ausweitbar und folgender Fall könnte bald Realität werden:
Ein Kunde verifiziert seine persönlichen Daten bei einer autorisierten Stelle. Das können beispielsweise Banken, aber auch Ämter oder spezialisierte Firmen sein. Von nun an sind diese Daten mittels Public-Private-Key-Verfahren[1] von jedem Teilnehmer der Blockchain überprüfbar. Somit kann der Kunde sowohl ein neues Bankkonto eröffnen als auch die Steuererklärung beim „Online-Finanzamt“ unterschreiben, ohne lange KYC-Fragebogen ausfüllen zu müssen.
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Diese Vereinfachung für den Kunden ermöglicht auch Banken einfachere Prozesse, indem sie Onboarding-Prozesse komplett automatisieren sowie auch weitergehende Prüfungen automatisiert und schnell durchführen können. Die Prüfung der Kunden hinsichtlich US-Steuerpflicht, die durch FATCA (Foreign Account Tax Compliance Act) vorgegeben ist, kann ebenfalls vereinfacht werden. Speziell ein von US-Behörden abgenommenes, rechtssicheres Verfahren würde diese Prüfung für Banken deutlich vereinfachen und sehr interessant machen.
Die Anwendung der Blockchain im Identitätsmanagement ist jedoch nicht nur auf das Onboarding begrenzt, sondern kann auch für das Abschließen weiterer Services im Laufe der Kundenbeziehung verwendet werden – die zuvor genannte Identitätsfeststellung kann die Unterschrift ersetzen.
Für Banken bedeutet das aber nicht nur die Vereinfachung von Prozessen, sondern besitzt auch das Potenzial, neue Geschäftsfelder zu erreichen. Da Banken in Deutschland trotz Finanzkrise immer noch hohes Vertrauen in der Bevölkerung genießen, gibt es hier Potenzial, einen Autorisierungsservice gegen Gebühr anzubieten – ähnlich wie PostIdent, nur mittels Blockchain.
Verträge
Die zweite große Anwendungsmöglichkeit der Blockchain im Retail Banking betrifft Verträge und dabei insbesondere die Vertragsabwicklung. Die Blockchain ist nicht auf das Speichern von Informationen wie Kontostand oder Geburtsdatum beschränkt, sondern kann Funktionen abspeichern. Konkret heißt das, dass wesentliche Vertragsbestandteile automatisch ausgelöst werden können. Die Anwendungen dieser sogenannten „Smart Contracts“ sind zahlreich, wie unten stehendes Beispiel zeigt:
Ein Kunde schließt einen Konsumentenkredit ab, um ein neues Entertainmentsystem zu finanzieren. Solange der Kunde die vereinbarten Raten bezahlt, erhält er vollen Zugriff auf das System. Sollte jedoch eine Rate ausbleiben, bleibt der Bildschirm schwarz.
Dieser Gedanke lässt sich nun beliebig fortführen und auf andere Bankprodukte wie Autofinanzierung und Baufinanzierung ausweiten. Insbesondere die Kombination mit dem Internet der Dinge eröffnet große Möglichkeiten für Banken, ihre vertraglichen Rechte durchzusetzen, ohne den Umweg über ein Inkassobüro oder das Gericht zu gehen. Kunden, die solche Verträge akzeptieren, könnten günstigere Vertragskonditionen bekommen. Das Konzept erinnert an Versicherungskunden, die verringerte Prämien zahlen können, wenn sie ihre Fitness- und Bewegungsdaten mit der Versicherung teilen. Aktuelle Gesetze beachten Smart Contracts jedoch noch nicht; eine neue Rechtslage könnte diesen Plänen einen Strich durch die Rechnung machen.
Smart Contracts sind jedoch nicht nur ein Segen für Banken, sondern können das Geschäftsmodell direkt angreifen. Privatkunden können etwa beim Auto- oder Hauskauf die Finanzierung direkt mit dem Verkäufer vereinbaren und somit Banken zum Zusehen verdammen. In eine ähnliche Kerbe schlägt das P2P-Lending, das im Moment immer noch eine Bank im Hintergrund benötigt, aber in Zukunft mittels Smart Contracts komplett ohne auskommen könnte – ein direkter Angriff auf das Kerngeschäft einer Retail Bank.
Zahlungsverkehr
Das dritte Anwendungsgebiet der Blockchain betrifft den Zahlungsverkehr direkt. Besonders der internationale Zahlungsverkehr kann mithilfe von Blockchain deutlich vereinfacht und beschleunigt werden. Dauert es im Moment noch einige Tage und kostet nennenswerte Gebühren, um Zahlungen international durchzuführen, ermöglicht es die Blockchain nahezu sofort und mit minimalen Transaktionsgebühren. Blockchain-basierte Zahlungsverkehrsprotokolle wie Ripple haben das Potenzial, zentralisierte Systeme wie SWIFT abzulösen und das Geschäftsmodell der wenigen Großbanken im Bereich Cash Management anzugreifen. Ripple ist in diesem Kontext das System, das bereits in der Praxis wie z. B. von Santander eingesetzt wird und funktioniert folgendermaßen:
Kunde A weist seinen Gateway (z. B. Bank) an, einen Betrag an Kunde B zu übertragen. Ein Algorithmus versucht nun, den kürzesten Weg zwischen den Gateways der Kunden zu finden und führt die Transaktion beim nächsten Update der Blockchain aus.
Eine weitere Anwendung von Blockchain im Zahlungsverkehr ist natürlich Bitcoin, das in einem früheren BankingHub Artikel schon näher erklärt wurde. Trotz der zeitweisen Popularität der Währung ist es wohl nicht zu erwarten, dass Bitcoin das gängige Währungssystem ersetzt. Jedoch ist es durchaus vorstellbar, dass sich Bitcoin für bestimmte Zwecke durchsetzt. Wer im Moment Bitcoin oder andere Kryptowährungen erstehen oder verwalten möchte, ist auf die Dienste von sogenannten Wallets angewiesen. Diese sind jedoch nicht immer einfach zu bedienen und mitunter nicht besonders sicher, wie einige Hackerangriffe in der Vergangenheit gezeigt haben. Hier können Banken als Kryptowährungsverwalter und ‑zahlungsabwickler zusätzliche Geschäftsfelder für sich entdecken und sowohl den Vertrauensvorschuss aus der Bevölkerung sowie die sicheren und leistungsfähigen IT-Systeme nutzen, um sich gegenüber anderen Anbietern zu profilieren.
Ob und wie bald sich Blockchain im Retail Banking durchsetzt, bleibt abzuwarten. Wie alle netzwerk-abhängigen Technologien hängen der Nutzen und auch die Sicherheit der Technologie stark von der Anzahl an Usern ab. Dennoch zeigen Santander mit Ripple und natürlich auch Bitcoin, dass Nachfrage nach Anwendungen auf der Blockchain-Technologie besteht.
[1] Der öffentliche Schlüssel (Public Key) wird verwendet, um den Sender zu authentifizieren, während der private Schlüssel (Private Key) zur Ver-/Entschlüsselung der Daten verwendet wird.