Erfolgsfaktor Mitarbeitergesundheit: Kultur als Allheilmittel?

Die Krankheitstage erreichen in Deutschland 2023 im zweiten Jahr in Folge ein trauriges Rekordhoch. Die Ursachen hierfür sind vielschichtig. Was gleich bleibt, sind die enormen betriebswirtschaftlichen Einbußen, die sich hieraus für Unternehmen ergeben – rund 150 Milliarden Euro. Das sind die durchschnittlichen Kosten, die der deutschen Wirtschaft im Jahr 2023 durch Produktivitätsverluste entstanden sind. Allein die jährlichen Personalersatzkosten pro Arbeitskraft betragen im Schnitt das Zweifache des Gehalts.[1] Was können Arbeitgeber tun, um die eigene Leistungsfähigkeit zu schützen, und welche Rolle spielt eine gesunde Unternehmenskultur wirklich?

Wenn Unternehmen über Möglichkeiten nachdenken, die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden zu verbessern, sprechen sie in der Regel über Maßnahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements – ergonomische Arbeitsplätze, die Förderung einer gesunden Ernährung oder subventionierte Sportangebote sind nur einige Beispiele. Aber sind höhenverstellbare Schreibtische, der obligatorische Obstkorb und die vergünstigte Mitgliedschaft im lokalen Fitnessstudio wirklich die einzigen Einflussmöglichkeiten, die einem Unternehmen zur Gesunderhaltung der eigenen Belegschaft zur Verfügung stehen?

Mit Blick auf die nur schwer messbare Wirkung dieser Maßnahmen ist die glückliche Antwort: Nein! Denn die Wissenschaft bietet einen weiteren, nicht zu unterschätzenden Wirkungshebel zur Förderung der Mitarbeitergesundheit: eine gesunde Unternehmenskultur.

Auswirkungen unzureichender Mitarbeitergesundheit deutlich spürbar

Knapp einen Monat sind Erwerbstätige im Schnitt krankgeschrieben – Tendenz steigend.[2] Dabei sorgen insbesondere psychische Erkrankungen, beispielsweise aufgrund von Belastungsreaktionen oder Anpassungsstörungen, für zunehmende Fehltage.[3] Neue strukturelle Bedingungen der Arbeitswelt wie die Flexibilisierung und Digitalisierung sowie gesellschaftliche Megatrends wie der stetig wachsende Fachkräftemangel verstärken die Problematik zusätzlich. Deren Folge sind Arbeitsverdichtung und zunehmende Mehrbelastung, wodurch das Stresslevel der Mitarbeitenden steigt.[4]

Neben der negativen Auswirkung auf die erkrankten Mitarbeitenden selbst haben ungeplante Abwesenheiten aber auch reale betriebswirtschaftliche Folgen.

Ausgehend von einer Vollzeitstelle und einem durchschnittlichen Gehalt liegen die Kosten allein für die Entgeltfortzahlung bei 316 Euro pro AU-Tag – im Schnitt also über 6.000 Euro pro Arbeitskraft und Jahr.[5] Hinzu kommen indirekte Kosten wie zusätzliche Personalkosten (z. B. Überstunden oder Ersatzpersonal), Produktionsverluste, Verwaltungskosten, Opportunitätskosten, Konventionalstrafen oder Kosten für eine mögliche betriebliche Wiedereingliederung. Kein Wunder, dass man teilweise auf Schätzungen von bis zu 750 Euro pro Fehltag trifft.

Mitarbeitergesundheit: Entwicklung der Fehltage (Durchschnitt pro Person) Abbildung 1: Entwicklung der Fehltage (Durchschnitt pro Person)

Neben den Kosten, die ein Unternehmen aufgrund der fehlenden Arbeitskraft zu tragen hat und die sich entsprechend direkt gewinnschmälernd auswirken, schadet unzureichende Mitarbeitergesundheit auf deutlich subtilere Art und Weise dem Unternehmenserfolg: Denn das gesteigerte Stresslevel kann auch bei der noch arbeitenden Belegschaft eine fatale Kettenreaktion auslösen. Zum einen werden wichtige Personalressourcen dadurch gebunden, die Arbeitskraft der abwesenden Kolleg:innen aufzufangen. Zum anderen können nur sowohl physisch als auch psychisch gesunde Mitarbeitende zu Höchstleistungen auffahren und so aktiv zu Unternehmenserfolg und Wachstum beitragen. Die steigenden Krankheitstage können bedingt durch eine erhöhte Belastung der verbliebenen Mitarbeitenden wiederum zu Unzufriedenheit sowie zu einer weiteren Ausweitung der Fehlzeiten führen.

Es liegen mittlerweile zahlreiche Befunde vor, die einen klaren Zusammenhang zwischen (mentaler) Gesundheit und Leistung nahelegen.[6] Dabei weisen Organisationen mit gesunden Mitarbeitenden nicht nur eine signifikant höhere Produktivität auf – gesunde Mitarbeitende sind in ihrer Tätigkeit auch tendenziell motivierter sowie engagierter, und ihre Arbeit zeichnet sich durch eine höhere Qualität aus, was sich wiederum positiv auf die Effizienz und damit den Unternehmenserfolg auswirkt.

Vor diesem Hintergrund gewinnt die Gestaltung gesunder Arbeit in Organisationen weiter an Bedeutung. Wer als Führungskraft mit dem eigenen Team bzw. als Unternehmen mit seiner Belegschaft nachhaltig erfolgreich sein will, braucht dazu ein gesundes Team bzw. gesunde Mitarbeitende. Das ist ein zentrales Argument.

Entscheidender Einflussfaktor: Psychologische Sicherheit

Die Optionen zur Stärkung der Mitarbeitergesundheit sind vielfältig und reichen von der Implementierung klassischer Gesundheitsförderungsprogramme über die Flexibilisierung von Arbeitszeitmodellen bis hin zu Themen der Führungskräfteentwicklung. Dabei können kulturelle Unternehmensaspekte wie die Art der Führung, das Arbeitsklima, die soziale Unterstützung untereinander oder das Maß an Autonomie für die Gesundheit der Mitarbeitenden genauso bedeutsam sein wie ein gesunder Lebensstil.[7] Ein beachtliches Ergebnis, nicht wahr?

Bei der Vielzahl an potenziellen Maßnahmen und einem in der Regel nur begrenzten Budget stellt sich jedoch eine grundlegende Frage: Wo sollte ein Unternehmen anfangen, um mit möglichst wenig Einsatz das bestmögliche Ergebnis erzielen zu können? Die Antwort ist einfach: mit der Förderung der Psychologischen Sicherheit. Denn das Vorhandensein von Psychologischer Sicherheit ist die Basis für eine gesundheitsfördernde Unternehmenskultur und damit auch für eine leistungsstarke Organisation.[8]

Psychologische Sicherheit (angstfreie Organisation) bezieht sich auf die Art der Zusammenarbeit und den generellen Umgang der Organisationsmitglieder untereinander. Sie beschreibt das Gefühl der Mitarbeitenden, sich frei äußern, Ideen vorschlagen, Wissen teilen, Fragen stellen und Fehler zugeben zu können, ohne Angst vor negativen Konsequenzen oder Zurückweisung durch Kolleg:innen oder Vorgesetzte.[9] Wirklich prominent wurde das Konzept im breiten Arbeitskontext aber erst durch das Forschungsprojekt „Aristoteles“ von Google, bei dem der Tech-Riese über zwei Jahre dem Geheimnis von Effektivität und Effizienz in den eigenen Reihen nachging. Dabei brachte die Untersuchung von 180 Teams Erstaunliches zutage: Zwar wirken sich auch Aspekte wie die Sinnhaftigkeit der Arbeit oder die Klarheit von Erwartungen positiv auf den Teamerfolg aus, der mit Abstand wichtigste Faktor ist jedoch Psychologische Sicherheit.[10]

Als Basis für Leistungsfähigkeit, Innovation und Wachstum legt Psychologische Sicherheit damit nicht nur die entscheidende Grundlage für alle weiteren Ebenen des Unternehmenserfolgs, sie leistet darüber hinaus einen direkten Beitrag zur Bewältigung von Stress und zur Förderung der Mitarbeitergesundheit.[11]

Mitarbeitergesundheit: Bedeutung Psychologischer Sicherheit Abbildung 2: Bedeutung Psychologischer Sicherheit

Steuerbarkeit von Psychologischer Sicherheit als zentraler Wettbewerbsvorteil

Die gute Nachricht ist: Psychologische Sicherheit ist entwickelbar – über zwei zentrale Handlungsfelder lässt sie sich im Unternehmen systematisch ausbauen:

I) Den Menschen in den Mittelpunkt stellen

Menschen ziehen ihre Motivation aus unterschiedlichen Quellen – entweder über ihren eigenen Antrieb, durch ein gut funktionierendes Team und/oder eine inspirierende Führungskraft, die ihre Mitarbeitenden entwickelt und fördert. Das Maß an Psychologischer Sicherheit steht dabei in Wechselwirkung mit diesen Motivatoren. Das bedeutet zum einen, dass Mitarbeitende tendenziell eher motiviert ihrer Tätigkeit nachgehen werden, wenn sie in einem Umfeld arbeiten, in dem Psychologische Sicherheit vorhanden ist. Zum anderen hat das Handeln des:der Einzelnen, des Teams und der Führungskraft wiederum direkte Auswirkungen auf die Psychologische Sicherheit.

Es ist demnach von entscheidender Bedeutung, dem Thema strategische Relevanz einzuräumen, um so das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Psychologischer Sicherheit zu erhöhen und gleichzeitig über den Reifegrad der Psychologischen Sicherheit innerhalb der Organisation zu informieren. Denn nur wenn Transparenz darüber herrscht, wie psychologisch sicher sich Mitarbeitende fühlen und wodurch sie wirklich motiviert werden, lassen sich hieraus gezielte Maßnahmen ableiten, um auf den verschiedenen Ebenen zu mehr Psychologischer Sicherheit beizutragen.

II) Den Einfluss von bestehenden Prozessen, Instrumenten und Strukturen analysieren und gegebenenfalls optimieren

Das zweite Handlungsfeld stellt strukturelle Aspekte in den Fokus. Durch die Ausrichtung aller relevanten Personalinstrumente auf die nachhaltige Förderung des gewünschten Verhaltens kann das Unternehmen die Etablierung eines vertrauensfördernden Umgangs langfristig sicherstellen. Gemeinsame Ziele in Verbindung mit den entsprechenden Methoden zur Steuerung wirken dabei unterstützend.

Also worauf warten Sie? Starten Sie noch heute Ihre Reise hin zu einer angstfreien Organisation und stärken Sie damit nicht nur die Gesundheit Ihrer Mitarbeitenden, sondern auch Ihren langfristigen Unternehmenserfolg!

[1] Gallup Engagement Index Germany 2023.
[2] Techniker Krankenkasse: Gesundheitsreport 2024.
[3] DAK-Psychreport 2024.
[4] DAK-Gesundheitsreport 2023.
[5] Gallup Engagement Index Germany 2023.
[6] de Oliveira, C., Saka, M., Bone, L. et al. (2023): The Role of Mental Health on Workplace Productivity: A Critical Review of the Literature. Applied Health Economics and Health Policy, 21, 167–193.
[7] Häfner, A., Pinneker, L. & Hartmann-Pinneker, J. (2019): Gesunde Führung: Gesundheit, Motivation und Leistung fördern.
[8] Edmondson, A. C. & Bransby, D. P. (2023): Psychological Safety Comes of Age: Observed Themes in an Established Literature. Annual Review of Organizational Psychology and Organizational Behavior, 10(1), 55–78.
[9] Edmondson, A. C. (2018): The Fearless Organization: Creating Psychological Safety in the Workplace for Learning, Innovation, and Growth. John Wiley & Sons.
[10] Duhigg, C. (2016): What Google Learned From Its Quest to Build the Perfect Team. The New York Times Magazine.
[11] Clarke, E., Näswall, K., Masselot, A. & Malinen, S. (2024): Feeling safe to speak up: Leaders improving employee wellbeing through psychological safety. Economic and Industrial Democracy, 0(0).

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Christian von Schirach / Autor BankingHub

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