Der War for Talents ist vorbei – die Talente haben gewonnen
Quantitative Simulationen von demografisch bedingten Austritten und ungewollter Fluktuation zeigen ein homogenes Bild über alle Finanzdienstleister, das sich plakativ zusammenfassen lässt: Bis 2030 verlieren Banken, Sparkassen und Versicherungen im Schnitt 30 % ihrer heutigen Belegschaft.
Neue Personalstrategien sind gefragt
Das Problem ist mittlerweile erkannt, und es wird allenthalben mit Hochdruck an der Lösung gearbeitet. Flächendeckend werden Personalstrategien überarbeitet, denn die bis dato oftmals genügende Skizzierung der Kernfunktionen etablierter Personalbereiche erweist sich nicht mehr als zukunftsfest und handlungsleitend. Erstmals werden Personalstrategien systematisch aus der Geschäftsstrategie abgeleitet und mit konkreten KPIs und Maßnahmen unterlegt. Anspruchsvollere Projekte berücksichtigen dabei auch einen Rückkanal aus der Personal- in die Geschäftsstrategie.
Zudem werden Initiativen aufgesetzt, um die Arbeitgeberattraktivität zu erhöhen. Bewerber:innen und Mitarbeitende bekommen denselben Stellenwert wie Kunden, und Bewerbungsprozesse werden oftmals End-to-End optimiert. Mitarbeiterbindung wird an den Bedürfnissen unterschiedlicher Mitarbeitergruppen (auch Altersgruppen) ausgerichtet und reicht endlich über Obstkörbe, Mitarbeiterkonditionen und heitere Unternehmensfeiern hinaus.
Zu starker Fokus auf die quantitative Personalausstattung
Aber der Handlungsimpuls vieler Unternehmen ist aktuell teilweise überzogen oder fehlgeleitet, denn: Bei den Themen Mitarbeitergewinnung, -entwicklung und -bindung gibt es häufig einen zu starken Fokus auf die quantitative Personalausstattung der Häuser. Getrieben von der Sorge vor einer Unterdeckung bei Mitarbeitenden, verlieren manche Häuser den qualitativen Aspekt der Personalausstattung aus dem Blick. So werden beispielsweise die „Fehler der 2. Ordnung“ bei der Rekrutierung – falsch abgelehnte Bewerbende – minimiert, allerdings gerät der „Fehler 1. Ordnung“ – falsch Eingestellte – zunehmend aus dem Blick.
Auch in Zeiten des Fachkräftemangels gibt es Personalumbau
Gleichzeitig sind strategische Neuausrichtungen und selbst Restrukturierungen nach wie vor ein Bestandteil der normalen Geschäftstätigkeit. Die Nachrichten sind voll mit Berichten über große Abbauprogramme von Konzernen wie SAP, RTL, Bosch, Liebherr, ZF, Continental, Unilever, Bayer, Deutsche Bank etc. Offensichtlich – und das wurde von vielen Entscheider:innen in Banken und Versicherungen noch nicht durchgängig erkannt – kann es auch in Zeiten des Fachkräftemangels die Notwendigkeit für einen Personalabbau geben.
Schaut man sich die Entwicklung des Personalbestands einzelner Häuser an, die in der Vergangenheit regelmäßig Abbauwellen hatten, so sieht man, dass der Personalkörper, trotz kurzfristiger Einbrüche nach Abbauprogrammen, im langfristigen Trend doch immer ein Wachstum zeigt.
Was heißt das jetzt für die Personalarbeit?
Zum einen gab es, gibt es und wird es zukünftig Personalabbauprogramme geben – auch in Zeiten, in denen Fachkräfte fehlen. Das notwendige Know-how und das Handwerkszeug, um einen Personalabbau professionell und erfolgreich durchzuführen, sind grundsätzlich weiterhin erforderlich.
Gleichzeitig ist aber ein radikales Umdenken in der Konzeption und Ausgestaltung von Personalabbauprogrammen notwendig! Denn Personalabbau muss in Zeiten des Fachkräftemangels deutlich intelligenter gesteuert werden, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Ehemals „pauschale Instrumente“ müssen erheblich schärfer geschnitten werden, um Personalabbau möglich zu machen, ohne in die Fallen des Fachkräftemangels zu laufen.
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New Work braucht New Cutbacks
Bereits bei den Abbauprogrammen der Vergangenheit wurde auf Sozialverträglichkeit geachtet. Zudem haben die Unternehmen gelernt, dass man nicht nur die Mitarbeitenden in den Blick nehmen darf, die das Unternehmen verlassen, sondern dass auch die große Gruppe derer, die bleiben, durch geeignete Interventionen mitzunehmen sind.
Zugleich hat das Bestreben nach Sozialverträglichkeit, oft in Kombination mit den Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretungen, dazu geführt, dass die quantitativen Abbauziele durch einen hohen Anteil von freiwillig ausscheidenden Mitarbeitenden erreicht wurden. Solange die Altersstruktur es hergibt, sind Altersteilzeit- und Vorruhestandsprogramme gerne genommene sozialverträgliche Abbauinstrumente – allerdings regelmäßig mit dem Effekt, dass man Mitarbeitenden Geld für ein Ausscheiden zahlt, um dieselben Funktionen dann wieder nachzubesetzen. Auch Freiwilligkeitsprogramme sind oft durch eine große Unschärfe geprägt, und so gehen die Mitarbeitenden gegen Abfindung, die am Arbeitsmarkt nachgefragt sind und schnell in eine Anschlussbeschäftigung kommen.
Neben belastenden Kosteneffekten ergeben sich also insbesondere auch ungewollte qualitative Abflüsse. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels kommt diesem Effekt eine deutlich höhere Bedeutung zu.
Finanzdienstleister sind ethische Unternehmen
Um eins direkt und klar zu sagen: Sozialverträglichkeit ist und bleibt bei Personalabbauprogrammen ein wesentliches Gestaltungsprinzip. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist es unabdingbar, als Arbeitgeber ethisch zu agieren. Gleichzeitig ergibt sich aber ein deutlich höherer Anspruch an die Professionalität!
Die Herausforderung, sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite, ist es, die quantitativ und die qualitativ zukunftsfähige Personalausstattung der Häuser sicherzustellen. Und der Fachkräftemangel, mit den stark zunehmenden Kosten und Aufwänden der Rekrutierung, verbietet es, sich von Mitarbeitenden zu trennen, die Funktionen gut ausfüllen, die man anschließend wieder neu besetzen muss. Sowohl bei der Rekrutierung als auch spiegelbildlich bei der Trennung sind qualitative Aspekte mit deutlich stärkerem Fokus als in der Vergangenheit zu betrachten. Hier dürfen keine Fehler gemacht werden!
Bei Personalabbauprogrammen ist daher die präzise Identifikation von abzubauenden Mitarbeitenden ein Schlüsselelement. Leider sind oftmals die eingesetzten Performance-Management-Instrumente nicht aussagefähig, geschweige denn zukunftsfähig. Neben der strategischen Identifikation der zu reduzierenden Funktionen und der individuellen Identifikation der nicht optimal passenden Mitarbeitenden besteht die nächste Herausforderung in der Einigung mit den Arbeitnehmervertretungen, die oftmals eine qualitative Betrachtung scheuen.
Enttabuisierung einer respektvollen Auflösung des Arbeitsverhältnisses
Hier kommt der abschließende Aspekt für moderne Personalabbauprogramme ins Spiel: ein professionelles sowie von den Mitarbeitenden als nachvollziehbar und fair erlebtes Vorgehen. Dabei treffen traditionelle auf moderne Vorgehensweisen. Schon immer ist eine offene, bidirektionale Kommunikation Grundvoraussetzung für das Gelingen von Veränderung.
Gleichzeitig sind moderne Arbeitsbeziehungen vom Muff der Ewigkeit zu befreien. Niemand schuldet dem Arbeitgeber lebenslange Loyalität. Das Wechseln des Arbeitgebers ist kein Tabubruch, und gleichermaßen ist es auch nichts Schändliches, wenn ein Arbeitgeber feststellt, dass es in der Arbeitsbeziehung nicht mehr harmoniert.
Auch hier passt das Paradigma, Mitarbeitende wie Kunden zu behandeln. Genauso wie es Banken und Versicherern gelingt, sich professionell von Kunden zu trennen, ohne unnötig Porzellan zu zerschlagen, ist auch die einvernehmliche Trennung im Arbeitsverhältnis professionell zu gestalten. Dabei nicht zu unterschätzen: Die Chancen einer Neubeschäftigung für freigesetzte Mitarbeitende steigen am Arbeitsmarkt aktuell drastisch. Die Auflösung von Arbeitsverhältnissen verliert damit erheblich an Dramatik. Vielmehr entstehen oftmals für beide Seiten – Arbeitgeber wie Arbeitnehmende – deutliche Vorteile aus einem Wechsel.