Dem Fachkräftemangel begegnen – ist mehr wirklich immer besser?

Der Fachkräftemangel bleibt ein zentrales Thema in vielen Branchen und wird auch auf absehbare Zeit keine Besserung erfahren. Von Handwerksbetrieben über mittelständische Unternehmen bis hin zu Regionalbanken und DAX-Konzernen: Alle stehen vor der Herausforderung, qualifizierte Mitarbeitende zu finden und dann auch langfristig zu binden.

Dabei liegt der intuitive Ansatz vieler Organisationen darin, den Recruiting-Funnel möglichst vollzumachen, also eine möglichst große Anzahl an Bewerbungen anzusteuern. Um dies zu erreichen, werden Stellenausschreibungen auf zahlreichen Plattformen veröffentlicht. In der Hoffnung darauf, die offenen Stellen endlich zu besetzen, lautet die Devise, möglichst viele Personen zu erreichen, Aufmerksamkeit zu generieren und diese schlussendlich in den Bewerbungsprozess zu überführen.

Dabei stellt sich jedoch die Frage: Ist mehr wirklich immer besser? In diesem Artikel geben wir einen Einblick in die Möglichkeiten, eine effiziente Personalgewinnung sicherzustellen.

Qualität vor Quantität bei den Bewerbungen

Sich in der Personalgewinnung ausschließlich auf die Erhöhung der Bewerbungszahlen zu fokussieren, verfehlt das originäre Ziel. Denn ein Anstieg der Bewerbungszahlen allein ist lange noch kein Garant dafür, die offenen Stellen mit den passenden Personen zu besetzen, die langfristig erfolgreich und zufrieden in der Organisation verbleiben. Im Gegenteil: Die Sichtung und Bearbeitung einer großen Anzahl an Bewerbungen geht mit einem oft deutlich höheren Aufwand einher und kostet mehr Ressourcen (und Nerven!), als dass sich daraus ein echter Mehrwert ergibt.

Entscheidend ist also nicht die Quantität, sondern die Qualität der Bewerbungen.

Genauer gesagt ist der Grad der „Passung“ zwischen Person und zu besetzender Stelle wesentlich. Im Grunde kann eine einzige Bewerbung schon ausreichen – wenn es denn die richtige ist. Die gute Nachricht ist: Organisationen sind in der Lage, erheblichen Einfluss auf die Qualität der Personalgewinnung zu nehmen.

Die Anforderungsanalyse – das Fundament erfolgreicher Personalgewinnung

„Natürlich führen wir eine Anforderungsanalyse durch!“ So oder so ähnlich lautet das Credo der meisten Personalbereiche. Aber wenn man etwas tiefer blickt, kommen Zweifel auf. Denn: Bei der Anforderungsanalyse handelt es sich um einen systematischen Prozess, der darauf abzielt, die genauen Anforderungen an eine zu besetzende Stelle zu ermitteln. Neben erforderlichen Qualifikationen steht vor allem die Identifikation der relevanten fachlichen, methodischen sowie persönlichen Kompetenzen im Vordergrund, die für den Erfolg in der jeweiligen Position entscheidend sind.

Die Anforderungsanalyse bildet somit die Basis, um im Rahmen der Personalgewinnung sicherzustellen, dass die Fähigkeiten der Bewerbenden zu den Anforderungen der Position passen. Man könnte also sagen: Nur eine systematische Anforderungsanalyse ist Garant für valide und nachhaltige Personalbesetzungsentscheidungen.

Das KSAO-Modell

In den letzten Jahrzehnten haben sich verschiedene Ansätze für einen zielführenden Anforderungsanalyseprozess etabliert. Als Beispiel sei in diesem Artikel das KSAO-Modell aufgeführt. Anhand dieses Modells lassen sich die erfolgskritischen Anforderungen an eine Position in vier Kategorien unterteilen, die deren systematische und umfassende Identifikation ermöglichen:

A) Knowledge (Wissen)

  • Hierbei handelt es sich um das Fachwissen sowie grundsätzliche Informationen, die potenzielle Mitarbeitende benötigen.
  • Beispiele: Kenntnisse im Bereich Finanzprodukte und -dienstleistungen, rechtliche Grundlagen im Bankwesen, Kenntnisse über regulatorische Anforderungen und Compliance-Richtlinien, Verständnis von Marktanalysen und wirtschaftlichen Trends

B) Skills (Fertigkeiten)

  • Dies sind spezifische Fertigkeiten, die durch Ausbildung, aber auch durch Erfahrungswerte erworben werden.
  • Beispiele: Fähigkeit zur Kundenberatung und -betreuung, Verhandlungsgeschick, Fähigkeit zur Risikoanalyse und -bewertung, Beherrschung von Bankensoftware und IT-Systemen, Verkaufsfähigkeiten im Cross-Selling von Bankprodukten

C) Abilities (Fähigkeiten)

  • Darunter werden die grundlegenden, nachweisbaren Fähigkeiten einer Person gefasst, die notwendig sind, um die zukünftige Tätigkeit erfolgreich zu bewältigen.
  • Beispiele: analytisches Denken, numerische Fähigkeiten, Problemlösungsfähigkeit, Aufmerksamkeit für Details, kognitive Flexibilität, um auf veränderte Marktbedingungen zu reagieren

D) Other characteristics (andere Merkmale)

  • Hierbei handelt es sich um weitere relevante Eigenschaften wie Persönlichkeitsmerkmale oder Motivation, die in gewisser Ausprägung ebenfalls erfolgsentscheidend sind.
  • Beispiele: hohe Integrität und ethisches Verhalten, Kundenorientierung, Stressresistenz, Teamfähigkeit, Bereitschaft zur kontinuierlichen Weiterbildung, Motivation und Engagement für die Unternehmensziele

Mehrwert für die gesamte HR-Wertschöpfungskette

Die gewonnenen Informationen werden schließlich in einem präzisen Anforderungsprofil zusammengefasst. Dies stellt ein zentrales Schlüsselelement für die gesamte HR-Wertschöpfungskette dar. Mit Blick auf die Personalgewinnung lassen sich damit zahlreiche Erfolgshebel realisieren.

Auf dieser Basis können Stellenausschreibungen entwickelt werden, die eine konkrete Erwartungshaltung an potenzielle Bewerbende formulieren und gleichzeitig einen detaillierten Eindruck von der zukünftigen Tätigkeit vermitteln. Neben der Förderung der konkreten Selbstselektion auf der Seite der Bewerbenden und damit des Eingangs qualitativ passenderer Bewerbungen wird auch die Arbeitgeberattraktivität für Bewerbende gesteigert, die sich in hohem Maße mit der Stelle identifizieren können.

Die Auswahl der Plattform zur Veröffentlichung der Anzeigen sowie die aktive Suche und Ansprache von geeigneten Personen können ebenfalls mithilfe des Anforderungsprofils viel genauer – also zielgruppenspezifischer – erfolgen. Dies verhindert nicht nur die aufwendige Verarbeitung von zahlreichen, unpassenden Bewerbungen, sondern ermöglicht demgegenüber eine punktgenaue und effiziente Suche nach den richtigen Personen für die richtige Stelle.

Weitere Aufgabengebiete des Personalbereichs profitieren ebenfalls von der Qualität und der Nutzung eines Anforderungsprofils. Die Sichtung der eingegangenen Bewerbungen wird systematisch unterstützt, sodass Ressourcen effektiv und zielgerichtet eingesetzt werden können.

Auch im Auswahlprozess kann maßgeblicher Nutzen aus einem passgenauen Anforderungsprofil gezogen werden. Bewerbende werden explizit mit Blick auf die erfolgskritischen Anforderungen ausgewählt. Dies vermeidet Fehlbesetzungen, die auf lange Sicht weitere Kosten verursachen und einen wiederkehrenden Aufwand in der Personalgewinnung mit sich bringen.

Darüber hinaus lassen sich bedarfsorientierte Entwicklungsmaßnahmen implementieren, die einen unmittelbaren Bezug zur Praxis und zum individuellen Reifegrad der Mitarbeitenden haben. Die daraus resultierende Leistungsfähigkeit führt zudem zu einer gesteigerten Zufriedenheit (auf beiden Seiten) und fördert ebenso eine langfristige Bindung an die Organisation.

Effiziente Personalgewinnung: Unser Fazit

Der Schlüssel zur erfolgreichen Personalgewinnung liegt nicht in der schieren Anzahl der Bewerbungen, sondern in der Qualität ebendieser. Eine sorgfältige Anforderungsanalyse und ein präzises Anforderungsprofil sind essenziell, um die richtigen Talente zu finden und langfristig an das Unternehmen zu binden.

Neben der Optimierung des Recruitingprozesses spielen sie auch eine wichtige Rolle bei der Personalentwicklung und Mitarbeiterbindung. Dies wird sich auf lange Sicht ebenso in der wirtschaftlichen Situation von Organisationen widerspiegeln.

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Christian von Schirach / Autor BankingHub

Christian von Schirach

Senior Manager Office Hamburg
Stefan Engels / Autor BankingHub

Stefan Engels

Senior Consultant Office Münster

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