Grenzen herkömmlicher Führung
Ausgangspunkt ist fast immer die Erkenntnis, dass die Melange aus Digitalisierung, demografischem Wandel, Niedrigzins und jetzt Inflation für herkömmliches Vorgehen und konventionelles Management nichts Gutes verheißt: Entwicklungen kommen schneller und sind weniger vorhersehbar. Die satten Polster aus der Vergangenheit sind weitgehend aufgebraucht, die bisherigen Geschäftsmodelle stoßen an enge Grenzen. Und seit zweieinhalb Jahren muss das alles irgendwie in hybriden Teams gemanagt werden. Das ist in der Tat schwierig, weil alte Entscheidungswege und -rituale diesen Herausforderungen eher hilflos gegenüberstehen. Deshalb also muss Führung jetzt anders sein. Aber wie?
Führung muss jetzt anders sein. Aber wie?
Unterschiedliche Ansprüche werden schon in den ersten Begegnungen mit den Klientinnen und Klienten deutlich. Da geht die Erwartung vom modernen Führungstraining bis zur Gestaltung eines kompletten Kulturwandels. Um es gleich vorwegzusagen: Tipps und Hinweise zu „erfolgreicher Führung in Zeiten der Digitalisierung“ gibt es zuhauf: Sie finden bei Google knapp 8 Mio. Einträge zu „moderner Führung“ und zu „agiler Führung“ immerhin noch 1,2 Mio. Da werden Sie unzählige wertvolle und richtige Hinweise finden. Auch einschlägige Führungstrainings machen Sie in der Regel nicht dümmer.
Und dennoch: Der Ruf nach Führungstrainings greift vor den o. g. Hintergründen zu kurz – viel zu kurz. Dass sich dieser Wunsch nach einer einfachen und schnellen Lösung gleichwohl hartnäckig hält, hat mindestens drei nachvollziehbare Gründe:
- Die Konvention: So hat das immer schon funktioniert.
- Der Aufwand: Ein Führungstraining ist schnell gemacht.
- Das Delegieren: Das Problem löst jemand anderes (der/die Trainer/-in).
Tatsächlich führen solche Trainings bestenfalls zu verbaler Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre. Denn darum geht es: ein Aufbrechen, zumindest ein Aufweichen bisheriger Verhaltensweisen, Loslassen von gelernten Ritualen und Abläufen, Abschied von bisherigen Gewissheiten – immer mit dem Ziel, schneller, flexibler und effizienter Kundenbedürfnisse zu erkennen und zu bedienen. Der seit einigen Jahren dafür geläufige Begriff ist Agilität. Und nachvollziehbarerweise werden gerne Start-ups als Vorbilder herangezogen. Tatsächlich sind sie in aller Regel schneller, weil sie ihre Konzepte schnellstmöglich auf die Straße bringen müssen. Hier sind sie alten Organisationen mit ihren Strukturen einfach voraus.
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Grundprinzipien der Führung im (Kultur-)Wandel
Da Führungskräfte in aller Regel auch nur Menschen sind, tun die sich mit solchen Veränderungen schwer – zumal sie es teils über Jahrzehnte so ganz anders gelernt haben: Kontrolle ist wichtig. Fachkompetenz hat oberste Priorität. Eigene Präsenz ist wichtig … Auf massive Veränderungen lassen sich Führungskräfte nur ein, wenn sie deren Sinn verstehen und Vertrauen dazu haben. Womit wir beim ersten Grundprinzip der Führung im (Kultur-)Wandel sind:
1) Kulturwandel fängt immer oben an
Zuerst beim Vorstand, dann auf Bereichsleiterebene
Die Führungsebenen müssen das Prinzip moderner und flexiblerer Führung verstehen; idealerweise macht sich der Vorstand zum ersten Experten und fordert Agilität für die Organisation verbindlich ein. Aber was muss eine Führungskraft heute anders machen?
Grundsätzlich vielleicht gar nicht so viel im Vergleich zu guter Führung in der Vergangenheit – nur heute wird es mit Sicherheit klarer, transparenter und für den einen oder die andere auch: härter. Im Kern geht es bei moderner und flexiblerer Führung um Mehrwert. Die Führungskraft muss einen Mehrwert stiften – im Verhältnis zum Team, indem sie die Zusammenarbeit fördert, im Verhältnis zu den einzelnen Mitarbeitenden, indem sie diese besser und erfolgreicher macht, und im Eigenverhältnis muss sie sich der Awareness, d. h. ihrer Vorbildfunktion, bewusst sein und auch damit Mehrwert stiften. Die Sicherung des unternehmerischen Erfolgs und die Stärkung der Zukunftsfähigkeit sind schließlich der Mehrwert gegenüber der gesamten Organisation.
2) Mehrwert stiften
Was sich so einfach liest, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als mitunter gewaltige Herausforderung
In meinen Workshops führt die Aufgabe, den eigenen Mehrwert konkret zu benennen, nicht selten zu intensivem Schnürsenkelstudium. Und wenn Sie keinen wirklichen Mehrwert stiften, sind Sie Vorgesetzte/-r und keine Führungskraft.
Viel detaillierter müssen Ansprüche an Führung und an Führungskräfte nicht ausformuliert werden:
- Respektvoller, wertschätzender Umgang? Steckt im Vorbild.
- Gesamthausdenken? In Förderung der Zusammenarbeit.
- Empowerment? In dem Anspruch, Menschen besser und erfolgreicher zu machen.
Und das Pochen auf Hierarchie hat noch nie echten Mehrwert gestiftet. Stattdessen bedeutet Führung in agilen Kontexten eher, Impulsgeber, „Coach“ und Vernetzerin zu sein. Und Sie müssen lernen, Unsicherheit auszuhalten.
3) Betriebswirtschaftlichen Bezug
Hoodie reicht nicht
Zurück zum Führungstraining – für diese gewaltigen Herausforderungen ist ein Führungstraining bestenfalls ein erster Impuls. Es braucht sodann unterstützende Verbindlichkeit: Die konkreten Ansprüche an Führung müssen in die Personalsteuerungssysteme integriert werden. Es braucht Bekanntheit: Die Ansprüche müssen wirksam kommuniziert und vermittelt werden. Es braucht organisierte Relevanz: Die gesamte Organisation muss sich mit den Ansprüchen sinnvoll auseinandersetzen. Es braucht zwingend den betriebswirtschaftlichen Bezug (das dritte Grundprinzip der Führung im Kulturwandel).
Zeigen Sie die ökonomische Notwendigkeit und fordern Sie jedes Team auf, seinen Beitrag dazu zu definieren. Es reicht also nicht, Werte und Symbole auf Tassen, Hoodies oder Poster zu drucken.
Und es braucht Erfolge: Starten Sie das Neue in kleinen Projekten mit Leuten, die Lust auf Zukunft haben. Schließlich braucht es Botschafter/-innen: Bilden Sie ein Team aus, das die Ansprüche vorlebt, vorantreibt und im Haus multipliziert. Vor allem: Es braucht individuelle Führungsarbeit!
4) Individuelle Führungsarbeit
Dauert und kann nicht delegiert werden
Hier, im Verständnis der eigenen Führungsverantwortung, zeigten sich mir die größten Unterschiede in den vergangenen Jahren. Die (zum Glück seltenen) Projekte, bei denen diese Verantwortung an ein Training delegiert wurde, kommen nicht wirklich voran. Die Vorstände hingegen, die diesen Langstreckenlauf selbst mit Ernst und Freude antreten, bringen ihre Organisation tatsächlich in echte Bewegung.