Komplexität im Auftragsmanagement
Die oben erwähnte These möchten wir im Nachfolgenden mit einem Beispiel aus der Praxis belegen. Hierfür haben wir die Optimierung des Auftragsmanagements ausgewählt, welches als Bindeglied zwischen den Eingangs-/Kommunikationskanälen und der Marktfolge einer Bank angesiedelt ist. Im Posteingang werden die physisch eingehenden Dokumente (z. B. Kreditanträge, Prämienanträge, Adressänderungen, formlose Briefe etc.) bereits eingescannt, sodass sie in elektronischer Form weiterverarbeitet werden können. Damit die eigentliche Auftragsbearbeitung (voll-)automatisiert und abbruchsfrei erfolgen kann, ist jedoch eine Aufbereitung der Aufträge notwendig. Das Auftragsmanagement übernimmt diese Aufgabe, indem sämtliche Dokumente – von unstrukturierten Briefen und WhatsApp-Nachrichten bis hin zum strukturierten Onlineformular – verarbeitet und auf Validität geprüft werden.
Da mit der kontinuierlichen Erweiterung der Eingangskanäle aber auch die Anzahl und Varianz der eingehenden Kundenaufträge zugenommen hat, ist die Komplexität im Auftragsmanagement in den vergangenen Jahren angestiegen. Insbesondere unstrukturierte werden heute noch weitestgehend durch einen Sachbearbeiter für die weitere Verarbeitung aufbereitet, da die eingesetzten Werkzeuge, wie beispielsweise OCR (Optical Character Recognition), die notwendigen Informationen nicht extrahieren können. Wegen der überwiegend monotonen Aufgaben der Sachbearbeiter oder bei Leistungsspitzen steigt jedoch die Wahrscheinlichkeit von Bearbeitungsfehlern, welche die anschließende Auftragsbearbeitung unterbrechen können. Der Einsatz moderner Technologien, allen voran künstlicher Intelligenz, könnte diese Fehleranfälligkeit reduzieren. Bevor dies näher betrachtet wird, möchten wir noch einmal das Auftragsmanagement in seiner heutigen Form darstellen.
Das Auftragsmanagement im Detail
Damit die Kundenaufträge in der Marktfolge abbruchsfrei und weitestgehend automatisiert abgearbeitet werden können, kommen dem Auftragsmanagement im Wesentlichen vier Aufgaben zu:
- Klassifizierung: Welcher Kundenauftrag liegt vor?
- Qualifizierung/Plausibilisierung: Sind die Angaben vollständig und in sich plausibel?
- Priorisierung: Wie wichtig ist der Auftrag?
- Verteilung: Wer bearbeitet den Auftrag?
Die verfügbaren Technologien wie OCR sind insbesondere bei unstrukturierten Dokumenten (z. B. Briefe, E-Mail, Fax etc.) nicht in der Lage, den Inhalt der Kundenaufträge zu identifizieren. Das liegt daran, dass die Systeme entweder nach definierten Schlagwörtern oder nach einer fixen Position im Dokument suchen. Beide Verfahren funktionieren allerdings bei (frei formulierten) unstrukturierten Dokumenten nicht. Hier unterstützt heute ein Sachbearbeiter, indem er den Auftrag durchliest und anschließend direkt klassifiziert, d. h. er weist ihn einer Auftragskategorie (z. B. Kreditanfrage) zu.
Damit die Auftragsbearbeitung möglichst abbruchfrei durchgeführt werden kann, prüft der Mitarbeiter im Auftragsmanagement anhand von Checklisten, ob alle geforderten Informationen vom Kunden vorhanden und plausibel sind. Anschließend wird der Auftrag für die Bearbeitung priorisiert und an ein Team der Marktfolge zur Auftragsbearbeitung verteilt.
Methoden der künstlichen Intelligenz können Aufgaben eines Sachbearbeiters übernehmen
Für die bereits heute eingesetzten Systeme liegt die Herausforderung bei unstrukturierten Kundenaufträgen im Lesen, Interpretieren und Verstehen der eingehenden Dokumente, da die Informationen an verschiedenen Stellen stehen können oder unterschiedlich formuliert sind. Damit die Verarbeitung zukünftig dennoch automatisiert erfolgen kann, besteht die Anforderung an die neue Technologie, dass diese die vorliegenden Aufträge interpretieren und verstehen kann. Dafür müssen nach heutigem Stand unterschiedliche Technologien aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz kombiniert werden. Für die Automatisierung des Auftragsmanagements haben sich Natural Language Processing (NLP), künstliche neuronale Netzwerke (KNN) und Robotic Process Automation (RPA) als sinnvoll erwiesen, was der nachfolgende Blick auf die Praxis zeigt.
i)wikipedia (2019): Computerlinguistik
ii)Gabler Wirtschaftslexikon (2019): neuronale Netze
iii)Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik (2019): Christian Czarnecki: Robotergesteuerte Prozessautomatisierung
Sobald die Kundenaufträge digital vorliegen, wird der Inhalt dieser Dokumente mithilfe von NLP gelesen und verstanden. Die Klassifizierung der Daten erfolgt anschließend durch ein künstliches neuronales Netzwerk. Dieses lernt auf Basis von historischen Daten und Entscheidungen. Es kann sich – auch während des Produktiveinsatzes – selbstständig weiterentwickeln, indem es eigenständig Klassifizierungsparameter identifiziert und anwendet. Durch die Kombination beider Technologien kann der Auftrag interpretiert (Natural Language Processing) und die Auftragsart automatisiert klassifiziert (künstliches neuronales Netzwerk) werden.
Die anschließende Qualifizierung und Plausibilisierung erfolgt ebenfalls durch den Einsatz eines KNN. Anhand historischer Daten und auf Basis des Klassifizierungsergebnisses ermittelt das KNN die Informationen, die für eine abbruchfreie Auftragsbearbeitung notwendig sind, und gleicht sie mit dem vorliegenden Kundenauftrag ab. Im selben Schritt werden die vom Kunden getätigten Angaben mit bereits eingegangenen Aufträgen abgeglichen und auf Plausibilität geprüft. Mit jedem bearbeiteten Auftrag lernt das System hinzu, sodass die Anforderungen an die Einreichungsqualität sukzessive steigen und die Auftragsbearbeitung immer seltener abgebrochen werden muss.
Bei der anschließenden Priorisierung wird die optimale Reihenfolge für die Auftragsbearbeitung in der Marktfolge ermittelt. In unserem Beispiel wird hier die lineare Optimierung eingesetzt. Diese versucht, die hinterlegten Priorisierungsregeln, welche beispielsweise die Geschäftsstrategie oder die bevorzugte Behandlung von ausgewählten Kundengruppen berücksichtigen können, bestmöglich zu erfüllen. Ziel ist, dass die wichtigen Aufträge zuerst bearbeitet werden.
Im letzten Schritt muss der Auftrag noch an ein Team in der Marktfolge zur Bearbeitung weitergeleitet werden. Da es auch hier darum geht, die Durchlaufzeit zu reduzieren und die Bearbeitungsqualität des Auftrags zu verbessern, wird ebenfalls eine lineare Optimierung eingesetzt. Während es bei der Priorisierung noch darum ging, in welcher Reihenfolge die Aufträge abgearbeitet werden, stellt sich bei der Verteilung die Frage, wer die Aufträge abarbeitet. Auch hier gilt es, die zur Verfügung stehenden Skills und Kapazitäten bestmöglich einzusetzen. Die tatsächliche Verteilung der Aufträge wird abschließend durch einen Roboter (RPA) automatisiert erledigt und getrackt.
Fazit: KI im Auftragsmanagement
Unser Beispiel im Auftragsmanagement hat gezeigt, dass durch den gezielten Einsatz von künstlicher Intelligenz eine weitere Digitalisierung von bislang manuellen Prozessschritten erfolgen kann. Mithilfe von NLP können Informationen aus unstrukturierten Dokumenten gewonnen und dank des Einsatzes von künstlichen neuronalen Netzwerken auch interpretiert und verstanden werden. Diese Aufgaben konnte bisher nur ein Sachbearbeiter ausführen. Die weitere Digitalisierung des Auftragsmanagements führt zu einer signifikanten Reduzierung der Bearbeitungsfehler und zu einer Verkürzung der Bearbeitungsdauer je Auftrag. Darüber hinaus hat dieses Beispiel gezeigt, dass die Verwendung von künstlicher Intelligenz keine Frage des technologischen Reifegrads des Gesamthauses ist, sondern vielmehr eine Frage des richtigen Einsatzgebiets. So konnte der gezielte Einsatz von künstlicher Intelligenz in einem abgekapselten Aufgabenbereich deutliche Effizienzgewinne bewirken.
[1] Bei unstrukturierten Aufträgen liegen die Informationen in einer nicht formalisierten Struktur vor, z. B. Briefe, Telefonate. Bei strukturierten Aufträgen sind die Informationen in einer formalen Struktur abgelegt, z. B. Formulare.