Risikotragfähigkeits-konzepte im Umbruch – Teil II

3          Handlungsbedarf

3.1       Banksteuerungskonzeption anpassen

Neben den methodischen und parameterrelevanten Aspekten zu RTF-Konzepten ist es für die Banken elementar nachzuweisen, dass sich aus den Ergebnissen ihrer internen RTF-Auswertungen eine Steuerungswirkung entfaltet. Neben der (selbstverständlichen) Verzahnung der Risikotragfähigkeitsanalyse mit den strategischen Prozessen (Risikostrategie/Risikoappetit sowie Sanierung- und Abwicklungsplanung) und den erforderlichen Limitierungsprozessen sollte ein zusätzlicher Nachweis für Steuerungsimplikationen aus den Stresstestergebnisse erfolgen.

Durch die Aufsicht werden nachweisliche Steuerungsimpulse aus der Risk-Return-Steuerung eingefordert. Eine aktuelle bzw. planerische Einhaltung der Risikotragfähigkeit ermöglicht ausschließlich die Einhaltung eines adäquaten Risikoappetits, während eine Verzahnung der Risiko- mit der Ertragssteuerung über Instrumente wie Asset Allocation und Credit Pricing einen Einsatz der „knappen Ressource Eigenkapital“ optimiert. Daher ist der Einsatz betreffender Risk-Return-Instrumente bankenseitig herauszustellen.

In den Banken besteht daher Handlungsbedarf, ihre Banksteuerungskonzepte mit den bevorstehenden Anpassungen an den Risikotragfähigkeitskonzepten zu harmonisieren. Je nachdem, welche Bedeutung nach Erscheinen des neuen Leitplankenpapiers der Aufsicht weiterhin einer reinen Säule-II-Risikotragfähigkeit zukommt, können Steuerungsaufgaben über eine Säule-I+-Sicht übernommen werden. Während die Säule I+ als RTF-Konzept zwar Defizite aufweist, so wird über ihren „hybriden“ Kapitalbegriff eine Harmonisierung von Säule-I- und Säule-II-Anforderungen gewährleistet. Daher eignet sich die Säule I+ insbesondere zur Kapitalsteuerung und zur Verzahnung von Rendite und Risiko. Ferner besteht eine „Kunst“ der Banksteuerung darin, den aus Säule II resultierenden Anteil des SREP-Zuschlags den entsprechenden Geschäftsbereichen zuzuordnen. Eine Approximation dieses Anteils kann aus diesem Konstrukt entnommen und im Rahmen eines verursachungsgerechten Pricingansatzes auf die Risikotreiber umgelegt werden. Der „Kniff“ gelingt unter einer Einbindung der Säule I+ in die Banksteuerungskonzeption.

3.2       Szenariofähigkeit sicherstellen

Der Ausbau des Stresstestframeworks sowie eine mögliche Neugestaltung der Going-Concern-Risikotragfähigkeit verdeutlichen, dass der Szenarioanalyse in der Banksteuerung eine immer größer werdende Bedeutung zukommt. Ausgangspunkt hierfür ist, dass den Ergebnissen der Szenarioanalyse eine gute managementseitige Verständlichkeit und Interpretierbarkeit der Ergebnisse zugewiesen werden kann. Im Gegensatz zu der Ableitung verteilungsbasierter Risikokennzahlen, wie z. B. Value-at-Risk-Kennzahlen, stellt die Ableitung szenariobasierter Risikokennzahlen keine „Black Box“ für die Entscheider im Kreditinstitut dar. Einheitliche Szenarien können ferner eine Klammerfunktion einer Vielzahl weiterer Anwendungsfelder im Risikocontrolling wahrnehmen:

  • Die Ableitung des Risikoappetits kann über Stress-Szenarien erfolgen. Aus der zusätzlichen Belastung der Risikotragfähigkeit in einem Stress-Szenario kann ein Risikopuffer abgeleitet werden, welcher im Rahmen von Allokationsüberlegungen zum Risikokapital nicht angetastet wird.
  • Die Kapitalplanung in adversen Szenarien gemäß der Anforderungen nach MaRisk AT 4.1 Tz. 9 lassen sich szenarioorientiert analog zur Prüfung der Going-Concern-Risikotragfähigkeit durchführen.
  • Aus der Szenarioanalyse lassen sich weitere relevante Informationen für die Risikosteuerung ableiten. Hierzu zählen z. B. Informationen für die Wesentlichkeitseinschätzungen im Rahmen der Risikoinventur für spezifische Risikoarten bzw. Intra- und Inter-Risikokonzentrationen, Informationen zur Quantifizierung von Modellrisiken und Informationen zur Kapitalisierung unzureichend quantifizierter Risikoarten/Risikoeffekte in der Risikotragfähigkeit.
  • Bei der Umsetzung und Implementierung der Anforderungen zu den MaSan sind Schwellen bezogen auf Kapitalquoten zu definieren, welche Handlungsmaßnahmen zur Sanierung bzw. Abwicklung auslösen. Diese Schwellen können unter Berücksichtigung der Szenarioanalysen unter dynamischer Simulation dieser Quoten abgeleitet werden.

Neben diesen dargestellten Anwendungsfeldern mit dem Bezug zu Risikoszenarien, welche eine unerwartete Entwicklung berücksichtigen, kommen Szenarioanalysen in der Geschäftsplanung und in der Business-Modell-Analyse zu Einsatz.

Die Herausforderung für die Kreditinstitute besteht darin, flexible Infrastrukturen für die Szenarioanalyse bereitzustellen. Die Flexibilität bezieht sich dabei auf unterschiedliche Aspekte:

  • das Spektrum an Kennzahlen, welche in den Szenarien zu simulieren sind,
  • die Flexibilität, neue Szenarien zu berücksichtigen und diese zu parametrisieren,
  • die Möglichkeit, die Simulationsmethoden anzupassen bzw. weiterzuentwickeln,
  • der Anspruch, Szenarioergebnisse möglichst schnell zu generieren und somit eine abstimmungsintensive Datenbereitstellung zu vermeiden.

Obige Flexibilitätsüberlegungen erfordern insbesondere eine in die gesamt IT-Architektur integrierte Stresstestinfrastruktur und einen zentralen Datenhaushalt. Die aktuell in Konsultation befindlichen Stresstest-Guidelines der EBA fordern hierzu die Umsetzung der Risk-Data-Aggregation-Anforderungen (RDA, BCBS #239) auch für Stresstests. Aktuelle Projekte zur Umsetzung der RDA-Anforderungen sollten daher auf Stresstestdaten und ‑IT-Strukturen ausgeweitet werden. Zudem sollen Stresstest gemäß dem Konsultationspapier integraler Bestandteil der IT-Architektur sein. Viele heute übliche Excel-Lösungen können nur als Prototypen/Vorstufen in der Entwicklung verstanden werden – die erhöhten Anforderungen an IDV aus der 5. MaRisk-Novelle sind zu beachten.

Abbildung 1: Lösungsansatz Aufbau-/Ausbau Szenariofähigkeit

3.3       Risiko- und Modellrisikoinventur vorantreiben

Der Grundlage für die Erfüllung neuer aufsichtlicher Anforderungen und die damit verbundene Weiterentwicklung der Risikotragfähigkeitskonzepte wird in der jährlichen Risikoinventur und in der Modellrisikoinventur gelegt. In diesen beiden Risikomanagement-Instrumenten werden alle neuen Risiken (inkl. Modellrisiken) erfasst. Zudem erfolgt eine erstmalige bankspezifische Einwertung hinsichtlich ihrer Bedeutung und Wesentlichkeit.

Das Erfolgsrezept für eine erfolgreiche Risiko- und Modellrisikoinventur beruht hierbei auf den folgenden Anforderungen:

Die bestehenden Vorgehensmodelle zu den Inventuren sind zu erweitern, um neue Risikoarten und neue Risiko- und Bewertungsmodelle „fassen“ zu können sowie Risikokonzentrationen im Sinne von Risikotreibern zu identifizieren. Dieses gelingt, indem die Prozesse zu Ableitung von Inventarlisten adäquat gestaltet werden (z. B. Einbindung bankweiter Experten-Pool über das Risikocontrolling hinaus, Einbindung von Research, Screening aufsichtlicher Quellen,…).

Eine Einwertung neuer Risikoarten und der neuen Modelle erfordert feste Regeln und ein eindeutiges Bewertungsraster, welches bestenfalls eine quantitative Beurteilung einschließt. Auf Basis der Anwendung dieser Einwertungskriterien wird eine Differenzierung der neuen Risikoarten und der Modellrisiken in Bezug auf Einbeziehung in das Risikomanagement vorgenommen. Das Spektrum reicht von einem laufenden qualitativen Assessment, einer laufenden expertenbasierten Quantifizierung (inkl. gesonderten Reporting), einer Integration in Stresstestframework (z. B. unter Einbeziehung der Risikoeffekte in die Definition von Stress-Szenarien) bis hin zur dauerhaften Kapitalisierung der Risikoeffekte in den Risikotragfähigkeitskonzepten unter Entwicklung eines Quantifizierungsmodells.

3.4       Audit Readiness gewährleisten

Argumentationssicherheit gegenüber der Aufsicht schaffen – Interpretationsspielräume aktiv nutzen:

Indem Banken die zugrunde liegenden Annahmen ihrer internen Risikotragfähigkeitskonzepte detailliert erläutern und die Hintergründe für die eingesetzten Methoden und angewendeten Verfahren in der Säule II darlegen und ökonomisch motivieren, schaffen sie eine Argumentationssicherheit und nutzen mögliche Interpretationsspielräume, welche durch die Formulierung der MaRisk bzw. des „Leitplankenpapiers“ verbleiben. „Prominentes“ Beispiel hierfür ist die genaue Festlegung der Rahmenbedingungen, welche das Kreditinstitut im Gone-Concern-Fall unterstellt sowie die Voraussetzungen, welche das Kreditinstitut an eine Einhaltung der Going-Concern-Bedingung stellt. Aus diesen Rahmenbedingungen ergeben sich wertvolle Hinweise an die Anrechenbarkeit von Risikodeckungspotenzialbestandteilen (gegebenenfalls in Abweichung zur Säule I) sowie die erforderlich Kapitalquoten, welche es im Risikofall einzuhalten gilt. Ferner leiten sich hieraus implizit methodische Vorgaben an die Ermittlung des Risikokapitalbedarfs ab, da Risiken konsistent zum Risikodeckungspotenzial zu quantifizieren sind. Ein weiteres Beispiel ist eine ökonomische Motivation für die Wahl eines Konfidenzniveaus mit ihrem wesentlichen Einfluss auf die Auslastung der Risikotragfähigkeit und die implizite Bedeutung für die Einwertung von Stresstests.

Die Fixierung der Annahmen kann beispielsweise über eine Dokumentation innerhalb eines Rahmenkonzepts („Big Pictures“) zur Risikotragfähigkeitskonzeption erfolgen. Die Dokumentation kann dabei zum einen intern genutzt werden, indem sich alle RTF-Experten hinter den getroffenen Konzeptannahmen „versammeln“ können. Zum anderen kann das Big Picture genutzt werden, um gegenüber der Aufsicht die getroffenen Annahmen darzulegen und zu verteidigen.

Über ausgefeilte Angemessenheitsprüfungen Weiterentwicklungsbestrebungen für das Risikotragfähigkeitskonzepts belegen:

Durch den steigenden externen Anspruch der Aufsicht an die Gestaltung der Risikotragfähigkeitskonzepte sind die Kreditinstitute aufgefordert, ihre Konzepte laufend zu hinterfragen und ihre Annahmen zum Konzept auf den Prüfstand zu stellen. Dabei gilt es nicht nur, den MaRisk gemäß AT 4.1 Tz. 8 gerecht zu werden, sondern auch der Vorgehensweise und der Dokumentation kommt im Rahmen aufsichtlicher Prüfungen eine besondere Bedeutung zu.

Größere Banken differenzieren hier bereits in einer Angemessenheitsprüfung für das Risikotragfähigkeitskonzept und einer Angemessenheitsprüfung für ihre ökonomischen Stresstests. Durch die Gestaltung der Angemessenheitsprüfung können die Kreditinstitute aufzeigen, mit welcher Intensität sie ihre Konzepte und insbesondere ihre Parameter hinterfragen. Sind Schwachstellen bereits über eine Angemessenheitsprüfung identifiziert, aber noch nicht bereinigt worden, so hilft dies bei der Argumentation gegenüber der Aufsicht und bei einer möglichen Einwertung von Schwachstellen durch die Aufsicht. Eine wesentliche Herausforderung besteht dabei darin, Materialitätseinschätzungen vorzunehmen, um die Angemessenheit der Verfahren ebenfalls quantitativ fassen zu können. Hierbei empfiehlt es sich, derartige Schwellen in Verzahnung mit Wesentlichkeitseinschätzungen aus der Risikoinventur vorzunehmen.

Falls der Prozess der Angemessenheitsprüfung zusätzlich anlassbezogene Elemente enthält, so können die Kreditinstitute aufzeigen, dass sie auch unterjährig in der Lage sind, auf veränderte Rahmenbedingungen zu reagieren. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Banken ihre Angemessenheitsprüfung nicht nur als „Pflichtübung“ durchführen, sondern den Prozess aktiv für sich nutzen können.

Sprechen Sie uns gerne an!

Bork N. Bröker/ Autor BankingHub

Bork N. Bröker

Senior Manager Office Frankfurt
Ulf Morgenstern / Autor BankingHub

Dr. Ulf Morgenstern

Senior Manager Office Münster
Dr. Joerg Uhlig/ Autor BankingHub

Dr. Joerg Uhlig

Senior Manager Office Münster

Artikel teilen

Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

BankingHub-Newsletter

Analysen, Artikel sowie Interviews rund um Trends und Innovationen
im Banking alle 2 Wochen direkt in Ihr Postfach

Send this to a friend