Libra – ein weiterer Herausforderer im Zahlungsverkehr?

Seit der offiziellen Ankündigung von Libra Mitte Juni wurde bereits viel zu den Chancen und Risiken dieses globalen Finanzinfrastrukturprojekts gesagt und geschrieben. Mit der aktuellen Artikelserie „Libra – zwischen Hype und Realität“ reiht sich zeb in die Riege der Kommentatoren ein und beleuchtet die verschiedenen Facetten einer möglichen Einführung. Im vorliegenden dritten Teil der Artikelserie stehen die Zahlungsverkehrsfunktion von Libra und die Bewertung der Erfolgsaussichten, sich im (europäischen) Zahlungsverkehrsmarkt zu etablieren, im Mittelpunkt.

„Zweiseitige“ Akzeptanz spielt eine entscheidende Rolle

Unabhängig davon, ob man Libra eher als Zahlungsverkehrsinfrastruktursystem oder als neue Zahlungsmethode definiert, spielt deren „zweiseitige“ Akzeptanz eine entscheidende Rolle für die nachhaltige Integration in unseren Alltag.

Auf der einen Seite muss eine hohe Durchdringung beim Endkunden erreicht werden, auf der anderen Seite muss eine kritische Masse von Unternehmen und Händlern Libra-Zahlungen akzeptieren.

Der Erfolg von Libra kann anhand der nachfolgenden Anforderungen an eine moderne Zahlungsverkehrslösung beurteilt werden: Komfort, Geschwindigkeit und Verfügbarkeit, Sicherheit und Stabilität sowie geringe Transaktionskosten.

Kann Libra die Anforderungen an eine moderne Zahlungsverkehrslösung erfüllen?

Libra weckt die Hoffnung auf eine neue Generation von Finanzdienstleistungen, die friktionslos und mit einer hohen Convenience für den Kunden direkt über das Mobiltelefon angeboten und abgewickelt werden. Basierend auf der breiten Erfahrung der Gründungsmitglieder der Libra Association in Bezug auf die Entwicklung von kundenzentrierten Dienstleistungen darf davon ausgegangen werden, dass zumindest gute Ausgangsbedingungen für die Erreichung dieses Ziels bestehen.

Libra kann zudem ihre digitalen Zahlungsverkehrslösungen barrierefrei in die bestehenden sozialen Netzwerke wie Facebook, WhatsApp oder Instagram integrieren. Für eine erfolgreiche Umsetzung ist jedoch ein ausgewogener Mix aus Digital- und Finanzexperten essenziell, da hier die Besonderheiten des regulierten Finanzsektors bei der Ausgestaltung ausreichend berücksichtigt werden müssen.

Wie die Libra Association selbst anmerkt, wird eine breite Nutzung bestehender Blockchain-Lösungen für globale Zahlungsverkehrsanwendungen derzeit durch die mangelnde Skalierbarkeit der Lösungen verhindert.

Auf der anderen Seite bestehen weltweit bereits mehr als 45 Zahlungsverkehrsinfrastruktursysteme die ein „Clearing & Settlement“ von Zahlungen in (nahezu) Echtzeit ermöglichen. In diesem Zusammenhang bleibt folglich abzuwarten, ob die von Libra definierten Gestaltungsprinzipien eine ausreichende Geschwindigkeit des Systems ermöglichen.

Ebenso kann die Sicherheit des Libra-Systems ex ante nur eingeschränkt beurteilt werden. Mit der Wahl eines BFT-Konsensansatzes wurden maßgebliche architektonische Entscheidungen zur Gewährleistung der Sicherheit der Finanzdaten getroffen. BFT-Konsensusprotokolle sind so konzipiert, dass sie auch dann korrekt funktionieren, wenn bis zu ein Drittel des Netzwerks kompromittiert ist. Die praktische Anwendung muss jedoch zeigen, inwieweit neue Angriffsvektoren eine theoretisch sichere Infrastruktur gefährden können.

Bisher wurde nicht kommuniziert, wie viel Transaktionen mit Libra kosten werden. Nimmt man die gerade im internationalen Zahlungsverkehr noch vergleichsweise hohen Durchschnittskosten als Ausgangspunkt, so hat Libra grundsätzlich ein hohes Potenzial, durch niedrigere Transaktionskosten einen Mehrwert für ihre Kunden zu erzielen.

An dieser Stelle ist jedoch zu erwähnen, dass die Ertragspools durch verstärkten Wettbewerb und Innovationen der vergangenen Jahre bereits unter Druck geraten sind. Im Bereich der währungsübergreifenden (Person-zu-Person-)Zahlungen bieten Anbieter wie TransferWise, Xoom oder Revolut bereits heute Zahlungen innerhalb der wichtigsten Währungskorridore zu deutlich günstigeren Konditionen an.

Darüber hinaus definieren globale Initiativen wie SWIFT gpi derzeit die Abwicklung grenzüberschreitender Zahlungen über das Korrespondenzbanken-Netzwerk neu und setzen – neben Maßstäben in Bezug auf die Geschwindigkeit und lückenlose Rückverfolgbarkeit von Zahlungen – auch Akzente hinsichtlich der Preisgestaltung. Vor diesem Hintergrund ist Libra sicherlich einem intensiven Preiswettbewerb mit etablierten Lösungen ausgesetzt.

Libra erhöht den Druck auf Banken, sich (wieder) stärker mit dem Zahlungsverkehr auseinanderzusetzen

Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass zum jetzigen Zeitpunkt viele Details noch ungeklärt sind und eine abschließende Bewertung der Erfolgsaussichten noch nicht möglich ist. Klar ist dagegen: Die geplante Einführung von Libra fällt in eine Zeit, in der sich der Zahlungsverkehrsmarkt im Wandel befindet.

Digitale Bezahlverfahren gewinnen zunehmend an Bedeutung und ersetzen sukzessive Bargeldzahlungen. Viele Marktteilnehmer schwanken (noch) zwischen einer chancenorientierten Nutzung der Öffnung von Daten- und Finanzströmen und der Angst eines potenziellen Verlusts der Kundenschnittstelle. Banken und Payment-Provider sehen sich einem zunehmendem Spannungsfeld zwischen der Implementierung von modernen Sicherheitsanforderungen und einfachen, kundenorientierten Lösungen ausgesetzt.

Insofern würde der Start von Libra den allgemeinen Druck erhöhen, sich (wieder) stärker im Zahlungsverkehrsgeschäft zu positionieren, die Interoperabilität bestehender nationaler Systeme (endlich) konsequent zu erhöhen und somit dem (eigentlichen) Vorteil von Libra jenseits der Zahlungsverkehrsfunktion – dem großen Netzwerkeffekt – aktiv zu begegnen.

Sprechen Sie uns gerne an!

Artikel teilen

Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

BankingHub-Newsletter

Analysen, Artikel sowie Interviews rund um Trends und Innovationen
im Banking alle 2 Wochen direkt in Ihr Postfach

Send this to a friend