Das Beste aus zwei Welten: Erfolgreiche Innovationen durch starke Partnerschaften

Die Volksbank Mittelhessen setzt auf digitale Lösungen, um die Anliegen der Kund:innen einfach und schnell zu erledigen. Erste Wahl sind die Angebote des zentralen IT-Dienstleisters Atruvia. Dort, wo spezielle Anforderungen nicht beziehungsweise nicht zeitnah abgedeckt werden können, greift die Bank ergänzend auf Drittanbieter zurück oder arbeitet in Kooperation mit FinTechs. Das biete Vorteile, schaffe aber auch neue Herausforderungen. Eine kritische Abwägung sei daher im Einzelfall notwendig – und immer wieder der Blick auf die Nutzenden. So könne die subsidiäre Doppelstrategie erfolgreich gelingen.

Im Interview mit Dr. Philipp Stein (PS) und Dr. Kai Krieger (KK), Generalbevollmächtigter bzw. Change Manager Transformation bei der Volksbank Mittelhessen, sprechen wir über Transformationsprozesse, Prozessoptimierung und der Zusammenarbeit mit IT-Dienstleistern.

Innovations- und Transformationsprozesse

Philipp, Kai, allen Widrigkeiten im aktuellen Umfeld zum Trotz hattet ihr ein gutes Jahr 2022. Was macht euch so erfolgreich?

Dr. Philipp Stein, Generalbevollmächtigter bei der Volksbank Mittelhessen
Dr. Philipp Stein (PS), Generalbevollmächtigter bei der Volksbank Mittelhessen

PS: Natürlich haben auch wir die Auswirkungen des Krisenjahrs 2022 gespürt und wie alle anderen auch mit dem starken Anstieg des Zinsniveaus und den damit einhergehenden einmaligen Belastungseffekten zu kämpfen gehabt. Tatsächlich war es aber unter den Aspekten „Transformation“ und „Digitalisierung“ ein richtig gutes Jahr, weil wir sowohl bei der Weiterentwicklung unseres bestehenden Betriebs- und Geschäftsmodells als auch beim Aufbau neuer Geschäftsmodelle wichtige Schritte nach vorne gemacht haben. Zum Dritten haben wir uns in einem sehr intensiven Strategieprozess einen neuen Unternehmenssinn (Purpose) gegeben, aus dem wir alle unsere zukünftigen Schritte ableiten werden.

Dr. Kai Krieger (KK), Change Manager Transformation bei der Volksbank Mittelhessen
Dr. Kai Krieger (KK), Change Manager Transformation bei der Volksbank Mittelhessen

KK: Gerade in Zeiten mit fortlaufend wechselnden und unvorhersehbaren externen Einflüssen sind Routine und Erfahrung unserer Bank sowie die Leistungs- und Veränderungsbereitschaft der Mitarbeitenden zentrale Erfolgsfaktoren. Eine 160 Jahre alte Bank befindet sich im stetigen Wandel. Für das aktuelle Tempo wurden bereits vor fünf Jahren vom Vorstand entscheidende Innovationen und Veränderungsprozesse auf den Weg gebracht. Diese Transformationserfahrungen sind in den letzten Monaten zu wichtigen Ankern für die Belegschaft geworden.

Welche Rolle spielen neue digitale Produkte und Services dabei?

PS: Es wäre ja bedenklich, wenn diese Punkte nicht im Kern unserer Überlegungen stünden. Digitale Lösungen sind für uns in zweifacher Hinsicht ein wesentlicher Baustein unserer Strategie. Zuvorderst für unsere Kund:innen, die zu Recht den Anspruch haben, dass die Erledigung von aus Kundensicht einfachen und gleichzeitig auch „nervigen“ Themen möglichst nur mit drei Klicks – ohne großes „Gedöns“, hundert Prozessschritten, dreißig Seiten Papier und mehreren Weiterleitungen an unterschiedliche Stellen – über die Bühne geht. Was auch unsere Mitarbeitenden entlastet. Zweitens spielen digitale Lösungen nicht nur für das Frontend, sondern auch für unser Backend eine große Rolle. Denn nur so können wir die nötige Geschwindigkeit für unsere Kund:innen liefern und gleichzeitig eine Antwort auf den drastisch spürbaren Fachkräftemangel formulieren.

Prozessoptimierung und Kundenorientierung

Habt ihr aktuelle Beispiele?

PS: Beispielsweise haben wir einen Großteil der Produktion unserer Baufinanzierungen automatisiert. Bis auf wenige Handgriffe kommt hier vom Antragseingang bis zum Vertragsversand ein Roboter zum Einsatz. Damit sind wir für unsere Kund:innen nicht nur schneller, sondern sparen auch Kapazitäten in der Marktfolge ein. Ein weiteres Beispiel ist der Einsatz einer künstlichen Intelligenz in unserem KundenServiceCenter. Die Anrufenden werden so mit einer Treffgenauigkeit von 90 % sofort zur richtigen Ansprechperson geroutet. Das nervige Weiterleiten, Rückrufe etc. entfallen, und die Anliegen können sofort beim ersten Anruf erledigt werden. Unsere Erreichbarkeit ist damit ebenfalls um ein Vielfaches gestiegen. Langes Warten in der Warteschleife ist deshalb auch eine absolute Seltenheit geworden.

KK: Wie die Beispiele von Philipp verdeutlichen, setzen wir sowohl auf interne Prozessoptimierung und Stärkung der Mitarbeitenden als auch auf Customer Centricity. Auf Firmenkundenseite haben wir vor zwei Jahren mit lokalen Entwicklern die erste Kreditantragsstrecke herausgebracht, bei der Unternehmer:innen innerhalb von sieben Minuten mit nur drei Unterlagen ein echtes individuelles Kreditangebot erhalten. Hier wird auch für Neukunden der Zinssatz entsprechend anhand des Finanzierungsbedarfs und der Objekte sowie der Unternehmensbonität tagesaktuell sofort berechnet – ein Produkt, das wir nach unserer Pilotierung nun auch anderen Banken und FinTechs anbieten. Im kommenden Release ist erstmalig ein automatisiertes Bürgschaftsversicherungsangebot der R+V integriert: ein echter Mehrwert, wie Testkunden uns bestätigt haben.

Zusammenarbeit mit der Atruvia und Drittanbietern

Spannend. Wo nutzt ihr Standards, wo habt ihr als Volksbank Mittelhessen spezielle Anforderungen im Hinblick auf solche Initiativen?

PS: Unsere erste Wahl sind natürlich diejenigen Lösungen, die uns unser zentraler IT-Dienstleister, die Atruvia, zur Verfügung stellen kann. Das entsprechende Portfolio ist gut und vielseitig und bietet den Vorteil, dass die Anbindung an unser Kernbankensystem schon da ist. Nur dann, wenn ein bestimmter „Need“ nicht oder noch nicht abgedeckt werden kann, gehen wir auf Drittanbieter zu oder entwickeln in Kooperation. So war es auch bei den drei oben genannten Beispielen.

KK: Neben den bereits erwähnten Anwendungsbeispielen haben wir unter anderem die interne Kommunikation durch ein komplett neues Social Intranet verbessert. Dieses haben wir mit einem lokalen Partner in den vergangenen drei Jahren programmiert und weiterentwickelt, da unsere Anforderungen in puncto Nutzungstiefe, Datenhoheit und sicheren Systems von gängigen Anbietern auf dem Markt nicht abdeckt waren. Als Bank kann man auch bei so verbreiteten Anwendungen nicht einfach was von der Stange nehmen. Die neu entwickelte Software führt zu einem schnelleren und fokussierten Austausch innerhalb der Bank. Viele separate Bereiche wie interne Personalausschreibungen oder Kommunikation der Bankstrategie können sinnvoll zusammengeführt werden und sind auch mobil verfügbar.

Was bedeutet das für die Zusammenarbeit mit dem zentralen IT-Dienstleister der genossenschaftlichen Finanzgruppe, der Atruvia, und Drittanbietern?

PS: Grundsätzlich verändert unsere „subsidiäre Doppelstrategie“ nichts Wesentliches an der Zusammenarbeit mit der Atruvia. Aber natürlich schadet es nicht, wenn sich durch innovative Lösungen von Drittanbietern Benchmarks nach oben verschieben. Während viele Akteure vor zehn Jahren noch geraunt haben, dass FinTechs und digitale Dienstleister die Etablierten vom Markt fegen werden, ist es aus unserer Sicht mittlerweile ein eher symbiotisches Verhältnis geworden. Das heißt, dass Drittanbieter gerne mit uns zusammenarbeiten, weil sich mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt hat, einen zentralen IT-Dienstleister nicht überflüssig machen zu können. Und dass wir gern dort mit Drittanbietern arbeiten, wo schnell maßgeschneiderte, individuelle und anwenderfreundliche Lösungen gebraucht werden.

Voraussetzungen und Grenzen bei der Anbindung von Drittanbieterlösungen

Klingt nach dem Besten aus zwei Welten. Unter welchen Voraussetzungen kann das gelingen, etwa in technischer und organisationaler Hinsicht?

PS: Zunächst sind die Qualität und Stabilität der Drittanbieterlösung ein ganz entscheidender Faktor. Wir sind ein großes Haus mit rund 340.000 Kund:innen. Da muss eine Lösung schon verlässlich funktionieren. Auch muss gewährleistet sein, dass der Drittanbieter schnellen und substanziellen Support liefern kann. In technischer Hinsicht liegt die große Herausforderung in der Systemintegration. Häufig bedarf es einer sogenannten „Middleware“, die den Datentransfer zwischen dem Kernbankensystem und der Drittlösung ermöglicht. Diese können die Drittanbieter nicht mitliefern, weshalb diese Brücke von uns als Eigenentwicklung gebaut werden muss. Das bedeutet, dass das „Beste aus zwei Welten“ nur dann funktioniert, wenn man selbst über eine leistungsfähige und personell gut ausgestattete IT verfügt. Schließlich – und das ist ein nicht zu unterschätzender Faktor – gehen Drittanbieterlösungen auch mit neuen Benutzeroberflächen einher. Für diese müssen Schulungen erfolgen, und sie müssen dann auch in Routine mit geringen Fehlerquoten überführt werden. Je größer und heterogener die Gruppe der Nutzenden im Haus ist, desto anspruchsvoller ist das in kompetenzieller und kultureller Hinsicht.

KK: Dies erfordert ein hohes Maß an Veränderungsbereitschaft unter den Mitarbeitenden sowie Ausdauer und Durchsetzungskraft bei den Teams und Enabler:innen, die an der Einführung der neuen Lösungen arbeiten. Nicht selten müssen zahlreiche Hürden wie Anpassung an Codes, Prüfung von Schnittstellen, Testdurchläufe, Einbeziehung heterogener Abteilungen und Teams, Freigaben und Einbindung von Atruvia-Töchtern oder weiterer Dienstleister, Regulatorik und Sicherheitsprüfungen genommen werden, bis es überhaupt zur Pilotierung einer neuen Anwendung kommt. Da rennt die Zeit manchmal schneller weg, als allen Beteiligten lieb ist, noch bevor der erste MVP reibungslos läuft. Hierzu gehören daher ein nötiges Maß an Vertrauen des Top- und mittleren Managements in die Projektteams und Projektleiter:innen – welches bei uns im Haus gegeben ist – und das Lernen einer gemeinsamen Sprache, damit alle das Gleiche verstehen.

Wo liegen in euren Augen die Grenzen dieses Vorgehens?

PS: Die liegen ganz klar dort, wo der Aufwand den Nutzen übersteigt. Man muss sich davon verabschieden, jedes wünschenswerte Feature zu wollen. Ansonsten verrennt man sich in zu viel Komplexität und eine IT-Landschaft, die nicht mehr den Kund:innen und dem Unternehmen dient. Ein weiterer wichtiger Punkt ist auch die Frage, ob es sich um eine Brückenlösung oder -technologie handelt. Sind wir der Auffassung, dass die Atruvia in absehbarer Zeit eine ähnliche Lösung ausbringen wird, begrenzt das natürlich den Nutzen einer Drittlösung. Ein grober Maßstab ist für uns eine Überbrückungszeit von etwa zwei Jahren.

KK: Die Grenzen im Spagat paralleler IT-Welten liegen wie in vielen Bereichen im Kapital, in den Human Resources und nicht prüfbaren Revenue-Streams. Beim Kapital spielen das verfügbare Entwicklungsbudget und dessen anvisierte Rentabilität die entscheidende Rolle. Aus dem Revenue-Stream einer Businessmodellrechnung oder einem Lean Canvas sollte hervorgehen, wie schnell ein neues Produkt oder ein neuer Prozess profitabel wird, bestehende Kosten reduziert werden, ein echter Nutzen für die Kund:innen gebildet wird oder Kundenbindung verstärkt wird. Der Faktor Human Resources bezieht sich auf Engpässe für bestimmte Prozessschritte. Nicht selten wird von Schlüsselpersonen Know-how, Expertise oder eine Entscheidung für viele Projekte gleichzeitig benötigt. Da hilft es auch nicht immer, das Personal aufzustocken, wenn das benötigte Wissen erst angeeignet werden muss. Hier ziehen wir bei rechtzeitiger Planung auch gerne mal externe Berater:innen mit ein. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, in eine kommende Generation inhouse zu investieren und Schlüsselrollen verstärkt zu besetzen, um Wissen zu teilen und verfügbar zu machen.

Erkenntnisse aus der „subsidiären Doppelstrategie“ für IT-Lösungen

Was sind hingegen passende Anwendungsfälle?

PS: Es sind diejenigen Lösungen, die einen spürbaren Effekt bringen. Wenn wir dem Kunden fünfzehn Minuten Zeit schenken können, wenn sich die Beraterin mit wirklich wichtigen Dingen beschäftigen kann und wenn wir freie Stellen, auf die sich keiner bewirbt, nicht nachbesetzen müssen, dann lohnt sich das für uns, und dann investieren wir auch den Integrations- und Schulungsaufwand.

Welche Erkenntnisse habt ihr gewonnen, die euch früher geholfen hätten?

KK: Auf der einen Seite ist wie schon erwähnt das Einnehmen der Kunden- bzw. Nutzerperspektive einer der wichtigen Impacts, der bei jeder Entwicklung berücksichtigt werden sollte. Die Einschätzung von Expert:innen ist gut. Die Kund:innen zusätzlich zu fragen, ist besser. Dies ist zwar keine neue Erkenntnis, aber in der Umsetzung sollte man sich daran erinnern, dafür die Zeit zu nehmen.

PS: Auf der anderen Seite sollte auch immer gelten, den Fit neuer Projekte zum Purpose und zur eigenen Strategie zu prüfen. Je früher Projekte dahingehend beurteilt werden, desto besser kann entschieden werden, was einen wirklich nach den ersten Quick Wins weiterbringt.

Was möchtet ihr uns bzw. den Leser:innen noch mit auf den Weg geben?

PS: Zentrale IT-Dienstleister sind wichtig für ein stabiles Kern(banken)system. Bei der aktuellen Veränderungs- und Innovationsgeschwindigkeit ist es aus unserer Sicht unerlässlich, nicht alternativ, sondern ergänzend dort mit Drittanbietern zusammenzuarbeiten, wo für Kundenbedürfnisse und Anforderungen an Geschwindigkeit und Effizienz noch keine ausreichenden Lösungen bestehen. Die hauseigene Fähigkeit, „Middleware“ zu entwickeln, ist dafür Grundvoraussetzung.

KK: Mut zur Innovation, Ausdauer für die Umsetzung sowie das Vertrauen darin, dass man gemeinsam mehr schafft. Dies gilt auch für Kooperationen zwischen FinTechs, Banken und primären IT-Dienstleistern auf Augenhöhe.

Sprechen Sie uns gerne an!

René Lange / Autor BankingHub

René Lange

Head of Operations Office Berlin
Caroline Klausch / Autorin BankingHub

Caroline Klausch

Managerin Office Berlin

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