Kreditgeschäft bis 2030: Strategische Herausforderungen – zwischen Algorithmus und Anspruch

Die Welt des Kreditgeschäfts steht vor einem tektonischen Wandel. Zwischen regulatorischer Dichte, technologischer Disruption und einem radikal veränderten Kundenverhalten entfaltet sich ein Spannungsfeld, das Banken zwingt, ihre strategischen Grundannahmen zu hinterfragen. Wer glaubt, dass die Digitalisierung lediglich ein weiteres Kapitel in der langen Geschichte der Effizienzsteigerung sei, verkennt die tektonische Tiefe der Transformation.

Welche Chancen und Risiken birgt der algorithmische Kredit im Hinblick auf KI?

Künstliche Intelligenz (KI) ist längst kein Zukunftsthema mehr – sie ist Realität im Kreditgeschäft. Von der automatisierten Bonitätsprüfung über Scoringmodelle bis hin zur dynamischen Preisgestaltung: KI verändert nicht nur Prozesse, sondern auch Entscheidungslogiken. Die BaFin erkennt in ihrer aktuellen Regulierung explizit die Notwendigkeit, Modelle und Algorithmen in das Risikomanagement zu integrieren – unter der Maßgabe von Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Governance​.

Als herausfordernd gestaltet sich dabei nicht die Technik, sondern die Verantwortung. Wie lassen sich algorithmische Entscheidungen erklären? Wie wird Diskriminierung vermieden? Und wie kann ein Institut sicherstellen, dass es die Kontrolle über seine eigenen Systeme behält?

Die Antwort liegt in einem neuen strategischen Paradigma: technologischer Souveränität. Banken müssen nicht nur KI nutzen, sondern sie verstehen, steuern und verantworten können. Die MaRisk fordern daher explizit robuste Verfahren zur Modellvalidierung, Sicherstellung der Datenqualität und Risikodatenaggregation.

Wie verändern sich die Erwartungen der Kund:innen im Kreditgeschäft?

Die Kund:innen von morgen sind nicht nur digital – sie sind informiert, vernetzt und anspruchsvoll. Sie erwarten nicht nur eine Kreditentscheidung in Echtzeit, sondern auch Transparenz über die Entscheidungsgrundlagen. Die klassische Filialberatung wird zur Ausnahme, die digitale Interaktion zur Norm.

Diese Entwicklung stellt Banken vor eine doppelte Herausforderung: Sie müssen einerseits ihre Prozesse radikal digitalisieren und andererseits Vertrauen in eine zunehmend entmenschlichte Interaktion schaffen. Das bedeutet: intuitive Interfaces, personalisierte Angebote und eine Kommunikation, die auch dann Vertrauen schafft, wenn der Entscheider ein Algorithmus ist.

Inwiefern dient die Regulatorik als strategischer Rahmen für das Kreditgeschäft?

MaRisk

Welche Anforderungen stellen die MaRisk-Novellen an das Kreditgeschäft aus nationaler und europäischer Perspektive dar?

Die letzten MaRisk-Novellen der BaFin sind mehr als ein regulatorisches Update – sie sind ein strategischer Kompass für das Risikomanagement der Zukunft. Besonders relevant für das Kreditgeschäft sind die Anforderungen an:

  • die Funktionstrennung und Votierung im Kreditprozess (BTO 1.1),
  • die Früherkennung von Risiken und Forbearance (BTO 1.3),
  • Risikoklassifizierungsverfahren (BTO 1.4) sowie
  • die Verwendung von Modellen und deren Validierung (AT 4.3.5)[1].

Diese Anforderungen zielen nicht nur auf Stabilität, sondern auch auf Resilienz – ein Begriff, der in Zeiten von KI und Cyberrisiken eine neue strategische Bedeutung erhält.

EBA-Leitlinien

Was beinhalten die Leitlinien zur Kreditvergabe und -überwachung, und wie tragen sie zur Harmonisierung auf europäischer Ebene bei?

Die EBA hat mit ihren Leitlinien zur Kreditvergabe und -überwachung (EBA/GL/2020/06) einen einheitlichen Rahmen geschaffen, der weit über nationale Anforderungen hinausgeht. Besonders hervorzuheben sind:

  • Anforderungen an die Kreditwürdigkeitsprüfung, auch unter Einsatz automatisierter Verfahren,
  • Transparenzpflichten gegenüber Kund:innen sowie
  • Governance-Anforderungen hinsichtlich der Nutzung von KI und Big Data.

Diese Leitlinien sind nicht optional – sie sind insbesondere für die großen, EZB-überwachten Institute verbindlich und werden von der EZB im Rahmen des SSM (Single Supervisory Mechanism) konsequent durchgesetzt.

EZB

Wie fokussiert die EZB ihre Aufsichtspraktiken auf digitale Risiken im Kreditgeschäft, und welche strategischen Prioritäten ergeben sich daraus?

Die EZB verfolgt in ihrer Aufsichtspraxis einen klaren Fokus auf digitale Risiken. In ihren jährlichen Aufsichtsprioritäten betont sie regelmäßig die Bedeutung von:

  • IT- und Cyberrisiken,
  • der Governance von KI-Systemen sowie
  • der strategischen Steuerung von Kreditrisiken in einem volatilen Umfeld.

Für Banken bedeutet das: Die strategische Ausrichtung des Kreditgeschäfts muss regulatorisch anschlussfähig sein – nicht nur national, sondern auf europäischer Ebene.

Welche strategischen Imperative müssen Banken bis 2030 erfüllen?

Aus diesen Entwicklungen ergeben sich vier strategische Imperative für Banken, um den Wandel im Kreditgeschäft erfolgreich zu gestalten.

I) Technologische Souveränität aufbauen

Banken müssen die Kontrolle über ihre Technologien behalten. Das bedeutet:

  • Aufbau interner KI-Kompetenz,
  • Etablierung robuster Modell-Governance-Strukturen und
  • Investitionen in Datenqualität und -infrastruktur.

II) Kundenzentrierung radikal denken

Die Kund:innen erwarten mehr als ein Produkt – sie erwarten eine Lösung. Banken müssen:

  • Kreditprozesse vollständig digitalisieren,
  • personalisierte Angebote auf Basis von Datenanalysen entwickeln und
  • neue Kommunikationsformen etablieren, die Vertrauen schaffen.

III) Regulatorische Integration sicherstellen

Compliance darf kein Hindernis sein – sie muss integraler Bestandteil der Strategie werden. Das erfordert:

  • frühzeitige Einbindung von Regulatorik in Innovationsprozesse,
  • Aufbau interdisziplinärer Teams aus IT, Recht und Risikomanagement sowie
  • eine proaktive Kommunikation mit Aufsichtsbehörden.

IV) Ethik und Verantwortung verankern

KI braucht Werte. Banken müssen sicherstellen, dass ihre Systeme

  • diskriminierungsfrei,
  • nachvollziehbar und
  • im Sinne der Kund:innen

handeln. Das ist keine technische, sondern eine kulturelle Herausforderung.

Wie können Banken die strategischen Herausforderungen im Kreditgeschäft aktiv gestalten?

Die strategischen Herausforderungen im Kreditgeschäft bis 2030 sind kein Schicksal – sie sind eine Einladung zur Gestaltung. Wer sich auf die regulatorischen Anforderungen beschränkt, wird verwalten. Wer sie als Rahmen für Innovation begreift, wird gestalten.

Oder um es mit einem Hauch von Pathos zu sagen: „Zwischen Algorithmus und Anspruch entscheidet sich, ob Banken auch in der nächsten Dekade noch Vertrauen verdienen.“

 

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Bastian Walkhoff/ Autor BankingHub

Bastian Walkhoff

Expert Partner Office Hamburg

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