Blockchain – Banking and Beyond

Blockchain ist ein Thema, mit dem sich nicht nur Banken beschäftigen. Michael Reuter, Mitgründer und CEO von Datarella, entwickelt mit seinem Team Blockchain-Lösungen für den Einsatz in der Industrie – fernab vom klassischen Bitcoingeschäft. Seine Firma betreibt unter anderem „RAAY“ (raay.money), ein Blockchain-basiertes Betriebssystem für die Finanzindustrie. RAAY wurde auf Basis der Erfahrungen aus dem Building-Blocks-Projekt für die Vereinten Nationen entwickelt, mit dessen Hilfe im Rahmen des World Food Programme (WFP) bis zu 500.000 Flüchtlinge Zugang zu Lebensmitteln erhalten. Wir haben Michael Reuter im Rahmen der diesjährigen zeb.Uni interviewt.

Für Michael Reuter ist Blockchain viel mehr als nur die Basis für Bitcoin und Co. Sein Augenmerk liegt auf wesentlich breiter gefassten Anwendungsfällen, die er mit seinem Team auch in die Tat umsetzt. „Blockchain ist eine Software, die gleichzeitig Datenbank-, Buchhaltungs- und Transaktionsaufgaben übernehmen kann“, sagt er. „Probleme mit Versionierung, Vollständigkeit, Korrektheit und Echtzeitverfügbarkeit der Daten entfallen – die Möglichkeiten sind endlos.“

Ist Blockchain also die Zukunft? Michael Reuter ist zumindest sicher:
„Die Blockchain wird bleiben.“

Bitcoin und Co.

Kryptowährungen sind wohl der bekannteste und derzeit am breitesten diskutierte Anwendungsfall der Blockchain. Zurzeit gibt es mehr als 1.800 davon. „Eine Aussage darüber, welche dieser Währungen auch in x Jahren noch Verwendung finden wird, halte ich für schwierig“, sagt Michael Reuter. Dennoch ist er überzeugt: „Diese Art von Devisen wird nicht wieder weggehen.“ Zwar sei momentan noch wenig Liquidität im Markt, die Volatilität sowie der Grad der Rechtsunsicherheit sei hoch, und es seien auch noch nicht viele große Player vertreten, „doch die Regulatoren – etwa die BaFin – sind deutlich aktiver und näher am Thema, als aktuelle Meldungen es vermuten lassen; sie warten jedoch noch ab, um erst einmal zu beobachten“ – eine Haltung, die Reuter grundsätzlich begrüßt.

Anwendungsfälle

Die technischen Möglichkeiten der Blockchain seien einzigartig und nahezu unbegrenzt, betont Michael Reuter. „Grundsätzlich gibt es Milliarden Anwendungsfälle, und jede Firma wird das Potenzial der Blockchain für sich nutzen wollen.“ Die Suche nach guten Use Cases sei jedoch nicht einfach, und die richtigen und besten seien laut Reuter in den meisten Unternehmen noch nicht identifiziert. Wo liegt die Schwierigkeit? Reuter findet klare Worte: „Nicht jede Transaktion, für die man heute eine Datenbank nutzt, sollte man künftig über Blockchain abwickeln – nur, damit Blockchain drin ist.“

Was sind Voraussetzungen für sinnvolle Use Cases?

Vom ersten Anwendungsfall hat man im Banking schon viel gehört: „Die Blockchain eignet sich gut für Anwendungen in transaktionsorientierten Bereichen, also etwa im Finanzsektor, aber auch in der Industrie für jedwede Supply Chain, für branchenübergreifende Qualitätssicherung sowie im Zuge der Wirtschaftsprüfung, wo jene auch Anwendung finden kann – oder die Branche sogar nachhaltig verändern wird“, erklärt Michael Reuter. „Richtig angewendet sorgt die Blockchain für Kontrolle, Übersicht und Nachvollziehbarkeit – und macht heute übliche und zum Teil höchst umständliche Kontrollmechanismen überflüssig. Mit funktionierenden Blockchain-Systemen könnte ein großer Teil des Wirtschaftsprüfungsaufwands redundant werden.“

Blockchain – Banking and Beyond: Michael Reuter (Datarella) zu Use Cases, Chancen und HerausforderungenMichael Reuter – Co-Founder & CEO Datarella GmbH

Der zweite, ebenfalls recht häufig diskutierte Anwendungsfall sind Smart Contracts. Die Grundstruktur dieser ist, einfach gesprochen, mit „if this, then that“ zu beschreiben und lässt sich in Theorie und Praxis sehr gut über eine Blockchain abbilden. Für die erfolgreiche Anwendung gibt es hier aber ein praktisches Problem: Die Smart Contracts können fehlerhaft sein – oder zumindest von einem Vertragspartner infrage gestellt werden. So kann es in der Praxis vorkommen, dass eine Police nicht bezahlt scheint, obwohl sie bezahlt wurde: „Die Gründe dafür sind mannigfaltig“, so Reuter, „und das ist ein Riesenproblem, weil man in diesem automatischen Prozess nicht ohne Weiteres manuell eingreifen kann.“ Hier müssen Lösungen her, wie beispielsweise die von Datarella entwickelte Smart Contract Arbitration Codelegit (www.codelegit.com); also die Möglichkeit, den Smart Contract zu pausieren und eine Vertragsstreitigkeit über ein Schiedsgericht klären zu lassen. Bevor Smart Contracts – wie bei Codelegit – nicht rechtskonform programmiert werden, ist der Praxiseinsatz noch fern.

Der dritte Anwendungsfall ist bisher weniger bekannt. Tatsächlich geht es dabei nicht um die Verbesserung von Kontrollmechanismen und zunehmender Automatisierung. „Man braucht eine Blockchain dann, wenn mehrere Parteien involviert sind, die einander nicht notwendigerweise vertrauen.“ Dies könne etwa bei Unternehmen der Fall sein, die sich aus kartellrechtlichen Gründen nicht vertrauen dürfen, oder bei eigenständig arbeitenden Bereichen in Großkonzernen. Die Blockchain erleichtert hier durch eine lückenlose Dokumentation eine Kontrolle, gibt Sicherheit und schafft Transparenz für alle beteiligten Parteien. Dadurch wird die laufende Zusammenarbeit und das Maß an Unsicherheit für die Beteiligten reduziert.

Michael Reuter ist überzeugt, dass die besten Use Cases aus dem Unternehmen selbst kommen – und nicht aus der Vorstellung, „was man mit einer Blockchain machen kann“.

Kritik

Die Blockchain ist ein komplexes System, für dessen Aufbau, Anpassung und Kontrolle besondere Fähigkeiten nötig sind, die die Unternehmen erst aufbauen müssen. Die aktuelle Lernkurve sei jedoch allerorten „sehr steil“, so Reuter.

Ein häufiger Kritikpunkt ist der hohe Stromverbrauch von Blockchain-Aktivitäten. Hier gelte es jedoch, klar zu differenzieren, so Reuter: „Der Stromverbrauch ist nur Diskussionsgegenstand bei Public Blockchains, an denen jeder teilnehmen kann und deren Konsensfindung auf einem algorithmenbasierten Incentivemechanismus – dem sog. Proof-of-Work – beruht.“ Die meisten Firmenlösungen seien private Blockchains, bei denen erhöhter Stromverbrauch kein echtes Thema sei.

Eine große und noch nicht geklärte Schwierigkeit sieht Michael Reuter allerdings auf einer anderen Ebene: „Das deutsche Rechtssystem ist auf ein zentrales Wirtschaftssystem ausgerichtet. Wie hier mit Dezentralisierung umgegangen werden soll, ist nicht nur mir, sondern vermutlich vielen Marktteilnehmern momentan unklar.“ Ein schönes Beispiel dafür sei die im Mai in Kraft getretene Datenschutzgrundverordnung, die bisher mit dezentralen Techniksystemen nur schwer in Einklang zu bringen sei. „In der Praxis wird man dem Thema mit Ausnahmeregelungen und Auslegungskreativität begegnen. Ein nachhaltiges Vorgehen sieht anders aus. Die Gesetzgebung müsste dezentrale Systeme berücksichtigen – dieser Prozess wird nach meiner Einschätzung Jahre dauern. Aber er ist zwingend notwendig.“

Ausblick

Michael Reuter glaubt, dass in zehn Jahren nicht mehr über die Blockchain geredet werde, „dann wird sie längst zur Selbstverständlichkeit geworden sein“. Und wie verändert sich der Alltag eines durchschnittlichen Anwenders durch die Blockchain? Gar nicht, meint Reuter – „weil er es vermutlich nicht mitbekommen wird. Blockchain-basierte Produkt- oder Prozessverbesserungen für einen Endnutzer wird ein Unternehmen vermutlich nicht mit dem Einsatz der Blockchain-Technologie begründen. Es wird vielmehr allgemein ein optimiertes Angebot anpreisen.“ Wir sind gespannt.

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