Ein Erklärungsversuch
Im Verlauf anhaltender Restrukturierungsmaßnahmen sinken die Marktaktivitäten von Banken proportional ab. Die Mitarbeiter sind in der Regel direkt oder indirekt an den Maßnahmen beteiligt, was Zeit in Anspruch nimmt. Dennoch können Mitarbeiter die mittel- und langfristigen Folgen dieser Maßnahmen nur schwer einschätzen – Verunsicherung und mangelnde Zuversicht gehören zum Arbeitsalltag. Je länger die Phase allgemeiner und individueller Unsicherheit andauert, desto mehr bestimmen nach innen gerichtete, persönliche Themen den Alltag der Mitarbeiter. Die Kundenbedürfnisse stehen nicht mehr ungeteilt im Fokus der Mitarbeiteraktivitäten, sondern rücken langsam und unbewusst in den Hintergrund; in Kombination mit einschneidenden Einsparungsmaßnahmen wird die Bank regelrecht gelähmt – der „Zug zum Tor“ ist für den Kunden nur noch selten spürbar.
In einer idealtypischen Welt könnte das Management bereits während der konzeptionellen Phase der Restrukturierung den Faktor Unsicherheit für die Leistungsträger durch eine gezielte bilaterale Ansprache einschränken. Allerdings kann dies häufig nur punktuell genutzt werden, zum anderen verbieten zumeist Geheimhaltungsvereinbarungen, die für die Dauer der Verhandlungen mit dem Personalrat getroffen werden, ein solches Vorgehen.
Doch selbst nach Abschluss der konzeptionellen Restrukturierung und der damit einhergehenden partiellen Auflösung des Faktors Unsicherheit besteht die Gefahr, dass das Energielevel der Mitarbeiter durch mangelnde oder unklare Kommunikation weiter sinkt (vgl. Abbildung 1). Denn obwohl die bislang lähmende Unsicherheit nicht mehr omnipräsent ist, steht den Mitarbeitern die kraftraubende Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen noch bevor. Verliert die Bank in dieser Zeit nachhaltig den Kontakt zu ihren Kunden, droht ein dauerhafter Verlust von Erträgen – die initial beschlossenen Einsparungsmaßnahmen reichen nicht mehr aus. Dies ist der potenzielle Beginn eines „Shrink-to-Glory-Prozesses“, in welchem eine Kostenmaßnahme der nächsten folgt, bis – drastisch formuliert – auch der letzte Kunde das sinkende Schiff verlassen hat.
Gemeinschaftliches Setzen von Wachstumsimpulsen
Um ein Scheitern der eingeleiteten Restrukturierungsmaßnahmen zu verhindern, sollte es oberstes Ziel der Bank sein, den Fokus mit Nachdruck auch auf die Kunden, den Markt und somit auf eine entsprechende Performance zu legen. Damit der Umschwung hin zu einer höheren Marktaktivität gelingen kann, gilt es, vonseiten der Bank frühzeitig wieder Wachstumsimpulse zu setzen und nicht in der Starre der Restrukturierung zu verharren. In diesem Kontext ist nach Abschluss der konzeptionellen Restrukturierung eine nachhaltige Aktivierung der Mitarbeiter entscheidend.
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Eine effektive Mitarbeiteraktivierung geht jedoch über die klassische Definition von Changemanagement hinaus, nach der zumeist nur die reine Akzeptanz von getroffenen Maßnahmen im Vordergrund steht. Im Gegensatz dazu ist Aktivierung wörtlich zu verstehen. Mitarbeiter nehmen einen aktiven Part in der Ausgestaltung der Wachstumsmaßnahmen ein. Dadurch entstehen nicht nur Verbindlichkeiten zu getroffenen Entscheidungen und ein höheres Gefühl der Wertschätzung, sondern auch eine positive Aufbruchsstimmung in der gesamten Organisation, in der die Mitarbeiter nicht mehr nur etwas umsetzen „müssen“, sondern etwas bewegen „wollen“.
Dabei müssen gar nicht zwangsweise alle Mitarbeiter einer Organisation intensiv eingebunden werden, da die involvierten Mitarbeiter über alle Führungsebenen hinweg als Multiplikatoren in die Organisation hineinwirken können. Der Führungsmannschaft kommt ebenfalls eine besondere Bedeutung zu. Ein geschlossenes, positives und konstruktives Auftreten gegenüber den Mitarbeitern ist unabdingbar, um Orientierung hin zu einer positiven Zukunftsvision und neuen Strukturen zu geben. Insgesamt kann durch die Erarbeitung einer gemeinschaftlich getragenen Wachstumsstrategie der Blick der Bank wieder nach vorne gerichtet werden.
Anwendung interaktiver Formate zur Mitarbeiteraktivierung
Werden Mitarbeitereinbindung und Fokussierung auf die Kundenperspektive als Bedingungen vorausgesetzt, eignen sich insbesondere agile Formate der Zusammenarbeit. In iterativen Kurzarbeitslots werden dazu Fragestellungen direkt aus Kundensicht in kleinen, interdisziplinären Teams bearbeitet. In erster Instanz soll dabei bewusst kein umfassendes Detailkonzept entworfen, sondern der Perspektivwechsel hin zum Kunden vollzogen werden, um Verständnis zu schaffen und Wachstumsimpulse zu erarbeiten. Die Durchführung von Tiefeninterviews mit ausgewählten „echten“ Kunden und Mitarbeitern aus verschiedenen Hierarchiestufen und Bereichen kann in diesem Zusammenhang zum Beispiel die Grundlage für eine Workshopreihe bilden. Im Ergebnis werden somit direkt aus erster Hand Transparenz über den Status quo der Bank gewonnen und Anhaltspunkte für die zukünftige strategische Ausrichtung identifiziert.
Interaktiv-agile Umsetzung der Wachstumsstrategie
Auch wenn sich die gemeinsame Konzeption der Wachstumsagenda zunächst positiv auf die Mitarbeitermotivation und das Energielevel in der Bank auswirkt, muss in der Umsetzungsphase darauf geachtet werden, das aufgebaute Momentum über einen andauernden Zeitraum aufrechtzuerhalten und im Idealfall weiter auszubauen. Aus diesem Grund ist eine Weiterführung des interaktiv-agilen Vorgehens auch während der Umsetzungskonzeption zu empfehlen. Konkret bedeutet dies, dass die zuvor iterativ erarbeiteten Handlungsfelder nicht wie weithin üblich zunächst umfassend in einer großen Wachstumsagenda gebündelt, zentral ausgestaltet und anschließend über die gesamte Organisation ausgerollt werden. Stattdessen sollten einzelne, konkrete Maßnahmen in sehr kurzen Zeitspannen in Form von „Schnellbooten“ in die Umsetzung gebracht werden. Erforderlich hierfür ist die initiale Eingrenzung auf einen eindeutig definierten Anwendungsbereich und die Bereitschaft, auch mit einer „80-Prozent-Lösung“ zu starten und diese sukzessive zu verbessern und zu erweitern. Insgesamt bietet die Nutzung einer interaktiv-agilen Methodik vier wesentliche Vorteile:
- Schnell kleine Erfolge feiern
Kleine „Schnellboote“ führen nach kurzer Zeit zwangsläufig zu ersten sichtbaren Ergebnissen. Erkennen die Mitarbeiter, dass die Maßnahmen der gemeinsam erarbeiteten Wachstumsagenda zu greifen beginnen, wird ein Anreiz geschaffen, sich weiter intensiv und aktiv an der Weiterentwicklung der Bank zu beteiligen. Das Erreichen kurzfristiger Ziele sowie die Würdigung kleiner Verbesserungen haben daher eine nicht zu unterschätzende positive Wirkung auf die Motivation aller Beteiligten. Darüber hinaus erfolgt eine enge Identifikation mit den selbst vorangebrachten Maßnahmen, was letztendlich auch zu einer neuen Identifikation mit dem gesamten Institut beitragen kann. - Frühzeitig und bewusst Fehler zulassen („fail early, fail cheap“)
Selbst wenn sich die dynamisch entwickelten „Schnellboote“ nicht als erfolgreich erweisen, besteht aus Banksicht die Möglichkeit, in diesem relativ frühen Stadium der Umsetzung geeignete und kostengünstige Gegenmaßnahmen einzuleiten (vgl. Abbildung 2).
Selbst die Aufgabe ganzer Maßnahmenpakete als Reaktion auf ein erstes internes oder externes Feedback erscheint nach wenigen Wochen im Vergleich zu einem Scheitern nach Monaten der Planung als verkraftbar. Voraussetzung hierfür ist allerdings die Bereitschaft der Organisation, Fehler nicht als Scheitern der beteiligten Mitarbeiter, sondern als ein „natürliches“ Ergebnis der „Schnellboot-Methodik“ zu werten und bewusst zu akzeptieren. - Vorhandene Kapazitäten passgenau ausnutzen
Letztlich ermöglicht die Aufteilung einer großen Wachstumsagenda in kleine „mundgerechte Stücke“, dass die Menge an parallel bearbeiteten Maßnahmen an das aktuelle Energielevel sowie die verfügbaren Kapazitäten der Organisation angepasst werden kann – ein Punkt, der insbesondere vor dem Hintergrund der sich ebenfalls in oder vor der Umsetzung befindlichen Restrukturierungsmaßnahmen nicht zu unterschätzen ist. Werden Umfang und Menge der umzusetzenden Maßnahmen konsequent an den vorhandenen Kapazitäten der Bank ausgerichtet, werden eine Überlastung der Organisation sowie eine Überbeanspruchung der Mitarbeiter verhindert. - Das Management einbinden
Einige Vorstände oder Führungskräfte verstehen unter der Idee einer agilen und interdisziplinären Arbeitsweise, dass „Arbeit“ und operative Verantwortung für Maßnahmen und Ergebnisse in großen Teilen bequem an Mitarbeiter der unteren Ebenen delegiert werden können. Zwar ist die Übertragung von Aufgaben und Verantwortungsübernahme durch die Teammitglieder für das Gelingen des beschriebenen Vorgehens maßgeblich, eine Mitarbeit der Führungskräfte hat hier jedoch eine starke Signalwirkung. Statt außen vor zu bleiben und sich „zurückzulehnen“, sollte sich die Führungsmannschaft „auf Augenhöhe“ an Maßnahmen beteiligen und Einsatz zeigen. Es gilt, mit gutem Beispiel voranzugehen – sei es in Bezug auf die Anerkennung und Umsetzung agiler Arbeitsmethoden oder in Bezug auf die praktische Mitarbeit an Projekten und Maßnahmen.
Im Idealfall gelingt es der Bank, durch die beschriebene interaktiv-agile Umsetzung einer definierten Wachstumsagenda einen in sich geschlossenen, selbstverstärkenden Prozess zu etablieren, der letztendlich zu höherem Engagement, steigender Produktivität und einer wachsenden Anzahl von realisierten Maßnahmen führt. Die erhoffte Rentabilitätssteigerung ist geglückt, der Turnaround gemeinschaftlich geschafft – eine Erfolgsgeschichte.