Warum wurde collectAI gegründet?
Hallo Mirko, beginnen wir doch mit der zentralen Frage schlechthin: Warum wurde collectAI gegründet? Und welche(s) Problem(e) wollt Ihr als Firma lösen?
Gerät ein Kunde heute in Zahlungsschwierigkeiten bzw. ‑verzug, lässt sich der daraus folgende Forderungsmanagementprozess eines Unternehmens in zwei wesentliche Handlungsschritte unterteilen:
- Kaufmännischer Mahnprozess sowie
- Inkasso-Mahnprozess
Sobald der Kunde also in Zahlungsschwierigkeiten bzw. ‑verzug gerät, startet ein Unternehmen zunächst das übliche Mahnwesen. Resultierend daraus werden die heute bekannten Mahnbriefe via E-Mail oder Post an den entsprechenden Kunden versendet. Der Inhalt beschränkt sich dann oft auf standardisierte Textbausteine. Sollte der Kunde auf eine gewisse Anzahl solcher Mahnbriefe immer noch nicht reagieren, startet der Inkassoprozess. Dazu werden Inkassounternehmen beauftragt, welche die ausstehenden Schulden möglichst schnell zu geringen Kosten beitreiben sollen. Der Kunde spielt dabei natürlich auch eine Rolle, aber wir glauben viel zu wenig. Der Schuldner wird als möglicher Bestandskunde leider oft gar nicht mehr in Betracht gezogen.
Genau hier setzen wir als collectAI an. Die Gewinnung neuer Kunden ist in der Regel sehr teuer. Gerade deshalb sollte man bestehende Kunden auch bei Zahlungsschwierigkeiten gut behandeln. Dabei wollen wir auch ein „Inkassovermeider“ sein, sprich die Forderungen bereits im kaufmännischen Mahnwesen bestmöglich einholen. Denn schaut man sich den heutigen Markt im Bereich Forderungsmanagement an, gibt es für den ersten Handlungsschritt „kaufmännisches Mahnwesen“ eher wenige Dienstleister. Im Inkassobereich hingegen gibt es weit mehr als 500 Unternehmen. Daher haben wir collectAI gegründet und sind davon überzeugt, dass wir mit dem Ansatz als „Inkassovermeider“ eine gute Marktpositionierung haben. Aber es geht nicht nur darum. Wir bieten daneben weitere Innovationen. Zum Beispiel bieten wir eine simple Inkasso-API die schnell eingebunden werden kann, können eine Vielzahl von Kommunikationskanälen wie z.B. Messenger anbieten, bieten Webseiten als Landing-Pages, unkomplizierte Zahlmethoden und können per Machine Learning die Kommunikationsstrategie optimieren. Kurzum: Wir verstehen uns als kundenzentrierter, digitaler Forderungsmanagementdienstleister.
Wie genau funktioniert collectAI?
Jetzt hast Du bereits ein paar Begriffe wie beispielsweise Messenger, Landingpages und Machine Learning genannt, aber wie genau funktioniert collectAI?
Zu allererst einmal binden wir im Gegensatz zum bisherigen Mahnwesen in unserer Lösung verschiedenste moderne Kommunikationskanäle zum Endkunden mit ein. Das heißt: Wir kontaktieren Kunden bei Zahlungsverzug nicht nur via Brief oder E-Mail, sondern auch mittels personalisierter Sprachanrufe, SMS und zukünftig auch über Messenger wie WhatsApp oder Facebook-Messenger. Diese Kanäle erzielen meistens eine höhere Erreichbarkeit und verbessern die Interaktionsmöglichkeiten enorm. Trotzdem ist mit diesen Kanälen sehr sensibel umzugehen. Dabei handeln wir natürlich stets im Rahmen des Bundesdatenschutzgesetzes.
Und wie genau sieht der weitere Interaktionsprozess aus, also nachdem der Kunde kontaktiert wurde?
Wir erstellen für jeden Kunden bei Zahlungsverzug (folgend Schuldner) eine sogenannte Landingpage (Website), auf die er beispielsweise via Smartphone oder PC zugreifen kann. Solche Landingpages werden von uns automatisch erstellt, fassen sämtliche Informationen, die zum Fall des Zahlungsverzugs gehören, kurz und knapp zusammen und sind abhängig vom Bedarfsfall konzipiert. Weiterführend bieten diese Pages aber auch sämtliche Interaktionsmöglichkeiten – beispielsweise kann der Schuldner über eine solche Page
- den offenen Betrag direkt bezahlen (Onlinezahlung),
- die Rechnung/Mahnung reklamieren
- Um eine Ratenzahlung bitten oder
- direkt mit uns in Verbindung treten (Chat, Telefon, WhatsApp usw.)
Das heißt, Ihr fokussiert Euch in erster Linie auf Kundennutzen und ‑zufriedenheit?
Genau, insgesamt treten wir in der Kommunikation immer kundenorientiert auf und möchten dem Schuldner bei diesem negativ belasteten Prozess auch ein positives Erlebnis geben. Aber wir sind nicht blauäugig. Im Forderungsmanagement gibt es drei Hauptziele: Kundenzufriedenheit, Kosten der Beitreibung und die Beitreibungsquote. Wir können hier die Schwerpunkte entsprechend den Wünschen unserer Kunden verschieben. Aber wir empfehlen immer, auf die Kundenzufriedenheit zu achten.
Was hat es mit dem Machine-Learning auf sich?
Das Herzstück unserer Lösung ist unser „Machine Learning“-basierter Ansatz. Damit bezeichnen wir unseren eigens entwickelten und selbstlernenden Algorithmus, der eine individuell zum Schuldner passende Vorgehensweise der Kommunikation erstellt. So können wir den Schuldner individuell ansprechen.
Mirko, kannst Du uns bitte ein konkretes Beispiel dafür nennen?
Klar! Beispielsweise ermittelt unser Algorithmus, zu welcher Uhrzeit ein spezifischer Schuldner, der über bestimmte Eigenschaften wie Alter, Wohnort etc. verfügt, am empfänglichsten für eine Kontaktaufnahme ist. Dabei berücksichtigt unser Algorithmus eine Vielzahl von Daten aus der Vergangenheit, wie beispielsweise: „Zu welcher Uhrzeit waren die letzten erfolgreichen Kontaktaufnahmen solcher Schuldner?“ Anhand dieser Ergebnisse entscheidet das System entsprechend, wann der Schuldner über die unterschiedlichen Kanäle kontaktiert werden soll.
Unser „Machine Learning“-basierter Ansatz ist dabei sehr prozessorientiert aufgebaut, da je nach Fortschrittsgrad im Mahnwesen bzw. später im Inkasso unterschiedliche Herangehensweisen, beispielsweise andere Zeitpunkte, Kanäle oder Tonalität, notwendig werden. Darüber hinaus lernt unser Algorithmus dauerhaft selbstständig mit jedem neuen Fall hinzu.
Inwiefern sind die Geschäftskunden im Prozess beteiligt und informiert?
Danke Mirko, aber sag mal, inwiefern sind Eure Geschäftskunden, die Eure Dienstleistung in Anspruch nehmen, eigentlich in diesem ganzen Prozess beteiligt und informiert?
Im Grundsatz starten wir mit einem klassischen Mahnwesen bzw. Inkassoprozess. Diesen flexibilisieren wir dann über den Zeitablauf immer mehr. Dabei beraten wir als collectAI unsere Geschäftskunden, indem wir mit ihnen Schritt für Schritt ihre Vorstellungen bzgl. der Flexibilisierung diskutieren und priorisieren. Zusätzlich hängen die Möglichkeiten des Machine Learning auch von der Datengrundlage des Geschäftskunden ab, z.B. ob überhaupt Handynummern für eine Kontaktaufnahme vorhanden sind. Je nach Datengrundlage und Vorstellungen realisieren wir dann passende Lösungen. Unsere bereits angesprochenen Landingpages zur Schuldnerinteraktion werden dabei speziell auf unseren Geschäftskunden angepasst. Hier können wir beispielsweise Logo, Layout und Bezahloptionen der Kunden integrieren.
Sobald wir diese Lösung dann unseren Geschäftskunden zur Verfügung stellen, können diese natürlich auch jederzeit den Status der einzelnen Fallbearbeitungen einsehen.
Mirko, collectAI ist ja aus der Start-up-Schmiede „Liquid Labs“ der Otto Group entstanden. Glaubt Ihr, dass Ihr dadurch insgesamt Vorteile habt?
Definitiv! Die Otto Group hatte bereits von Anfang an großes Interesse an der Lösung von collectAI. Weiterführend ist die Otto Group für uns natürlich ein starker Partner, der uns eine gute Ausgangssituation verschafft hat – beispielsweise konnten wir so schnell und einfach mit unseren ersten Kunden RatePAY aus der Otto Group im Mahnwesen starten und somit erste Erfahrungen sammeln.
Zielgruppe von collectAI
Okay, jetzt haben wir bereits etwas über Geschäftskunden gesprochen. Wie bindet man euch an? Wer ist eure Zielgruppe?
Aus technischer Sicht bieten wir für eine Kooperation natürlich die unterschiedlichsten Schnittstellen bzw. APIs an. Wir sehen uns da als eine Art „Steckerleiste“, die man über Schnittstellen anbinden kann und je nach Bedarf um weitere Services wie beispielsweise Kontaktmöglichkeiten über WhatsApp oder Payment erweitern kann. Dabei arbeiten wir selbst natürlich auch mit verschiedenen Dienstleistern zusammen, die dann je nach Bedarf in unsere „Steckerleiste“ eingebunden werden können.
Zielgruppen sind Unternehmen bei denen Forderungsmanagement eine Rolle spielt: beispielsweise in der Finanzdienstleistungsbranche, im e-Commerce oder der Energiebranche. Dabei gibt es selbstverständlich je nach Branche einige Spezifika im Mahn- und Inkassowesen, die ein komplett standardisiertes homogenes Vorgehen nicht erlauben, die wir aber immer individuell bedienen können.
Super, aber sag mal, Ihr habt mit Pair Finance einen klaren Wettbewerber. Was unterscheidet Euch?
Pair Finance ist sicherlich ein Wettbewerber, keine Frage. Allerdings unterscheiden wir uns meiner Meinung nach in der Herangehensweise: Pair Finance arbeitet eher mit einem verhaltensorientierten Ansatz (ex-ante Ansatz). Wir hingegen lernen mit dem Verhalten der Schuldner und entwickeln dadurch unseren „Machine Learning“-Ansatz weiter (ex-post Ansatz). Wir sind natürlich davon überzeugt, dass wir mit unserer Herangehensweise unseren Geschäftskunden insgesamt ein sehr gutes Gesamtpaket mit einem guten Mehrwert bieten können.
Mirko vielen Dank für diesen Austausch und die vielen Informationen. Abschließend möchten wir Dir noch eine Frage stelle: Wo seht Ihr Euch als collectAI in fünf Jahren?
Ganz klar: Wir wollen der modernste und technologisch führende Anbieter von Forderungsmanagement-Dienstleistungen in Europa sein! Zielgruppe sind vor allem StartUps und Digitalunternehmen und solche, die das Thema Digitalisierung als Fokusthema priorisiert haben.
Vielen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen hast und uns diese interessanten Einblicke gewährt hast. Viel Erfolg für die Zukunft!
2 Antworten auf “Forderungsmanagement neu gedacht”
Helga
Danke für ein interessantes Interview! Begriffen wurde mir, dass man seine Recht vor dem Ablauf der Frist sichern muss: Mahnbescheid beantragen, Verhandlungen richtig führen, Beschwerde beim Ombudsmann einlegen http://www.are-inkasso.de/dienste/ Den Ratschlägen folgend lässt sich das Ziel erreichen. Wie gesagt, ein gutes Forderungsmanagement reduziert doch Working Capital! Danke für diesen Erfahrungsaustausch!
Markus Richter
Danke für das interessante Interview. Ich finde es toll, dass es Unternehmen im Forderungsmanagement gibt, die kundenzentiert agiert. Man möchte natürlich Kunden behalten und das kann schwierig sein, wenn es zum Inkasso kommt. Deswegen bin ich einverstanden, dass es eine bessere Strategie ist, als „Inkassovermeider “ vorzugehen.