Der Bankenmarkt von morgen wird nicht mehr so enorm viele Vorstände benötigen?!
Nun, immerhin sind auch Vorstände nicht vor der Demografie gefeit, viele Vorstände werden in den nächsten Jahren den zumeist wohlverdienten Ruhestand antreten. Und: Die Konsolidierung der letzten Jahre hat dazu geführt, dass zahlreiche ehemalige Bankvorstände dem Arbeitsmarkt erneut zur Verfügung stehen. Bei der Neubesetzung von Vorstandspositionen – so auch die Erfahrungen des zeb – hat man also durchaus die Wahl. Unsere Eingangsfragen gewinnen an Berechtigung.
Richtete man sie an Mitarbeiter und Führungskräfte, wären die meisten Antworten vermutlich vorhersehbar: Wertschätzung wird oft gefordert, „gleiche Augenhöhe“, Konsequenz und „Konsequenzmanagement“, Mitarbeiterorientierung, „Menschlichkeit“, Vertrauen und Risikobereitschaft gehören zum mehr oder weniger verlässlichen Kanon möglicher Antworten. Fragt man Eigentümer, Anteilseigner, Investoren – neudeutsch „Shareholder –, wird man stärker betriebswirtschaftlich gelagerte Antworten erhalten. Von Ertrag, Wachstum, Marktanteilen usw. ist dann die Rede. All das hat seine Richtigkeit und seine Wichtigkeit. Wie sollte es anders sein? Aber wäre damit ein guter Vorstand beschrieben?
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Das Fünf-Faktoren-Modell
Da ist dann vielleicht doch eine Tiefenbohrung erforderlich. Die zahlreichen Erkenntnisse der Personaldiagnostik liefern erste Anhaltspunkte. Auf der Grundlage der Beschreibung von stabilen Persönlichkeitsmerkmalen oder -eigenschaften sollte es möglich sein, zwischen guten und weniger guten Vorständen, zwischen geeigneten und weniger geeigneten Vorstandsanwärtern zu unterscheiden. Schon das etwas simple, aber extrem gut beforschte Fünf-Faktoren-Modell („Big Five“) gestattet eine erste Annäherung an eine mögliche Antwort. Dieses Modell enthält die folgenden fünf Persönlichkeitsmerkmale:
- Neurotizismus – oft im positiven Gegenbegriff der emotionalen Stabilität gefasst
- Extraversion
- Offenheit (für Neues)
- Verträglichkeit
- Gewissenhaftigkeit
Zahlreiche Validierungsstudien und Metaanalysen der letzten Jahre und Jahrzehnte, angefangen bei den Arbeiten von Schmidt und Hunter aus den 1980er-Jahren, konnten deutliche Korrelationen zwischen diesen Persönlichkeitsmerkmalen und nachhaltigem Managementerfolg nachweisen. Anders als die Boulevardpresse und populärwissenschaftliche Bestseller nahelegen mögen, hat Neurotizismus (Reizbarkeit, Aggressivität, Stimmungsschwankungen, Unberechenbarkeit) allerdings nichts mit nachhaltigem Managementerfolg zu tun. Dass die kollektive Wahrnehmung hier eine andere sein mag, wird auch damit zu tun haben, dass die Sichtbarkeit eines „neurotischen“ Vorstands deutlich größer ist als die aller anderen Neurotiker. Tatsächlich konnte die personaldiagnostische Forschung valide positive Korrelationen zwischen emotionaler Stabilität und Managementerfolg, nicht jedoch zwischen Neurotizismus und Managementerfolg nachweisen.
Extraversion und Introversion sind interessanterweise indifferent: Ein guter Vorstand muss nicht zwingend extrovertiert sein, stark im Kontakt und in der Interaktion oder zugewandt Beziehungen suchend. Auch der introvertierte, weniger nach außen gewandte, in der Kommunikation weniger versierte Vorstand kann ein guter Vorstand sein. Insbesondere dann, wenn er die eigenen Stärken und Fähigkeiten mit einer ausgeprägten Offenheit für Neues, für neue Entwicklungen verbindet. Das kann ein wichtiger Erfolgsfaktor für organisationale Veränderungsprozesse sein. Doch wie nahezu überall in der Personaldiagnostik gibt es Deckeneffekte: Es gibt ein Maß an Offenheit, das an Aktionismus und/oder Konfusion grenzt. Gleichwohl: Eine hohe, gut in der eigenen Persönlichkeit fundierte Offenheit für Neues korreliert positiv mit Erfolg im Management- und Führungshandeln.
Prinzipiell gilt das auch für die Verträglichkeit, für den konsensorientierten Umgang mit Mitarbeitern und Führungskräften. Hier sind aber Abstriche zu machen. Exponierte Führungskräfte können nicht stets dem Drang nachgeben, es allen recht machen zu wollen. In Vorstandsgremien entstehen bisweilen unpopuläre Entscheidungen – Stellenabbau, Filialschließungen, Standortverlagerungen, Auslagerungen von Dienstleistungen usw. Derlei Entscheidungen gefallen nicht jedem; sie sind im strengen Sinne oftmals eben nicht verträglich. In solchen Situationen ist es wichtiger, dass ein Vorstand unpopuläre Entscheidungen souverän und mit dem erforderlichen Maß an emotionaler Stabilität vertritt, als dass er den allgemeinen Konsens sucht.
Ganz ähnlich verhält es sich mit der Gewissenhaftigkeit. Von allen Kriterien des Fünf-Faktoren-Modells hat dieses Persönlichkeitsmerkmal die höchste prognostische Validität für den allgemeinen Berufserfolg. Zahlreiche Studien belegen diesen Effekt. Aber auch hier muss man gleichsam auf das „Kleingedruckte“ achten. Gewissenhaftigkeit steht in einer positiven Korrelation mit dem allgemeinen Berufserfolg – nicht jedoch mit dem sehr spezifischen Erfolg von Topmanagern, Geschäftsführern und Vorständen. Hier ist eine hohe Ausprägung der Gewissenhaftigkeit nicht zu erwarten. Sie wäre tendenziell auch eher hinderlich, denn Vorstände müssen eine hohe Handlungsorientierung aufweisen, pragmatisch agieren und immer auch in Unsicherheit entscheiden. Die penible Durchdringung der letzten Feinheiten führt da nicht weiter. Freilich kann und darf das nicht heißen, dass Vorstände ohne fundierte Kenntnis der relevanten Sachverhalte einfach aufs Geratewohl hinaus handeln und entscheiden sollten. Der Hang zu Pedanterie allerdings sollte nicht zur Persönlichkeitsausstattung von Vorständen gehören.
Das „Great Eight“-Konzept
Hilfreich für die Beschreibung und Bewertung von Führungs- und Managementkompetenzen ist neben dem Fünf-Faktoren-Modell das ebenfalls forschungsbasierte „Great Eight“-Konzept. Auf empirischer Grundlage sind hier die erfolgskritischen Managementtätigkeiten und Handlungen ausdifferenziert worden.
Das „Great Eight“-Konzept eignet sich insbesondere für die Ausgestaltung managementspezifischer Kompetenzmodelle oder Anforderungsprofile. Mit seiner Hilfe kann Führungs- und Managementhandeln beschrieben und bewertet werden. Es ist aber kein im engeren Sinne personaldiagnostisches Instrumentarium. Insofern lassen sich die eingangs gestellten Fragen damit auch nur zum Teil beantworten. Weitaus fundamentaler für den Managementerfolg – auch hierzu liegen aussagekräftige Validierungsstudien und Metaanalysen vor – ist die intrinsische, hoch ausgeprägte Bereitschaft, Führungsverantwortung zu übernehmen, also die Führungsmotivation. Auf das Wollen kommt es an.
Im motivationstheoretischen Fundus finden sich viele Derivate berufsbezogener Motivation – die Leistungsmotivation etwa, die Bereitschaft, überdurchschnittlich viel zu leisten, und das vitale Interesse daran, entsprechende Erfolge persönlich zugeschrieben zu bekommen. Auch die oftmals etwas kritisch betrachtete Statusmotivation gehört in diesen Themenkreis. Die beschreibt das Interesse an öffentlicher Wahrnehmung, an Status und durchaus auch an materiellem Status und Statussymbolen. Man mag das anrüchig finden, bei exponierten Führungskräften ist eine überdurchschnittliche Statusmotivation aber nicht überraschend und in der Regel auch nicht problematisch. Maßgeblich aber ist die originäre Führungsmotivation, der Wille und die Bereitschaft, Führungsverantwortung dauerhaft zu übernehmen, sozial als Führungsperson anerkannt zu werden, Einfluss auf Menschen auszuüben und dadurch gesetzte Ziele zu erreichen. Die Führungsmotivation bleibt allerdings ichbezogen, wenn sie nicht zugleich in anderen, z. B. in einigen der oben genannten Persönlichkeitseigenschaften fundiert ist.
Ausgeglichen wird die Führungsmotivation auch durch das Persönlichkeitsmerkmal der Integrität, das in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat – und dazu hat nicht nur das persönliche Fehlverhalten einzelner Bankmanager im Zuge der Finanzmarktkrise beigetragen. Die persönliche Integrität steht Derailment-Risiken(„Derailment“ = Entgleisung) gegenüber. Sie beinhaltet nicht nur Persönlichkeitsmerkmale wie Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit, langfristige Orientierung usw., sondern hat sich darüber hinaus im Zuge mehrerer Validierungsstudien als ein Kriterium von hoher prognostischer Bedeutung für den allgemeinen Berufserfolg herauskristallisiert. Die Erklärung dafür ist so simpel wie logisch: Wer langfristige Wirkungen dem kurzfristigen Erfolg vorzieht, wer mehr auf Nachhaltigkeit als auf Effekt setzt, der steht zugleich für Regelbefolgung, prozessuale und organisationale Kohärenz, für Konstanz und Verlässlichkeit.
Man könnte jetzt noch einige weitere Charakterzüge oder Verhaltenspräferenzen auszeichnen, auf der Basis des Gesagten lässt sich aber ein Tableau der wichtigsten Merkmale von guten Vorständen entwerfen.
Dieses Tableau ist an organisations- und funktionsspezifische Gegebenheiten anzupassen; auch die Skalierung kann Modifikationen erfahren, und die Sollwerte sind zu definieren. Gleichwohl wäre hiermit eine erste solide Grundlage geschaffen, um die Fragen im Titel zu beantworten. Woran erkennt man, dass ein Vorstand oder Vorstandsanwärter den Anforderungen entspricht. Wie kann man so etwas „messen“ oder zumindest erheben?
zeb hat in zahlreichen Prozessen zur Auswahl von Vorstandsvorsitzenden und Vorstandsmitgliedern gute Erfahrungen mit kompakten, aber evidenzbasierten und insofern hochvaliden Formaten gemacht. Dazu gehören konsequent strukturierte Interviews, die neben biografischen Daten und Verhaltensweisen in konkreten Situationen auch konstante Persönlichkeitsmerkmale und Eigenschaften erfassen. Diese Interviews dauern maximal zwei Stunden; ihre Ergebnisse werden standardisiert ausgewertet und dokumentiert. Unterlegen sollte man diesen Prozess und dessen Ergebnisse mit der Durchführung von anforderungsspezifischen Persönlichkeitsinventaren (der Ausdruck „Persönlichkeitstest“ ist irreführend, da keine „richtigen“ oder „falschen“ Angaben geprüft werden). Für die hier anvisierte Personengruppe haben sich u. a. die folgenden empirisch fundierten Inventare bewährt:
- Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP)
- Hamburger Führungsmotivationsinventar (FÜMO)
- Inventar berufsbezogener Einstellungen und Selbsteinschätzungen (IBES)
Wann ist ein Vorstand ein guter Vorstand? Und wie findet man das heraus? Auf der Grundlage personaldiagnostischer Theorie und Praxis kann man diese Fragen ganz gut beantworten. Freilich, die gegebenen Antworten sind keine universell richtigen oder überall angemessenen Zauberformeln, stets muss der funktionsspezifische und organisationale Kontext reflektiert werden. Gleichwohl: Auf der Grundlage der heutigen personaldiagnostischen Erkenntnisse und Best Practices bekommt man recht robuste Anhaltspunkte dafür, woran und auf welche Art und Weise man gute Vorstände oder Vorstandsanwärter erkennen kann.