Holokratie: ein agiles Rahmenwerk für moderne Organisationen
Die Holokratie ist ein agiles Organisationsframework, das darauf abzielt, die traditionelle hierarchische Struktur durch ein Netzwerk autonomer Teams zu ersetzen. Der Begriff „Holokratie“ leitet sich von „Holons“ ab, was autonome Einheiten innerhalb eines größeren Ganzen bedeutet. Dieses Konzept wurde erstmals von Brian Robertson und Tom Thomison entwickelt und 2007 im Rahmen ihrer Firma „HolacracyOne“ vorgestellt.
Im Gegensatz zu traditionellen hierarchischen Modellen fördert die Holokratie die Dezentralisierung von Entscheidungsbefugnissen und ermöglicht es den Teams, flexibler auf Veränderungen zu reagieren. Sie basiert auf Prinzipien wie Selbstorganisation, Transparenz und kontinuierlicher Verbesserung.
Wie funktioniert die Holokratie?
Holokratie ist eine Organisationsstruktur, die sich zum Ziel macht, traditionelle Hierarchien zu überwinden. Wesentliche Prinzipien und Unterscheidungsmerkmale der Holokratie gegenüber tradierten Organisationsstrukturen sind folgende:
A) Selbstorganisation und autonome Kreise
- Holokratie: In einer holokratischen Struktur werden Organisationen in autonome Kreise oder „Zellen“ unterteilt. Jeder Kreis hat klare Verantwortlichkeiten und Entscheidungsbefugnisse sowie einen „Purpose“, der als Wegweiser dient und zum Ausdruck bringt, was das übergeordnete Ziel dieses Kreises ist. Die Kreise können eigenständig arbeiten und organisieren sich selbst, um ihre Ziele zu erreichen.
- Hierarchie: Hierarchische Strukturen sind hingegen in der Regel durch eine klare Befehlskette gekennzeichnet. Entscheidungen werden von oben nach unten delegiert, und die Verantwortlichkeiten sind hierarchisch auf verschiedene Ebenen verteilt.
B) Rollen statt Positionen
- Holokratie: Es gibt es keine Positionen im herkömmlichen Sinne, sondern Rollen, die aufgrund der erforderlichen Fähigkeiten und Erfahrungen besetzt werden. Eine Person kann dabei auch Träger:in mehrerer Rollen sein. Eine Rolle beschreibt eine bestimmte Verantwortung oder Funktion innerhalb der Organisation bzw. innerhalb des Kreises. Im Rahmen dieser Verantwortung sind die Zuständigkeiten klar definiert und unabhängig von der Person, die sie gerade ausübt. Rollen werden regelmäßig auf ihre Wertschöpfung hin überprüft und bei Bedarf angepasst.
- Hierarchie: Einzelne Positionen, beispielsweise die Position der Vertriebsleitung, sind in Hierarchien wiederum eng mit der ausführenden Person verknüpft und damit oft mit Identifikation, Anerkennung oder Prestige verbunden. Im Zeitverlauf sind sie eher stabil.
C) Dynamische Regelwerke statt fester Hierarchien
- Holokratie: Die Holokratie basiert auf dynamischen Regelwerken, den sogenannten Holokratiekreisen, die sich ständig an die sich ändernden Bedürfnisse der Organisation anpassen können. Diese Regelwerke legen fest, wie Entscheidungen getroffen und Rollen verteilt werden, können jedoch flexibel adaptiert werden. Entscheidungen werden danach getroffen, was für den Moment mit den vorliegenden Informationen richtig erscheint, und können nachträglich auch wieder neu ausgehandelt werden, sobald Einwände oder neue Informationen vorliegen.
- Hierarchie: Hierarchische Strukturen sind oft durch starre Rangordnungen gekennzeichnet, bei denen die Aufgaben und Verantwortlichkeiten in Positionen festgelegt sind. Änderungen erfordern normalerweise eine Überarbeitung der Organigramme und der gesamten Hierarchie. Einmal getroffene Entscheidungen werden nicht automatisch neu zur Diskussion gestellt, wenn sich Rahmenbedingungen ändern.
D) Transparente Entscheidungsfindung
- Holokratie: Entscheidungen in der Holokratie werden transparent getroffen und dokumentiert. Es gibt klare Prozesse und Mechanismen, um sicherzustellen, dass die relevanten Informationen sowie die Verantwortlichen bekannt sind. So können Entscheidungen leicht nachvollzogen werden. Es werden zwei Arten von Meetings unterschieden: Treffen für operative Entscheidungen und Informationen werden als Tacticals bezeichnet, Termine für die Weiterentwicklung der Organisation als Steuerungsmeetings.
- Hierarchie: Hierarchische Entscheidungen können opaker sein, insbesondere wenn sie von Führungskräften an der Spitze getroffen werden. Die Entscheidungsprozesse sind möglicherweise nicht so offen und transparent wie in einer holokratischen Struktur.
Folglich zielt Holokratie darauf ab, flexibler, agiler und anpassungsfähiger zu sein als traditionelle hierarchische Organisationsmodelle. Frei von Hierarchien ist Holokratie dabei aber nicht: Kreise und ihre Verantwortungsbereiche stehen durchaus hierarchisch zueinander, das heißt, übergeordnete Kreise übernehmen übergeordnete Ziele und Verantwortungsbereiche und delegieren andere in darunterliegende Kreise.
Kreisleiter:innen steuern jeweils die Informationsflüsse zwischen ihnen. Als Führungskräfte geben sie Ziele vor und stellen notwendige Informationen zur Verfügung, auf deren Basis die Rollen innerhalb des Kreises eigenständig arbeiten. An die Stelle direkter Führung treten klare Zielvorgaben sowie Transparenz über Zuständigkeiten und Arbeitsstände.
Vorteile der Holokratie
Die Holokratie als agiles Organisationsframework präsentiert eine Reihe von Vorteilen, die dazu beitragen, moderne Unternehmen zukunftssicher zu gestalten.
- Organisationen sind durch die flexible Schaffung und Abberufung von Rollen in der Lage, ihre Struktur dynamisch an die jeweiligen Anforderungen anzupassen.
- Die Verteilung von Entscheidungsbefugnissen in Form von Rollen fördert die Selbstorganisation von Teams, was zu einer höheren Eigenverantwortung sowie einer verstärkten Entfaltung von initiativem Handeln führt.
- Die klaren Regeln und Prozesse schaffen Transparenz, wodurch Mitarbeitende besser verstehen können, wie Entscheidungen getroffen werden und wie ihre Rollen zu den Gesamtzielen der Organisation beitragen.
- Die dezentrale Struktur der Holokratie unterstützt die Förderung von Innovationen, indem Mitarbeitende ihre Fachkenntnisse und kreativen Ideen effektiver sowie frei von hierarchischen Strukturen einbringen können.
- Zudem sind holokratische Organisationen besser positioniert, um sich an sich ändernde Marktanforderungen anzupassen, was zu Wettbewerbsvorteilen führt.
Grenzen der Holokratie
Trotz dieser Vorteile sind jedoch auch Herausforderungen und Grenzen der Holokratie zu berücksichtigen.
Die Einführung dieses Modells erfordert oft einen tiefgreifenden Kulturwandel, der auf Widerstand stoßen kann. Die Struktur der Holokratie mag für einige Mitarbeitende zu komplex sein, da sie auf klar definierte Hierarchien und Positionen verzichtet. Der Widerstand gegen Veränderungen seitens bestehender Führungskräfte, die möglicherweise Kontroll- und Autoritätsverlust fürchten, kann die effektive Umsetzung der Holokratie behindern. Klare Kommunikation ist in diesem Kontext von entscheidender Bedeutung, da Missverständnisse entstehen können, wenn nicht alle Teammitglieder vollständig über die Prinzipien und Prozesse der Holokratie informiert sind.
Schließlich ist die Holokratie möglicherweise nicht für jede Art von Organisation oder Branche geeignet, da einige Unternehmen weiterhin von traditionellen Hierarchien profitieren könnten, abhängig von ihren spezifischen Anforderungen und Arbeitsweisen.
Einführung der Holokratie – auch im Finanzbereich erfolgreich
Die Einführung der Holokratie erfordert eine schrittweise Umstellung und die Beteiligung aller Mitarbeitenden. Sowohl Schulungen und Workshops als auch der kontinuierliche Austausch über Prozessschritte und Ziele können dazu beitragen, Verständnis für die neue Struktur zu schaffen sowie Mitarbeitende auf die Veränderungen vorzubereiten.
In der oft traditionellen und reglementierten Finanzindustrie erweist sich die Holokratie als ein innovatives Modell, das den Anforderungen an Ergebnisorientierung und Anpassungsfähigkeit gerecht wird. Unternehmen in dieser Branche, wie etwa das Beispiel Hypoport zeigt, setzen vermehrt auf holokratische Strukturen, um effizienter auf sich verändernde Marktbedingungen reagieren zu können.