Die heutige Bankenwelt steht weiterhin unter enormem Handlungsdruck. Themen wie Digitalisierung, Agilität, Effizienz und Regulatorik sind in aller Munde. Daher ist es kaum verwunderlich, dass Banken jeglicher Größe und jeder Art von Geschäftsmodell als einen Baustein aktueller Initiativen intensiv ihre IT–Aufstellung überprüfen. Oftmals sollen so komplexe und überholte IT–Systeme abgelöst werden und standardisierte, zukunftsorientierte Lösungen am Markt eingekauft werden. Dies kann vom Austausch einzelner Systeme bis hin zu einem Wechsel des gesamten Kernbankensystems reichen.
In der Auswahlphase möglicher Provider und in der sich anschließenden Migration werden umzusetzende Themen jedoch nicht immer vollständig zu Ende gedacht. Fokussiert wird häufig auf eine kostengünstige und schnelle Umsetzung, die möglichst sämtlichen Anforderungen gerecht wird. Die Chance einer systematischen Prozessoptimierung gemäß „Process follows System“ und organisatorischen Neuaufstellung wird allerdings häufig nicht genutzt. So werden alte und ineffiziente Abläufe sowie prozessuale Spezifika blind und mit hohem IT–Umsetzungsaufwand in die neue Welt übernommen.
Praxisfälle zeigen jedoch, dass bei konsequenter Prozessanalyse und –optimierung bereits in der Migrationsphase bis zu 20 % der anfallenden Migrationskosten eingespart werden können und im Betrieb eine verbesserte Prozesseffizienz (Personalkosten) in gleicher Höhe erzielbar ist. Legt man beispielhaft Kernbankenmigrationskosten (Full IT Outsourcing) im dreistelligen Millionenbereich zugrunde, sind diese Summen nicht zu vernachlässigen. Darüber hinaus sind essenzielle qualitative Verbesserungen in der Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit zu erreichen.
Um diese ambitionierten Werte erreichen zu können, müssen Banken in der Praxis bereits in der Anbieterauswahl die prozessuale Passgenauigkeit möglicher Providerlösungen prüfen. Hierbei hat sich eine Analyse von acht bis zwölf „Leuchtturmprozessen“ als ausreichend herausgestellt. Konkret wird festgestellt, ob die bankfachlichen Anforderungen gemäß dem Ansatz „Process follows System“ grundsätzlich durch den Providerstandard abgebildet werden können. Berücksichtigt werden sollten bei der Auswahl der Prozesse dementsprechend sämtliche Plattformen (Vertrieb, Abwicklung, Unterstützung und Steuerung). Durch die Prüfung in der Auswahlphase werden spätere Show–Stopper in der Migration vermieden und unpassende Providerlösungen frühzeitig „ausgesiebt“.
Der Kern der Arbeit und der eigentliche „Change“–Prozess, das heißt ein Umdenken und eine Neuorganisation der Bank, erfolgen in der Migrationsphase gemeinsam mit dem ausgewählten Provider. Hierbei müssen oftmals eingefahrene Denkmuster aufgebrochen und Mut zu Veränderungen geschaffen werden. Im Gegensatz zur klassischen Prozessoptimierung, in der die bestehende Ist–(IT–)Welt als Ausgangssituation herangezogen wird, sind bei der Optimierung während einer IT–System– oder Kernbankenmigration verschiedene Punkte zu beachten.
BankingHub-Newsletter
Analysen, Artikel sowie Interviews rund um Trends und Innovationen im Banking alle 2-3 Wochen direkt in Ihr Postfach
„(erforderlich)“ zeigt erforderliche Felder an
Zum einen müssen zu Beginn Kernprozesse, welche priorisiert optimiert werden sollen, identifiziert werden, wobei eine Beschränkung auf die wesentlichen (je nach Bankgröße ca. 30–60) Prozesse sinnvoll ist. Dies verhindert, dass die an sich schon komplexe Migration nicht unnötig aufgebläht wird. Bei den übrigen, „einfachen“ Prozessen ist davon auszugehen, dass sich durch eine Überführung in die neue Welt – aufgrund der in der Providerauswahlphase durchgeführten Passgenauigkeitsanalyse – keine übergreifenden Effizienzverluste ergeben.
Zum anderen wird im Gegensatz zur klassischen Prozessoptimierung als Ausgangsbasis nicht der Ist–Prozess, sondern der Providerstandard herangezogen. Dieser Standard auf Basis des neuen IT–Systems stellt per se meist schon eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit dar. Somit sichert das Vorgehen eine möglichst weitreichende Standardisierung sowie das Ausmerzen überflüssiger Spezifika des Status quo. Die weiteren Prozessschritte der Optimierung folgen dann einem klassischen Ansatz – vom Soll–Design zukünftiger Prozesse bis hin zur Abnahme der final bewerteten Prozesse.
In der Praxis hat sich gezeigt, dass für eine ergebnisorientierte Potenzialerreichung entlang des aufgezeigten Vorgehens wenige, aber essenzielle Erfolgsfaktoren zu berücksichtigen sind. Dreh und Angelpunkt einer erfolgreichen Analyse und Optimierung ist ein stringentes und erprobtes Prozessanalysevorgehen mit klaren Verantwortlichkeiten und dem Willen zur Veränderung. Dadurch werden die richtigen Prioritäten gesetzt und Ergebnisse fristgerecht erarbeitet. Innerhalb dieses Vorgehens ist zum einen sicherzustellen, dass der bereits erläuterte Erfolgsfaktor der frühzeitigen Analyse der „Leuchtturmprozesse“ schon in der Providerauswahlphase unbedingt zur Anwendung kommt. Zum anderen ist in der nachgelagerten Migration der Providerstandard („Process follows System“) als Basis und Ziel für die Optimierung heranzuziehen.
Erfolgreich wird das Projekt jedoch nur, wenn während des gesamten Vorgehens auf tiefes Fach– und Prozess–Know–how zurückgegriffen werden kann. Denn nur so können die wettbewerbsdifferenzierenden und spezifischen Bankbedürfnisse berücksichtigt werden, ohne vom Marktstandard abzuweichen. Um die Umsetzbarkeit der erarbeiteten Soll–Prozesse sicherzustellen, sind bei deren Definition frühzeitig Fach und IT–Experten einzubinden. Essenziell ist eine Ausgewogenheit zwischen Bank und Providerseite.
Banken sollten also auch zukünftig mögliche Herausforderungen einer IT–System– oder Kernbankenmigration bewusst annehmen. Neben den offensichtlichen potenziellen Vorteilen eines Systemwechsels, wie Steigerung der Leistungsfähigkeit, Erhöhung der Agilität oder Senkung der Betriebskosten, muss der Fokus für eine vollständige Ausschöpfung aller Chancen auch auf der Analyse und Optimierung bankfachlicher Prozesse liegen. Nur so wird eine Bank nachhaltigen Wandel provozieren und obiges Zitat aus den Vorstandsetagen kann konkretisiert werden:
„Wir haben erfolgreich und zukunftsorientiert migriert!“