Die arbeitsrechtliche AGB-Kontrolle

Eine aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20. Juni 2017 (3 AZR 179/16) hat die arbeitsrechtliche Bedeutung der sogenannten AGB-Kontrolle (§§ 305–310 BGB) erneut hervorgehoben. Im vorliegenden Fall war eine Beschäftigte der BayernLB gegen die Transformation ihrer betrieblichen Altersversorgung vorgegangen und hatte sich dabei auf die AGB-Kontrolle der zugrunde liegenden Regelungen berufen.

Zwar hat das Bundesarbeitsgericht dem Antrag der Klägerin nicht entsprochen und die Berufung auf die AGB-Kontrolle nicht nachvollzogen, aber in der arbeitsrechtlichen Praxis sind Arbeitnehmer mit der Bezugnahme auf die AGB-Kontrolle häufig erfolgreich. Tatsächlich stellt die Nichtbeachtung der AGB-Kontrolle ein wesentliches (Prozess-)Risiko für die Arbeitgeberseite dar. Das gilt insbesondere für Banken und Sparkassen, da hier zahlreiche arbeitsrechtliche Aspekte der AGB-Kontrolle unterliegen.

Über die AGB-Kontrolle

Die AGB-Kontrolle entstammt dem Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz), das 2002 im Zuge der Schuldrechtsreform in die §§ 305–310 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) überführt worden ist. Das AGB-Gesetz diente ursprünglich dem Zweck, Verbraucher vor einseitigen, unangemessenen oder missverständlichen Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zu schützen. Materieller Bezugspunkt des AGB-Gesetzes waren Allgemeine Geschäftsbedingungen und alle anderen standardisierten, formularhaften Vertragsbestandteile in Verbraucherverträgen. Im Zuge der Überführung des AGB-Gesetzes in das BGB wurde heftig darüber diskutiert, ob das AGB-Gesetz auch auf das Arbeitsrecht bezogen werden sollte. In dieser Fragestellung wurde schließlich positiv votiert. Seither werden Arbeitnehmer und Verbraucher gleichgesetzt, wenn es um die Deutung von Arbeitsverträgen geht.

Die AGB-Kontrolle ist zwar alltägliche juristische Praxis, rechtssetzend vollzogen wird sie allerdings von den Arbeitsgerichten, in letzter Instanz natürlich vom Bundearbeitsgericht (BAG) in Erfurt. Für die Rechtssicherheit ist das tendenziell ein misslicher Umstand, weil es dazu führt, dass die mit Vertragsfragen betrauten Fachleute im Personalressort alle jeweils relevanten Entscheidungen kennen müssen. Gerade in Bezug auf die AGB-Kontrolle ist das deutsche Arbeitsrecht wie das anglo-amerikanische Zivilrecht „Case Law“ geworden. Das erfordert sehr hohe juristische Expertise in den Personalressorts. Empirische Befunde und zeb-Projekterfahrungen zeichnen allerdings ein eher kritisches Bild: Zahlreiche deutsche Kreditinstitute nutzen Arbeitsverträge und arbeitsvertraglich relevante Klauseln, die der AGB-Kontrolle nicht standhalten und insofern unwirksam sind. Überdurchschnittlich häufig betreffen diese unwirksamen Klauseln Vergütungsfragen.

Die Diskussion von Vergütungsfragen stand in den letzten Jahren vorrangig unter dem Einfluss der Institutsvergütungsverordnung (InstitutsVergV). Aus arbeitsrechtlicher Sicht muss man feststellen, dass dieser Einfluss unangemessen hoch war. Bisweilen wurden Differenzen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Bezug auf einzelne Vergütungsbestandteile arbeitgeberseitig mit Verweis auf die InstitutsVergV diskutiert. Damit werden sowohl der Rechtscharakter der InstitutsVergV als auch die weitreichende Bedeutung der AGB-Kontrolle verkannt. Ein Beispiel aus der Praxis (arbeitsvertragliche Nebenabrede zur Bonuszahlung aus Zielvereinbarung): „Die Auszahlung der variablen Zusatzvergütung erfolgt im ersten Quartal des Folgejahres, sofern die Sparkasse die Voraussetzungen nach der Institutsvergütungsverordnung erfüllt.“ Diese Formulierung geht an der Regelungsabsicht der InstitutsVergV vorbei, da diese streng genommen gar keine Voraussetzungen definiert. Und sie hält der AGB-Kontrolle nicht stand, da die individuelle Bonuszahlung von Faktoren abhängig gemacht wird, die hochgradig intransparent sind und sich der Einflussnahme des Mitarbeiters nahezu vollständig entziehen.

Gemäß § 1 InstitutsVergV sind ihre Regelungen nicht auf Vergütungen anzuwenden, die durch kollektivrechtliche Vereinbarungen, also Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen geregelt sind. Diese Einschränkung des Geltungsbereichs hat in zahlreichen Banken und Sparkassen dazu geführt, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen mit Regelungen zu erstellen, die nicht immer dem Geist der InstitutsVergV entsprechen. Gleichzeitig meinte man, derlei Regelungen damit den Zugriff der AGB-Kontrolle entzogen zu haben, denn auch deren Geltung erstreckt sich nicht auf kollektivrechtliche Vereinbarungen. Entsprechende Umgehungsinitiativen können allerdings in die Irre führen, nämlich dann, wenn in Arbeitsverträgen auf kollektivrechtliche Vereinbarungen verwiesen wird und diese Inhalt des Arbeitsvertrags werden sollen. Derlei „Bezugnahmen“ können bekanntlich sehr wohl der AGB-Kontrolle unterliegen.

Die AGB-Kontrolle soll den Arbeitnehmer in einer grundsätzlich nicht symmetrischen Rechtsbeziehung vor missverständlichen und intransparenten, überraschenden bzw. nicht zu erwartenden sowie einseitig benachteiligenden oder unangemessenen Vertragsinhalten schützen. Klauseln, die in diesem Sinne der AGB-Kontrolle nicht standhalten, sind unwirksam. (Unklarheiten gehen stets zulasten des „Verwenders“, also des Arbeitgebers.) Die Unwirksamkeit führt regelmäßig zu einer für den Arbeitnehmer günstigen Umdeutung und impliziert damit Prozess- und Vermögensrisiken für den Arbeitgeber. Bei Banken und Sparkassen betrifft das immer wieder Streitpunkte im Zusammenhang mit der variablen Vergütung. Die Hoffnung, unwirksame Klauseln in einen für beide Seiten tragbaren Konsens umzudeuten, trügt regelmäßig. Die sogenannte geltungserhaltende Reduktion ist im Falle der AGB-Kontrolle nicht zulässig. Eine unwirksame Klausel kann insofern nicht aufgebessert werden. Diese Tatsache hat die ganz praktische Auswirkung, dass man auf die in vielen Arbeitsverträgen übliche salvatorische Klausel verzichten sollte – im Streitfall „heilt“ diese Klausel nichts.

Betrachtet man die Praxis der Vertragsgestaltung in Banken und Sparkassen, so ist zu konstatieren, dass in folgenden Fällen immer wieder gravierende Fehler gemacht werden und die jeweiligen Klauseln der AGB-Kontrolle oftmals nicht standhalten:

Freiwilligkeits-/Widerrufsvorbehalt

Die fast ubiquitäre Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt bei der Gewährung betrieblicher Zuwendungen (Vergütungs- und Versorgungsleistungen) hält der AGB-Kontrolle nicht stand und ist daher unwirksam. Formulierungen wie die folgende sind gängige Praxis in Banken und Sparkassen, aber aus juristischer Sicht zu vermeiden: „Hierbei handelt es sich um freiwillige, jederzeit widerrufliche Leistungen.“ Diese Formulierung verfehlt das zumeist anvisierte Ziel einer doppelten Absicherung. Zwar soll der Freiwilligkeitsvorbehalt in der Regel dokumentieren, dass der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf die in Rede stehende Leistung hat. Der gleichzeitig aufgenommene Widerrufsvorbehalt setzt diesen Anspruch aber gerade voraus. Ein nicht vorhandener Anspruch kann nicht widerrufen werden.

Eine sinnvolle Alternative würde etwa wie folgt lauten: „Die Zahlung der folgenden Leistungen (…) begründet keinen Rechtsanspruch auf Weitergewährung in den folgenden Jahren. Der Arbeitgeber behält sich vor, jedes Jahr neu darüber zu entscheiden, ob und in welcher Höhe die Leistung erbracht wird.“ (vgl. BAG vom 28.03.2007: 10 AZR 261/06; BAG vom 30.07.2008: 10 AZR 606/07; BAG vom 14.09.2011: 10 AZR 526/10; BAG vom 17.04.2013: 10 AZR 281/12).

Stichtagsbezogener Auszahlungsvorbehalt bei variablen Vergütungsbestandteilen

Höhe und Auszahlung von variabler Vergütung sorgen in Kreditinstituten immer wieder für juristischen Ärger und Auseinandersetzungen vor dem Arbeitsgericht. Ein großer Teil dieser Auseinandersetzungen ist vermeidbar. Variable Vergütungsleistungen, die auf (individuell) erreichten Zielen und Ergebnissen beruhen, sind Vergütungen für erbrachte Leistung und können nicht abbedungen werden. Der vielfach anzutreffende stichtagsbezogene Auszahlungsvorbehalt, der es zur Bedingung macht, dass das Arbeitsverhältnis zu einem bestimmten Datum noch besteht („auflösende Bedingung“), ist nach Maßgabe der AGB-Kontrolle unwirksam. Für Regelungen mit Mischcharakter gilt das analog, also für Regelungen, die einerseits erbrachte Leistung, andererseits Betriebstreue honorieren sollen. Hier fehlt es in der Praxis ohnehin an Unterscheidungskriterien, die der Arbeitnehmer wirksam nachvollziehen kann. Lediglich die immer seltener werdenden Fälle der Honorierung von reiner Betriebstreue sind hiervon auszunehmen. Unberührt von alldem bleibt natürlich die zeitanteilige Auszahlung bei vorzeitigem Austritt des Mitarbeiters (vgl. BAG vom 07.06.2011: 1 AZR 807/09; BAG vom 12.04.2011: 1 AZR 412/09; BAG vom 18.01.2012: 10 AZR 667/10; BAG vom 14.11.2012: 10 AZR 793/11).

Bindungsklauseln (Weiterbildung)

Bindungsfristen für Weiterbildungsmaßnahmen, die der Arbeitnehmer absolviert hat, sind ebenfalls ein häufiger Streitgegenstand. Hier geht es darum, wie lang ein Beschäftigter aufgrund einer durch den Arbeitgeber finanzierten Aus- oder Weiterbildung an das Unternehmen gebunden werden kann. Der Unsicherheit auf Arbeitnehmerseite steht oft eine forsche Unkenntnis aufseiten des Arbeitgebers gegenüber. Für die Bindungsfristen bzw. Rückzahlungsansprüche auf gezahlte Aus- und Weiterbildungskosten bei (frühzeitigem) Austritt des Beschäftigten gelten zunächst dieselben Prinzipien wie für alle anderen Tatbestände, die der AGB-Kontrolle unterliegen. Sie dürfen für den Arbeitnehmer nicht unverständlich, intransparent oder überraschend sein, den Beschäftigten wirtschaftlich überfordern (analog zu den Bestimmungen für Vertragsstrafen, Wettbewerbsverbote usw.) oder unangemessen benachteiligen. Die richterliche Rechtsfortbildung (durch das BAG) hat die folgenden maximalen Bindungsfristen definiert:

Aus-/Weiterbildungsdauer                                 Maximale Bindungsfrist

Bis 1 Monat                                                     Bis 6 Monate

Bis 2 Monate                                                   Bis 1 Jahr

Bis 6 Monate                                                   Bis 2 Jahre

Bis 1 Jahr                                                        Bis 3 Jahre

Mehr als 2 Jahre                                              Bis 5 Jahre

Eine mehr als fünfjährige Bindungsdauer ist ausgeschlossen (vgl. BAG vom 23.02.1983: 5 AZR 531/80; BAG vom 15.12.1993: 5 AZR 279/93; BAG vom 05.12.2002: 6 AZR 539/01; BAG vom 21.07.2005: 6 AZR 452/04; BAG vom 14.01.2009: 3 AZR 900/07; BAG vom 19.01.2011: 3 AZR 621/08).

Die arbeitsrechtliche AGB-Kontrolle erstreckt sich auf eine Vielzahl arbeitsvertraglicher Klauseln. Häufig erweisen sich die in der Praxis gebräuchlichen Klauseln als unwirksam. Das gilt u. a. für die allermeisten Schriftformklauseln (vgl. schon BGH vom 15.05.1986: IX ZR 155/99), die pauschale Pflicht zur Anzeige bzw. Genehmigung von Nebentätigkeiten (vgl. BAG vom 11.12.2001: 9 AZR 464/00) und damit gleichermaßen für eher formale Regelungen wie für substanzielle Inhalte der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen. Über regulatorische Anforderungen – insbesondere aus der InstitutsVergV – sind arbeitsrechtliche Grundlagen ein wenig aus dem Blickfeld der personalwirtschaftlichen Praxis gerückt. Arbeitsrechtliche Prozesse verlieren Banken und Sparkassen aber nicht aufgrund mangelnder Würdigung der InstitutsVergV, der MaComp BT 8 oder der MaRisk, sondern ein ums andere Mal aufgrund fehlender Sicherheit in Fragen der AGB-Kontrolle.

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