EZB konkretisiert ILAAP- sowie ICAAP-Anforderungen

Auf die Systemically Important Banks, kurz SIBs, kommen seitens der EZB weitere Anforderungen für die Auskunftspflicht in den Bereichen der Kapital- und Liquiditätsausstattung zu. Hierzu hat sich die EZB Ende Februar 2017 mit einem Schreiben an die Geschäftsleitungen der systemrelevanten Institute gewandt.

 

Worum geht es?

Die EZB hat ein mehrjähriges Projekt mit dem Namen „SSM Guides on ICAAP and ILAAP for significant institutions“ initiiert. Ziel ist die einheitliche Ausgestaltung des ICAAP und ILAAP im Euro-Raum sowie die Harmonisierung der durch die Kreditinstitute einzureichenden Unterlagen und Informationen.

Sieben Kernprinzipien sind als Erwartungen der Aufsicht an ICAAP und ILAAP beschrieben:

  • Verantwortung des Leitungsorgans: Die Gesamtverantwortung für die Umsetzung des ICAAP und des ILAAP liegt beim Leitungsorgan, das eine angemessene Governance-Struktur einrichten und eine Erklärung zur Angemessenheit der Kapitalausstattung (Capital Adequacy Statement – CAS) abgeben Insbesondere sieht die Aufsicht deutlichen Nachholbedarf in der Einbindung des Leitungsorgans und der angemessenen Diskussion der ICAAP- bzw. ILAAP-Themen in den Instituten.
  • Gestaltung der Entscheidungsprozesse: Die EZB erwartet die Einbindung von ICAAP und ILAAP als integrale Bestandteile der Risikomanagement- und Entscheidungsprozesse. Insbesondere die Verzahnung von ICAAP und Kapitalplanung sowie die Granularität der Entscheidungsinformationen sieht die Aufsicht in vielen Instituten als nicht ausreichend an.
  • ICAAP/ILAAP zur Sicherstellung der Überlebensfähigkeit eines Instituts: Dieses, aus Sicht der Aufsicht zentrale Prinzip fordert die umfangreiche Analyse von Szenarien für die Kapital- und Liquiditätsausstattung aus unterschiedlichen Perspektiven (normativ und ökonomisch) sowie über verschiedene Zeithorizonte hinweg. Insbesondere bei der Angemessenheit der Szenarien und deren passgenauer Ausprägung für das einzelne Institut besteht aus Sicht der Aufseher Handlungsbedarf.
  • Identifikation und Berücksichtigung wesentlicher Risiken: In der Risikoinventur wird die Berücksichtigung aller wesentlichen Risiken gefordert. Hier ist das Augenmerk auf bislang eher vernachlässigte Risikoarten wie z. B. implizite Optionen, Rechtsrisiken, Conduct Risks sowie Modellrisiken zu legen.
  • Qualität des internen Kapitals: Das angesetzte interne Kapital muss aus Sicht der Aufseher eine sehr hohe Qualität aufweisen, um im Bedarfsfall auch tatsächlich zur Risikoabsorption zur Verfügung zu stehen. Besonderes Augenmerk ist hierbei auf den Umgang mit stillen Lasten oder Reserven sowie latenten Steuern zu legen.
  • Quantifizierungsmethoden: Die Forderung nach angemessenen, konsistenten und validierten Risikoquantifizierungsmethoden ist per se nicht neu. Da die Aufsicht jedoch Defizite bei der unabhängigen Validierung der Modelle sowie der Überprüfung durch interne Prüfer sieht, kommt in der Praxis insbesondere dem Ausbau der Validierung eine besondere Bedeutung zu.
  • Anforderung an das Stress-Testing: Die Ausgestaltung der Stresstests muss angemessen bzgl. der Risiko- und Geschäftssituation des Instituts sein – einer flexiblen Szenariofähigkeit kommt dabei eine hohe Bedeutung zu.

Dass die Zeit drängt, macht die Aufsicht durch ihre Vorgehensweise deutlich: Bis zum 31. Mai dieses Jahres hatten die systemrelevanten Institute Zeit, ihr Feedback zu den neu formulierten Anforderungen an die EZB zu melden. Die Anwendung der neuen Prinzipien durch die Institute soll dann bereits 2019 erfolgen.

Was ist neu?

Mit den zuvor skizzierten Prinzipien setzt die Aufsicht neue Akzente in den folgenden sechs zentralen Bereichen:

(1) Herausstellung und Hervorhebung der Verantwortung des Leitungsorgans: Um seiner Verantwortung als Leitungsorgan gerecht zu werden, sind ICAAP und ILAAP als interne Steuerungsinstrumente vollständig in die Risk Governance der Bank einzubetten. Die Verzahnung beginnt bei Verknüpfung von Geschäfts- und Risikostrategie mit dem Risk Appetite Framework, der Integration in die Steuerungs- und Entscheidungsprozesse sowie weiterer Steuerungs-KPIs in die Reportinglandschaft.

(2) Bedeutung ILAAP versus ICAAP: Die grundsätzlich gleichartig dargestellten Prinzipien in Bezug auf ICAAP und ILAAP legen nahe, dass aus Sicht der Aufsicht beiden Steuerungskreisen eine gleichartige Bedeutung beigemessen wird. Im Vergleich zu bereits existierenden Papieren wurden insbesondere die Anforderungen an den ILAAP nachhaltig angereichert – der ILAAP hat damit eine deutliche Aufwertung erfahren. ICAAP und ILAAP stehen sich nach Inkrafttreten gleichwertig gegenüber (und ergänzen sich). Ihre unmittelbare Verankerung und Umsetzung ist auf der Ebene des obersten Leitungsgremiums der Institute anzusiedeln, was zugleich ihre Tragweite unterstreicht.

(3) Fokus auf Going-Concern in einer Mehrjahressicht: Neu sind im ICAAP-Modell die zwei explizit geforderten Perspektiven – die regulatorische (normative) und die ökonomische – sowie die klare Positionierung zur Bewertung der relevanten Bilanzposten nach dem Going-Concern-Prinzip. Aus Sicht von zeb schafft der Verzicht auf das Gone-Concern-Prinzip bei den Banken mehr Klarheit und legt bei der Bewertung den Fokus auf die Sicherstellung der Fortführung des Geschäftsbetriebs der Institute. Dies kommt der Zielsetzung der Aufseher näher, die sich solide, sichere und nachhaltig ertragsgenerierende Institute wünschen. In der regulatorischen Perspektive werden der kurz- und mittelfristige Horizont in den Vordergrund gestellt. Die ökonomische Perspektive auf Basis des Barwertansatzes fokussiert weiterhin einen kurzfristigen zeitlichen Horizont.

(4) Szenario- statt Verteilungsorientierung bei den Risiken: Der Szenarioanalyse kommt in der Banksteuerung eine immer größere Bedeutung zu. Ausgangspunkt hierfür ist, dass die Ergebnisse von Szenarioanalysen aus Sicht des Managements verständlich und interpretierbar sind. Im Gegensatz zu der Ableitung verteilungsbasierter Risikokennzahlen, wie z. B. Value-at-Risk-Kennzahlen, stellt die Ableitung szenariobasierter Risikokennzahlen keine „Black Box“ für die Entscheider im Kreditinstitut dar und ist damit eher geeignet, echte Handlungsimpulse auszulösen. Einheitliche Szenarien können ferner eine Klammerfunktion für eine Vielzahl weiterer Anwendungsfelder im Risikocontrolling und in der Gesamtbanksteuerung wahrnehmen:

  • Die Ableitung des Risikoappetits kann über Stress-Szenarien erfolgen. Aus der zusätzlichen Belastung der Risikotragfähigkeit in einem Stressszenario kann ein Risikopuffer abgeleitet werden, welcher im Rahmen von Allokationsüberlegungen zum Risikokapital nicht angetastet wird.
  • Die Kapitalplanung in adversen Szenarien lässt sich szenario-orientiert analog zur Prüfung der Going-Concern-Risikotragfähigkeit durchführen.
  • Aus der Szenarioanalyse lassen sich weitere relevante Informationen für die Risikosteuerung ableiten. Hierzu zählen z. B. Informationen für die Wesentlichkeitseinschätzungen im Rahmen der Risikoinventur für spezifische Risikoarten bzw. Intra- und Inter-Risikokonzentrationen, Informationen zur Quantifizierung der Modellrisiken und Informationen zur Kapitalisierung unzureichend quantifizierter Risikoarten und -effekte in der Risikotragfähigkeit.
  • Bei der Umsetzung und Implementierung der Anforderungen zu den MaSan sind kritische Schwellenwerte für die Kapitalquoten zu definieren, welche Maßnahmen zur Sanierung bzw. Abwicklung auslösen. Diese Schwellen können unter Berücksichtigung der Szenarioanalysen unter dynamischer Simulation dieser Quoten abgeleitet werden.

(5) Neue Validierungsanforderungen für ökonomische Risikomodelle: Der Validierungsprozess für
ICAAP-Quantifizierungsmethoden sollte den jeweiligen Standards der internen Säule-1-Modellen entsprechen (IRBA/internes Marktrisikomodell). Diese werden in der Capital Requirement Regulation (CRR) für die Adress- und die Marktpreisrisiken klar umrissen und bilden damit auch den Rahmen für die internen Validierungsprozesse der Säule 2 – inklusive der Forderung nach Funktionstrennung der Entwicklung und der Validierung von Modellen.

(6) Stresstests: Ebenso von Bedeutung für die aktuelle und sicher auch für die zukünftigen Anforderungen der Aufsicht wird sein, dass die Stresstest-Ergebnisse aus ICAAP und ILAAP konsistent sind. Durch diese Interdependenzen und Rückkopplungseffekte erhöht sich die Anzahl möglicher Szenarien, was Annahmen, Ergebnisse und projizierte Managemententscheidungen angeht. Damit erhöhen sich auch hieraus die Flexibilisierungsanforderungen an die Szenariomodelle.

Was sind die Implikationen?

Wir sind überzeugt, dass der neue ICAAP bzw. ILAAP in dieser oder einer ähnlichen Form zur Umsetzung gelangen wird und sollte. ICAAP und ILAAP haben aus unserer Sicht das Potenzial, zukünftig zum Herzstück einer ertragsorientierten Banksteuerung zu avancieren.

Auf die SIBs kommen damit die folgenden Herausforderungen zu:
(1) Ausbau der Szenariofähigkeit: Neben den oben dargestellten Anwendungsfeldern mit dem Bezug zu Risikoszenarien, welche eine unerwartete Entwicklung berücksichtigen, kommen Szenarioanalysen in der Geschäftsplanung und in der Business-Modell-Analyse zumDie Herausforderung für die Kreditinstitute besteht darin, flexible Infrastrukturen für die Szenarioanalyse bereitzustellen. Die Flexibilität bezieht sich dabei auf unterschiedliche Aspekte:

  • das Spektrum an Kennzahlen, welche in den Szenarien zu simulieren sind,
  • die Flexibilität, neue Szenarien zu berücksichtigen und diese zu parametrisieren,
  • die Möglichkeit, die Simulationsmethoden anzupassen bzw. weiterzuentwickeln und
  • den Anspruch, Szenarioergebnisse möglichst schnell zu generieren und somit eine abstimmungsintensive Datenbereitstellung zu vermeiden.

Obige Flexibilitätsüberlegungen erfordern insbesondere eine harmonisierte Stresstestinfrastruktur. Die aktuell in Konsultation befindlichen Stresstest-Guidelines der EBA fordern hierzu die Umsetzung der Risk-Data-Aggregation-Anforderungen (RDA, BCBS #239) auch für Stresstests. Aktuelle Projekte zur Umsetzung der RDA-Anforderungen sollten daher auf Stresstestdaten und ‑IT-Strukturen ausgeweitet werden. Zudem sollen Stresstests gemäß dem Konsultationspapier integraler Bestandteil der IT-Architektur sein – viele heute übliche Excel-Lösungen können nur als Prototypen oder Vorstufen in der Entwicklung verstanden werden.

(2) Systematische Einbettung ICAAP/ILAAP in die Risk Governance: Die Leitungsorgane der Institute stehen vor zwei Herausforderungen. Zum einen müssen sie sich zu einen deutlich höheren Anteil ihrer Zeit nachweislich mit den risikoorientierten Themenstellungen wie Governance und Framework auseinandersetzen. Zum anderen gilt es, durch eine klare Formulierung des Risk Appetite Frameworks, durch risikomanagementorientierte Entscheidungsgremien sowie durch einen systematisch verzahnten Strategie-, Kapital- und Liquiditätsplanungsprozess der Verantwortung des Leitungsorgans für eine solide Governance nachzukommen. Die Basis hierfür sind angemessene und zeitnahe Informationen und Aus Sicht von zeb wird die Umsetzung dieser Anforderungen mit weiteren, systematischen Schulungen der Leitungsorgane in diesen Themenfeldern einhergehen müssen.

(3) Kontinuierlicher Prozess zur Sicherstellung der ICAAP-/ILAAP-Compliance: Es gilt in den Instituten zur frühzeitigen und validen Ableitung der Erwartungen der Aufsicht eine weitere Stärkung des aufsichtlichen Monitorings vorzunehmen (Identifikation, Bewertung und Strukturierung relevanter vorhandener und neuer Anforderungen). Der ICAAP- ILAAP-Prozess ist als kontinuierlicher Prozess aufzufassen, der regelmäßig prozessuale, aufbauorganisatorische, methodische sowie datentechnische Neuerungen bedingt.

Wo besteht noch Klärungsbedarf?

Vor dem Hintergrund der doch eher kurz gehaltenen SSM-Leitfäden zum ICAAP und ILAAP besteht aus Sicht von zeb insbesondere in den folgenden Themenfeldern weiterer Nachschärfungs- bzw. Klärungsbedarf:

  • Pillar-1+-Ansatz: Auch wenn die Systematik und das Ziel des Pillar-1+-Ansatz grundsätzlich nachvollziehbar sind, ist die Vermischung der Ansätze aus Säule 1 und Säule 2 dennoch erklärungsbedürftig und vor dem Hintergrund einer Going-Concern-Sicht zu schärfen, um keine systematischen Nachteile gegenüber dem Gone-Concern-Ansatz aufzuweisen.
  • Anrechnung stiller Reserven: Die Anforderungen an die Anrechnungsfähigkeit von stillen Reserven in der ökonomischen Risikotragfähigkeit sind weiter zu konkretisieren bzw. zusätzliche Leitfäden zu formulieren.
  • Sicherstellung der Harmonisierung/Level Playing Field: Als ein wesentliches Ziel der ICAAP- und ILAAP-Leitlinie wird von der Aufsicht die Harmonisierung der Datengrundlagen und Anforderungen an die Kreditinstitute genannt. Wie dies perspektivisch mit einem länderübergreifenden Rollout in der Euro-Zone gewährleistet werden soll, ist derzeit noch unklar.

Fazit

Insgesamt wäre aus Sicht von zeb die zeitnahe Umsetzung der konkretisierten ILAAP- und ICAAP-Anforderungen aus den zuvor genannten Gründen zu begrüßen.

Insbesondere die Betonung der Szenariofähigkeit erscheint uns bedeutsam. In dem heutigen, von Unsicherheiten gekennzeichneten Umfeld kommt der Etablierung von robusten Modellen zur Sicherstellung der Szenariofähigkeit im Bankbetrieb damit eine zentrale Rolle zu, die nicht nur aufsichtlich gefordert sein wird sondern auch für die strategische Banksteuerung von höchster Bedeutung ist.

Sprechen Sie uns gerne an!

Dr. Dirk Holländer / Autor BankingHub

Dr. Dirk Holländer

Senior Partner Office Münster
Jens Kuttig / Autor BankingHub

Jens Kuttig

Senior Partner Office Amsterdam
Ulf Morgenstern / Autor BankingHub

Dr. Ulf Morgenstern

Senior Manager Office Münster

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