Prozessmanagement 3.0 – ganzheitliche Implementierung

Seit Jahren sieht sich der deutsche Bankensektor vielfältigen Veränderungen ausgesetzt. Wegbrechende Erträge aufgrund der anhaltenden Niedrigzinsphase, weiter steigende regulatorische Anforderungen und zunehmend anspruchsvollere Kundenerwartungen stellen die Banken und ihre Prozesse vor immer neue Herausforderungen.

Marktumfeld erfordert weitere Effizienzsteigerung in allen Bereichen der Wertschöpfungskette

Ein wesentlicher Faktor, um in diesem dynamischen Marktumfeld auch zukünftig bestehen zu können, ist nicht nur ein aus Kostensicht getriebener Ansatz, Arbeitsabläufe zu optimieren; neben der Notwendigkeit, Kundenanforderungen in maximaler Qualität kostenoptimal bedienen zu können, ist es gleichermaßen relevant, durch effiziente Prozesse die Reaktionsfähigkeit des eigenen Instituts zu steigern. Hierzu gilt es, bereichs- und abteilungsübergreifende Transparenz in etablierte Arbeitsabläufe zu bringen, Komplexitäten zu verringern und Effizienzpotenziale zu identifizieren, um sie durch geeignete Maßnahmen zu heben. Grundlage hierfür ist ein ganzheitliches Prozessmanagement, welches auf einer Dokumentation nach einheitlichen Standards basiert, durch spezielle Prozessmanagement-Tools unterstützt wird und durch geeignete Governance-Strukturen, zugehörige Rollen und Funktionen in die Gesamtorganisation eingebettet ist.

Der Case für ein ganzheitliches Prozessmanagement

Nachdem die ersten strukturierten Ansätze im Prozessmanagement auf die Erfüllung regulatorischer Anforderungen ausgerichtet waren, erfolgte durch die nächste Entwicklungsstufe, Prozessmanagement 2.0, die Betrachtung und Optimierung von Prozessen aus der Perspektive der einzelnen Organisationseinheiten. Im Prozessmanagement 3.0 wird dieser Ansatz erweitert, um das Prozessmanagement vollumfänglich, also organisationseinheitenübergreifend und damit außerhalb üblicher Silostrukturen, zu implementieren. Vor diesem Hintergrund und mit dem Ziel eines in der Ablauforganisation optimierten Instituts ist erfolgreiches Prozessmanagement nur möglich, wenn alle involvierten Komponenten aufeinander ausgerichtet sind und sich gegenseitig unterstützen. Wesentliche Voraussetzung eines nachhaltigen Prozessmanagements ist eine umfassende Prozessdokumentation in einem Prozess-Repository mit End-to-End-Sicht. Des Weiteren ist ein Tool erforderlich, welches Prozessvisualisierung, -analyse und -pflege sowie institutsspezifische Anwendungsfelder technisch unterstützt. Neben der Prozessdokumentation und dem Tool ist eine übergeordnete BPM[1]-Organisation notwendig, die effektive und effiziente State-of-the-Art-Prozesse im „Run“ gewährleistet und auch regelmäßige Prozessveränderungen und -optimierungen begleitet. De facto zeigt unsere Projekterfahrung auf, dass in den wenigsten Häusern ein zentraler Prozessmanagementbereich etabliert ist – und wenn doch, ist dieser durch fehlenden Topmanagementrückhalt und ungenügende Kompetenzausstattung ein oftmals zahnloser Tiger. Das effektive Zusammenspiel der drei Komponenten ist dabei die Basis zur Erzeugung des notwendigen  Bewusstseins und schafft Akzeptanz bei Management und Mitarbeitern für ein Themengebiet, welches aufgrund seines vermeintlich angestaubten Images oft zu stiefmütterlich behandelt wird.

Prozessdokumentation – Transparenz als Grundlage des Prozessmanagements

Ausgangspunkt jeglicher Prozessmanagementinitiativen ist die Schaffung von Transparenz über die eigenen Geschäfts-, Steuerungs- und Unterstützungsprozesse. Hierfür ist zunächst eine Feststellung der wichtigsten und kritischsten Prozesse notwendig. Zur Identifikation dieser Prozesse empfiehlt sich eine Einordnung der bekannten Hauptprozesse entlang der Kategorien Kapazitätsbindung, Schnittstellen, Risiko/Regularien, Qualitätskritikalität, Kundensensitivität. Im Rahmen der darauf aufsetzenden Prozessdokumentation ist zunächst der Dokumentationsvorgang selbst, also die Aufnahme der bestehenden Prozesse, methodisch zu etablieren. Übergeordnete Zielsetzung sollte dabei stets der aus Unternehmenssicht angestrebte Anwendungszweck der Dokumentation sein – so lässt beispielsweise eine rein auf die Erfüllung regulatorischer Anforderungen ausgerichtete Dokumentation in den seltensten Fällen eine Identifizierung von Optimierungspotenzialen zu, wodurch die Vorteile eines umfassenden Prozess-Repository verloren geht.

Um Vergleichbarkeit, ein späteres Benchmarking von Prozessen (auch Prozesse außerhalb der eigenen Organisation) und die Möglichkeit einer End-to-End-Betrachtung von Prozessen sicherzustellen, ist eine bankweite Dokumentation der Prozesslandschaft nach einer einheitlichen Konvention zu schaffen. Weitverbreiteter Standard hierfür ist BPMN 2.0 (vgl. Allweyer 2015[2]; Silver 2011[3]). Grundsätzlich ist bei der Prozessmodellierung – unabhängig vom gewählten Notationsstandard – auf Relevanz, Wirtschaftlichkeit, Klarheit, Korrektheit, Vergleichbarkeit und systematischen Aufbau zu achten.

Zur Erarbeitung der Prozesse bieten sich standardisierte Workshops an, die eine effiziente Aufnahme der Prozesse und Berücksichtigung  aller relevanten Aspekte (Inhalt und Reihenfolge der Aktivitäten, etc.) sicherstellen. Darüber hinaus sollte bei der Prozesserhebung eine Abwägung zwischen Abstraktionsniveau und Detaillierungsgrad vorgenommen und hierbei eine pragmatische Flughöhe unter Berücksichtigung der Interessen der jeweiligen Adressaten gewählt werden. Dies vereinfacht Erfassung sowie spätere Pflege der Prozesse und erhöht zudem die Handhabung. Neben dem Festhalten der Prozessschritte sind im Rahmen der Erhebung weitere Attribute der Prozesse zu dokumentieren. So eröffnet beispielsweise ein Mapping von Automatisierungs- und Digitalisierungsgrad der Prozessschritte die Möglichkeit, Prozesse mit hohem Potenzial für Effizienzsteigerungen schnell zu identifizieren. Grundsätzlich gilt: Je mehr Informationen aufgenommen werden, desto größer der Grad der Anwendungs- und Analysemöglichkeiten – aber auch desto komplizierter und pflegeaufwendiger das Modell. Ziel der Prozesserhebung ist die Etablierung eines Prozess-Repository mit folgenden Eigenschaften:

Eckpfeiler Prozess-Repository in Prozessmanagement 3.0 / BankingHubAbbildung 1: Eckpfeiler Prozess-Repository

Prozessmanagement-Tool – technischer Support erleichtert Analysen und Handhabung

Weitere Voraussetzung für erfolgreiches Prozessmanagement ist die Verwendung einer auf die übergeordneten Zwecke des Prozessmanagements abgestimmten und technischen Unterstützung. Marktübliche Tools helfen dabei, die im Dokumentationsvorgang gesammelten Daten aufzubereiten, auszuwerten und ihre Wirkungskraft in der Organisation durch intuitive Visualisierung und Handhabung zu erhöhen. Für ein effizientes Sourcing eines geeigneten Tools sind im ersten Schritt auf Basis der übergeordneten Zielsetzung des Prozessmanagements relevante Use Cases zu definieren. Die daraus resultierenden bankspezifischen Anforderungen – fachliche und technische – sind in einen Anforderungskatalog zu überführen. Die resultierenden Anforderungen sind in jedem Fall individuell zu evaluieren, da sie so unterschiedlich wie die Banken selbst sind. Abbildung 2 zeigt die Eckpfeiler, die aus zeb-Projekterfahrung stets zu berücksichtigen sind.

Eckpfeiler Prozessmanagement-Tool / BankingHubAbbildung 2: Eckpfeiler Prozessmanagement-Tool

Eine veraltete, nicht gepflegte Prozessdokumentation untergräbt jegliche Transparenz- und Analysebemühungen und führt unter Umständen dazu, dass die tatsächlich gelebten Prozesse von den dokumentierten abweichen. Vor diesem Hintergrund ist vor allem eine hohe Benutzerfreundlichkeit durch eine einfache und intuitive Bedienung, die somit den Erstellungs- und Pflegeaufwand reduziert, als entscheidendes Kriterium für eine langfristig wirkungsvolle Prozessdokumentation hervorzuheben. Neben diesen hausindividuell zu spezifizierenden Anforderungen haben sich aus zeb-Sicht vor allem solche Tools als erfolgreich erwiesen, die folgende weitere Kriterien erfüllen: So sollte ein Tool nach seiner Implementierung alle prozessrelevanten Informationen in einer Quelle enthalten, durch Analyse- und Auswertungsmöglichkeiten Optimierungs- und Complianceanforderungen gleichermaßen erfüllen, intuitive Kollaboration zur stärkeren Vernetzung der für den Prozess relevanten Ansprechpartner fördern und Steuerungsmöglichkeiten für Review- und Abnahmezyklen technisch unterstützen.

BPM-Organisation – Prozesskultur in der Organisation verankern

Zur organisatorischen Verankerung eines ganzheitlichen Prozessmanagements ist eine übergeordnete Stelle zu etablieren, die mit ihrer Klammerfunktion alle prozessmanagementrelevanten Aktivitäten koordiniert, überwacht und operativ unterstützt. Als Hüterin des Prozessmanagements legt sie die übergeordneten Ziele fest und treibt dadurch nachhaltig effektive und effiziente Prozesse, zentralisiert die Pflege der Prozesslandkarte, ist verantwortlich für den Dokumentationsvorgang und nimmt somit eine Schlüsselfunktion für eine gelebte Prozesskultur in der Organisation ein.

Ziel des Aufbaus dieser Stelle ist es, klare Verantwortlichkeiten zu schaffen, die Reaktionsgeschwindigkeit (Time-to-Market) der Bank zu verbessern und den Nutzen der dokumentierten Prozesslandschaft in der Organisation langfristig zu sichern. Entscheidend für die nachhaltige Schlagkraft der BPM-Organisation und das dauerhafte Aufbrechen von silogetriebenen Prozessinitiativen sind dabei insbesondere folgende Aspekte: Neben dem Aufbau dezidierter Ressourcen und Kompetenzen in einer schlanken, kosteneffizienten BPM-Organisationseinheit ist ein klar definiertes Rollen-, Verantwortlichkeits- und Zusammenarbeitsmodell mit den relevanten Stakeholdern aus Fachbereichen und IT für Change- und Run-Aktivitäten zu etablieren. Hierbei ist durch entsprechende Anreizstrukturen der Prozess-Owner die Bereitstellung von relevanten Ressourcen mit fachlicher und technischer Prozessexpertise sicherzustellen.

Eckpfeiler BPM-Organisation / BankingHubAbbildung 3: Eckpfeiler BPM-Organisation

Prozessmanagement 3.0 – Baustein für zukunftsfähige Geschäftsmodelle

Nur wenn jede der drei dargestellten Komponenten – sowohl für sich genommen als auch im Zusammenspiel mit den beiden anderen – in guter Qualität vorhanden ist, kann ein Prozessmanagement seine volle Schlagkraft im Hinblick auf die Hebung ungenutzter Potenziale und Einhaltung regulatorischer Anforderungen entfalten. Durch eine klare Definition der Anforderungen an die drei Komponenten sowie eine passgenaue Implementierung innerhalb der bestehenden Organisation kann das Prozessmanagement zu einem elementaren Baustein in einem zukunftsorientierten Geschäftsmodell werden.

[1] BPM = Business Process Management
[2] Allweyer, T. (2015): BPMN 2.0 – Business Process Model and Notation. Einführung in den Standard für die Geschäftsprozessmodellierung, BoD–Books on Demand.
[3] Silver, B. (2011): BPMN Method and Style, with BPMN Implementer’s Guide. A structured approach for business process modeling and implementation using BPMN 2.0 (S. 23), Aptos: Cody-Cassidy Press.

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