Motto: „tl;dr – too long; didn’t read“
Der Internetslang „tl;dr – too long; didn’t read“ der nun schon 13. Konferenz galt, wie Gunther Dueck es in seiner Mittwoch-Session „Identifikation von Bullshit und Wert“ nochmal auf den Punkt brachte, der Vermeidung von Filterblasen. So sind es nach Dueck ferner die menschlich eigens angeeigneten Algorithmen, die uns auf Marktschreier im Web lenken. Die re:publica 2019 hatte sich also das Entgegenhalten von Framing und Populismus im Netz zum diesjährigen Motto genommen.
Generell konzentrierten sich die Vorträge vordergründig auf ethische Debatten, der Diskussion von Utopien, (digitaler) Nachhaltigkeit, der Abkehr von Populismus und der Rückkehr zur tieferen, thematischen Aussetzung mit Hintergründen und Recherche. Mehr dazu jedoch später.
Los ging es mit einer Eröffnungsrede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier:
Verstärkte Politikpräsenz und Meinungsmache
Auch sonst ist der Trend einer verstärkten Politikpräsenz auf und neben den Bühnen ungebrochen. In weiteren Sessions suchten Axel Voss, Hubertus Heil, Edmund Stoiber, Anke Domscheit-Berg und Margrethe Vestager den Austausch mit den Teilnehmern bzw. nutzten das Forum, um ihre Botschaften zu platzieren.
Hubertus Heil beschäftigte sich beispielsweise in seiner Session „Neue Mächte, Neue Kooperation – Neue Verantwortung“ mit der Zukunft der Arbeitskultur. Wie sieht die digitale Zukunft von morgen aus? Wie lässt sich die Digitalisierung in der Arbeitswelt ohne Ausbeutung der Angestellten vollziehen? Wer vertritt dabei welche Interessen und wie beeinflusst dies den einzelnen Bürger?
Die allgemeine Stimmung der re:publica, nicht „tl;dr“ zu sein, nicht zu verkürzen, sondern Botschaften, Zukunftsprognosen in ihrer Gänze wahrnehmen, zurückzukehren zur Vernunft, das heißt zu hinterfragen, gemeinsam zu diskutieren, spiegelte sich auch in Eva Horns Session „Wie Populisten uns auf Social Media vor sich hertreiben – und was wir dagegen tun können“ wieder. Sie verlangte mitunter die Abkehr vom Populismus im Netz. „Stop making stupid people famous“, forderte sie und bestand auf die Abkehr vom kurzen unüberlegten Retweet und mehr Sichtbarkeit für anderes.
Demnach platzierten nicht nur Politiker ihre Botschaften – vielen Sessions gemein war, dass es primär um die Kommunikation einer Meinung ging. Ein Phänomen, das in den Zeiten, in denen die re:publica ein physisches Treffen der auf Twitter engagierten Nerds war, so noch nicht zu beobachten war.
So entpuppte sich die Session zum chinesischen Sozialkreditsystem „Beyond Black Mirror – China’s Social Credit System“ zu einer Propagandaveranstaltung für das Sozialkreditsystem. Inklusive „ist alles gar nicht so schlimm, wie [hochangesehene, Anmerkung] westliche Medien das behaupten“, „80% der Chinesen finden das gut“ und „endlich gibt es eine Möglichkeit, für „unbanked individuals“, eine Kreditwürdigkeit zu erlangen“. Diese Stunde war dann auch sehr lehrreich, nur in einer anderen Form, als man es im Vorhinein erwartet hätte.
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Unsere Highlights
Doch es gab sie noch, die Sessions nach dem Muster „ich habe etwas beobachtet und ordne das aus meiner professionellen Perspektive für euch ein“. So hatten wir u.a. die Gelegenheit, mehr über die technischen Hintergründe des 5G-Netzes zu erfahren, Einblicke in den Podcast Boom in den USA sowie auf das Duell und die Marktanteile der Video-on-Demand-Anbieter zu erhaschen oder einfach auf die neuesten Trends auf Instagram zu blicken. Wohlwissend, dass natürlich jeder Speaker einen Hintergrund und eine persönliche Ansicht hat, haben sich diese Sessions im Grad ihres Bekehrungsanspruchs trotzdem positiv abgehoben.
Und lohnt sich der Besuch?
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die re:publica eine tolle Gelegenheit darstellt, den gegenwärtigen Zeitgeist zu spüren. Dies zeigt sich auch in den Vergrößerungen des Events – so wurde die diesjährige Digitalkonferenz um Co-Working und Eventspace im Außenbereich erweitert. Die kontinuierlich steigenden Teilnehmerzahlen sprechen für sich und für ein Konzept, das in sich funktioniert.
Wer auf der Suche nach der Zukunft ist, bzw. auf der Suche nach der Debatte auf dem Weg dorthin, der sollte sich als Ergänzung zu einer in der Tendenz einheitlicher werdenden Meinung um weitere Perspektiven bemühen – sei das auf Twitter, bei Zeitungen, auf anderen Veranstaltungen.