Was bedeutet finanzielle Bildung, wo beginnt sie? Interview mit Finstep

Im Interview mit Christian Binder, Gründer von Finstep, haben wir über den Status quo der Finanzbildung in Deutschland gesprochen. Das FinTech behandelt in seiner App in animierten Kurzvideos Themen wie „Wie finanziere ich meine Ausbildung?“ oder „Wie bekomme ich meine erste eigene Wohnung?“ und bindet Jugendliche durch Gamification-Ansätze ein.

Wie das genau funktioniert und woran klassische Finanzinstitute und Deutschland bei der Vermittlung von Finanzwissen noch arbeiten müssen, erfahren Sie in unserem Interview.

Bedeutung von finanzieller Bildung

Christian Binder, Gründer von Finstep
Christian Binder, Gründer von Finstep

Hallo Christian, was ist denn überhaupt finanzielle Bildung? Und warum ist finanzielle Bildung für Jugendliche aus deiner Sicht so wichtig?

Das ist ein weit gefasster Begriff, der sich in unserem Kontext darauf bezieht, dass jeder Mensch in jeder Lebensphase von Finanzen umgeben ist und Kenntnisse braucht, um sich in dieser Umgebung zu bewegen. Wir fokussieren uns sehr stark auf die finanzielle Grundlagenbildung. Unsere Zielgruppe ist zwischen 14 und 18 Jahren alt.

Ein überspitztes Beispiel: Unser:e durchschnittliche:r User:in ist 16 Jahre alt und möchte sich eine Playstation 5 kaufen. Punkt. Eine Lebenswirklichkeit, in der sich Teenager:innen jetzt befinden, ein Wunsch, den sie jetzt realisieren möchten, ein finanzielles Ziel, das noch nicht die Altersvorsorge ist.

Diese kurz- und mittelfristigen Ziele sind ihr Anreiz, sich Kompetenzen anzueignen, die ihnen ihr Leben lang helfen werden. Wir bereiten zielgruppengerecht auf, wie sie einen Ferienjob bekommen, wir zeigen ihnen, wie eine Bewerbung aussieht, erklären, wie Steuern funktionieren, wie sie sich eine Ausbildung finanzieren können und wie sie vielleicht mal eine eigene Wohnung mieten. In erster Linie verfolgen wir das Ziel, aus Jugendlichen finanziell mündige und vor allem selbstbestimmte Erwachsene zu machen.

Es geht bei uns um die Alltagsrelevanz von Geld und umrissen um das richtige Depot und Portfolio. Einen mündigen Umgang mit Geld zu erlernen, ist am Ende des Tages unser Lehrauftrag. Das ist das, was wir unter Finanzbildung verstehen.

Was sind weitere Gründe dafür, dass finanzielle Bildung insbesondere für Jugendliche so wichtig ist, und wann sollte man damit anfangen?

Zunächst einmal ist finanzielle Bildung für alle wichtig. Unser Leitbild ist nicht, dass alle zwangsläufig ein Leben auf Luxusjachten vor Monaco verbringen müssen und wir sie darauf vorbereiten. Menschen haben ganz individuelle Lebensvorstellungen. Und egal welche Lebensvorstellung ich habe: In einem System, in dem Geld eine zentrale Rolle im Alltag spielt, führt ein kompetenterer Umgang mit Finanzen zu einer höheren Wahrscheinlichkeit, dass ich meinen persönlichen Wunschzustand erreiche.

Den richtigen Zeitpunkt, um den Umgang mit Geld zu lernen, gibt es meiner Meinung nach nicht. Ich würde es einfach immer, wenn es sich anbietet, in den Alltag integrieren. Aber aus wissenschaftlicher Perspektive ist das 7. Lebensjahr ein recht wichtiges Alter, weil sich dann die Mengen- und Größenvorstellungen entwickeln und man eben ganz gut Themen wie „Was ist Geld?“ oder „Was ist Wertempfinden?“ abbilden kann. Ich würde insgesamt so früh anfangen wie möglich. Dann aber nicht als etwas „ganz Besonderes“, sondern so beiläufig und realitätsnah wie möglich.

Finanzbildung in Deutschland: Status quo

Wo steht die Finanzbildung in Deutschland heute und wie genau hilft die Finstep-App den Jugendlichen weiter?

Ich glaube, da haben wir tatsächlich noch einiges zu tun. Im internationalen Vergleich bekleckert sich Deutschland hierbei definitiv nicht mit Ruhm, und ganze 93 % der Jugendlichen geben laut Studien sogar an, sich explizit mehr Finanzkompetenz zu wünschen, um besser auf ihre Zukunft vorbereitet zu sein. Wir werden hier auch immer etwas nachzubessern haben, weil sich unsere Welt ständig verändert.

Vor 30 Jahren zum Beispiel brauchten Jugendliche noch ein ganz anderes Finanzwissen als heute, und das, was sie umgekehrt in 10 oder 20 Jahren einmal brauchen könnten, können wir uns heute noch gar nicht vorstellen. Da immer den neuesten Stand zu bewahren, ist nicht einfach, und das ist sicherlich auch einer der Gründe, weshalb wir immer wieder abgeschlagen sind.

Finanzbildung ist Lebensvorbereitung. Mangelnde Finanzkompetenz ist ein gesellschaftliches Problem, das wir als Gesellschaft gemeinsam anpacken müssen. Wir für unseren Teil bieten eine App, die grundlegende Finanzkompetenz in Theorie und Praxis abdeckt. In animierten Kurzvideos behandeln wir Themen wie „Wie finanziere ich meine Ausbildung?“ oder „Wie bekomme ich meine erste Wohnung?“. Kleine Spiele und Belohnungen geben Anreiz, am Ball zu bleiben. Darüber hinaus bieten wir praktische Tools, mit denen unsere Nutzer:innen zum Beispiel ihr Ausgabeverhalten verfolgen können.

Finanzinstitutionen können diese App für ihre Kundschaft erweitern und individualisieren, wodurch sie die Kundenbeziehung stärken. Denn richtige Finanzkompetenz beginnt ja nicht erst mit dem großen Aktienhandel an der Börse, sondern bereits mit dem ersten eigenen Konto. Zu verstehen, was man wie einsetzen kann oder vermeiden sollte, ist da schon die halbe Miete.

Gamification zur Wissensvermittlung in der Zielgruppe von Finstep

Wer gehört zu eurer Zielgruppe und wie stellt ihr sicher, dass die App für sie ein Safe Space ist?

Unser Fokus liegt auf der Gruppe der 14- bis 18-Jährigen. Aber: Bei uns gibt’s kein Gatekeeping. Alle, die dazulernen möchten und sich von unserer App angesprochen fühlen, sind willkommen! Alter oder Finanzhintergrund spielen keine Rolle, weshalb der Lernbereich auch kostenlos ist. Außerdem muss man, wie rund 15.000 unserer Nutzer:innen bereits beweisen, zu keiner bestimmten Hausbank gehören, um auf die Inhalte zugreifen zu können – man muss sich nicht mal einen User-Account erstellen! So ist die App wirklich für alle offen.

Bei der Wissensvermittlung betrachten wir uns als große Geschwister und haben auch ein entsprechendes Verantwortungsbewusstsein den User:innen gegenüber. Wir geben keine Meinung ab, sondern stellen möglichst neutral und breit gefächert all das Wissen zur Verfügung, das unsere User:innen brauchen könnten, um informiert selbstständige Entscheidungen zu treffen und nicht von unserer Leitung abhängig zu sein.

Wie und warum nutzt ihr Gamification bei der Vermittlung des Wissens?

Wie vorhin schon erwähnt, wissen Jugendliche sehr genau, wie wichtig Finanzbildung ist, um ihre Ziele zu erreichen. Auf Dauer fehlt aber, wie wir wahrscheinlich alle wissen, bei reiner Wissensvermittlung häufig die Disziplin, um wirklich am Ball zu bleiben. Denn – und das vergisst man in der Finanzbranche gerne – unser Handeln wird nicht von reinem rationalen Kalkül gesteuert, sondern oft auch einfach von positiven Emotionen, Erlebnissen und raschem Erfolg bzw. Belohnungen. Daher nutzen ja auch Sprachlern-Apps wie Duolingo gerne Gamification, weil der dadurch gewonnene Belohnungseffekt extrem hilft, um die eigene Motivation aufrechtzuerhalten, insbesondere wenn es gerade etwas schwieriger wird oder die Verlockungen des Alltags rufen.

Wir bedienen uns verschiedenster Elemente der Gamification. Ziel ist es, kurzfristige Belohnungen und langfristige Perspektiven aufzubauen. Nach jeder Lektion lassen sich Punkte verdienen, die wiederum gegen Belohnungen innerhalb der App, aber auch für das echte Leben eingetauscht werden können. Tägliche Aktivierung sorgt für weitere Belohnungen und vieles mehr. Banken können diese Gamification-Engine nutzen, um ihre Vorteilsprogramme präsenter zu gestalten oder mühelos neue mit uns aufzusetzen, um ihren Kund:innen weitere Mehrwerte zu liefern.

USP von Finstep

Gibt es nicht noch andere Player im Finanzbildungsbereich? Was zeichnet euch im Vergleich zur Konkurrenz aus?

Natürlich haben wir hier das Rad nicht neu erfunden – und das ist auch gut so! Das Thema bzw. die Problematik ist meiner Meinung nach so groß, dass es auch unbedingt von mehreren Schultern getragen werden sollte. Insgesamt haben wir das Vorgehen, bekannte Stärken wie die Gamification aus dem Lernbereich oder die Vertrauenswürdigkeit aus dem Finanzbereich in einem einzigartigen Produkt zu kombinieren.

Was uns von der Konkurrenz abgrenzt, sind unser klarer Fokus auf Finanzbildung in einer geschützten Umgebung, der besondere Zugang zu Jugendlichen und der Ansatz, sie mit ihrer Hausbank in den Dialog zu bringen, selbst aber bankenunabhängig zu bleiben.

Kann man eure App mit klassischen Bankangeboten kombinieren, also zum Beispiel das eigene Konto oder einen Sparplan einbinden?

Vordergründig versetzen wir Banken in die Lage, auf Knopfdruck digitale, zielgruppengerechte Angebote bereitzustellen. Sie individualisieren die App für ihre Kund:innen und erweitern sie durch Kurse, Benachrichtigungen, Aktionen oder Belohnungen nach ihrem Geschmack. Damit begleiten sie zunächst ihre eigenen Bankangebote und erhöhen den Mehrwert, den sie für junge Menschen haben. Das führt zu einer engeren Kundenbeziehung, auf der sie später aufbauen können. Eine direkte Verknüpfung der tatsächlichen Produkte und Leistungsangebote ist momentan nicht enthalten. Wir haben aber Ideen, das vielleicht zu ändern.

Herausforderungen für Finanzinstitute im Umgang mit Jugendlichen

Was machen klassische Finanzinstitute bereits für die Finanzbildung von Jugendlichen und wo siehst du Verbesserungspotenzial?

Finanzkompetenz zu vermitteln, war meiner Erfahrung nach schon immer ein Thema oder sogar eine Herzensangelegenheit für Banken, gerade auch bei regionalen Instituten. Die Durchführung ist allerdings von Bank zu Bank sehr verschieden. Aktionen wie Schulbesuche oder der Weltspartag sind gute Anstöße, um junge Menschen mit Finanzen in Berührung zu bringen. Wie funktioniert jetzt aber Wissensvermittlung? Die setzt einen natürlichen Umgang zwischen Bank und Jugendlichen sowie eine echte Kundenbeziehung voraus.

Die jüngeren Generationen haben in der Regel keine oder nur wenige Berührungspunkte mit ihrer Bank, und diese wiederum hat nicht selten Schwierigkeiten, den richtigen Ton zu treffen. Wie sehr es hier noch hapert, sieht man daran, dass viele Jugendliche Banken nur auf das Konto reduzieren und dieses auch nur als austauschbares Tool sehen, mit dem man das eigene Geld eben irgendwo lagern und ausgeben kann.

Eine weitere Herausforderung ist die Aktualität. Die Inhalte selbst, aber auch der Empfängerkreis sind im stetigen Wandel. Vor wenigen Jahren musste noch nicht über Microtransactions aufgeklärt werden, und junge Menschen wollten noch anders angesprochen werden. Das wird sich auch in den nächsten Jahren wieder ändern. Dort auf dem neuesten Stand zu bleiben, kann für das einzelne Institut überfordernd wirken.

Was sollten Banken deiner Meinung nach bei der Ansprache von Jugendlichen ändern?

Eine Sache ist, dass Menschen heute eher einen Bezug zu Menschenmarken als zu institutionellen Marken haben. Daher ist eigentlich bei allen Kund:innen eine persönliche Ansprache extrem wichtig – die muss aber richtig umgesetzt werden! Niemand möchte beim Auftritt als Kund:in von oben herab belächelt werden, auch bzw. gerade Jugendliche nicht. Außerdem vergisst man manchmal zu leicht, wie weit Jugendliche einfach schon sind. Es fehlen zwar noch ein paar Entwicklungsschritte, aber man darf „fast erwachsen“ nicht mit „noch Kind“ verwechseln. Man muss auch keinen „Coolness“-Kurs abschließen, um im neuesten Slang Angebote zu bewerben. Denn letzten Endes sind Jugendliche vor allem eines: Menschen – und mit denen kann man reden.

So findet man auch deutlich leichter Berührungspunkte, denn dieses künstliche Verstellen oder „Auf-einer-Wellenlänge-Schwimmen“ kommt ohnehin selten gut an. Jugendliche wissen, dass wir ihre Sprache nicht sprechen, und sie wissen vor allem, dass wir alle lange keine Jugendlichen mehr sind. Und das ist für sie auch nicht dramatisch, solange sie das Gefühl haben, von uns ernst genommen zu werden. Schafft man das, hat man den Schlüssel eigentlich schon gefunden.

Darüber hinaus sollte man natürlich die Digitalisierung nicht unterschätzen, denn die junge Generation ist so daran gewöhnt, dass alles mit wenigen Klicks oder direkt auf Knopfdruck funktioniert, dass sie nicht gerade um die halbe Welt reisen will, um sich zum Beispiel ein Sparkonto zu eröffnen.

Zukunftspläne von Finstep

Was ist deine Vision für Finstep in den nächsten 10 Jahren?

10 Jahre sind eine lange Zeit! Grundsätzlich ist unser wichtigstes Ziel: noch mehr tun, damit unsere Nutzer:innen ihre Lebensziele verwirklichen und finanzielle Selbstbestimmtheit erreichen können. Deshalb wollen wir beispielsweise, um eine etwas konkretere Idee zu nennen, noch mehr in Richtung Liquiditätsplanung anbieten.

Spannend finde ich zum Beispiel Konzepte wie einen Lebensphasensimulator, mit dem man finanzielle Planung auf Grundlage der Lebensphasen durchführen und simulieren kann, also beispielsweise: Was passiert, wenn ich noch X Jahre bei diesem Gehalt arbeite? Was, wenn ich 50 Euro zum Geburtstag bekomme? Worauf müsste ich wie lange verzichten, wenn ich Kredit Y aufnähme? Und noch einiges mehr! Und natürlich: weiterhin die optimale Balance zwischen Endkundenerlebnis und der Zusammenarbeit mit unseren Bankpartnern halten.

Sprechen Sie uns gerne an!

Dr. Madita Amelie Pesch / Autorin BankingHub

Dr. Madita Amelie Pesch

Senior Consultant Office Münster

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