Agilität verspricht Besserung durch verändertes Denken und Handeln bei den Mitarbeitern
Der Hauptgrund für dieses Interesse dürfte sein, dass Agilität Besserung an Problemstellen verspricht, die seit vielen Jahren die Führungskräfte beschäftigen: Lange Entscheidungsprozesse einhergehend mit entsprechender Entscheidungsdauer, starre Strukturen und eine von Angst geprägte Fehlerkultur eingebettet in hierarchisches Denken (der Vorstand ist die letzte fachliche Instanz) führen im Ergebnis zu schwacher Kundenorientierung und schlechter Time-to-Market.
In einer Welt, in der das berühmte „Window of Opportunity“ immer kleiner wird und die von Volatilität (zunehmende Häufigkeit, Geschwindigkeit und Reichweite von Veränderungen), Unsicherheit (abnehmende Möglichkeit, Ereignisse und Entwicklungen vorauszusagen), Komplexität (zunehmende Anzahl von relevanten Variablen) und Ambiguität (zunehmende Viel- oder Mehrdeutigkeit von Informationen) – kurz VUKA – geprägt ist, wird es immer wichtiger, flexibel, initiativ und mutig zu handeln.
Agilität setzt genau an diesen Schmerzpunkten an. Mit klarem Kundenfokus verspricht Agilität Besserung durch verändertes Denken und Handeln bei den Mitarbeitern (Eigenverantwortung, Selbstorganisation, progressive Fehlerkultur). Im Ergebnis führt dieses Verhalten zu besseren Produkten und einer besseren Time-to-Market (flachere Hierarchien, schnellere Entscheidungen, verbesserte Produktivität). Agilität geht also die Probleme an, an denen Großunternehmen in der Vergangenheit immer wieder scheiterten.
Dem folgend ist aktuell ein Trend zur Ausweitung agiler Prinzipien auf das ganze Unternehmen zu beobachten. Traditionelle Abteilungssilos werden aufgebrochen und eine neue Führungskultur basierend auf Vertrauen statt Kontrolle implementiert. Prozesse werden End-to-End nach Kundenbedarf ausgerichtet. Beginnend bei Unternehmen wie Spotify, Zalando und Bosch weitet sich diese Entwicklung zunehmend auch auf den Finanzdienstleistungssektor aus. Spätestens seit die ING sich auch in Deutschland agil aufgestellt hat, rückt die agile Transformation auf die Watchlist der CEOs von Banken und Versicherungen.
Agil oder agiler zu werden, ist für viele Unternehmen eine große Herausforderung. Auf dem Weg zur agilen Organisation gilt es, u. a. folgende zentrale Fragen zu beantworten.
- Welche Bedeutung/welchen Stellenwert hat Agilität zukünftig für das Unternehmen?
- Wie schafft man es, dass Agilität wirklich gelebt wird?
- Wie bereitet man die Mitarbeiter auf ihre neue Rolle in der agilen Organisation vor?
- Wie transformiert man die einzelnen Bereiche des Unternehmens, sodass diese als agile Organisation optimal zusammenwirken?
- Wie viel Agilität ist für das Unternehmen optimal?
Jedes Unternehmen muss diese und weitere wichtige Fragen individuell beantworten. Erkenntnisse aus der Projektpraxis (diese finden Sie demnächst im Artikel „Agile Transformation – Mode oder Pflicht?“ beschrieben) lassen gleichwohl Antworten auf diese Fragen zu. Diese Erkenntnisse haben wir in zentralen zeb-Beliefs zusammengefasst.
Agilität ist eine Frage des Überlebens
Unternehmen befinden sich zurzeit in einer sich schnell verändernden Unternehmensumwelt, die durch immer kürzer werdende Innovationszyklen und damit ein zunehmend kürzer werdendes Window of Opportunity gekennzeichnet ist. Die Reduzierung der Time-to-Market wird somit zu einer überlebenswichtigen Herausforderung für Unternehmen. In der Finanzbranche wird die Situation durch eine rasant steigende Anzahl kleiner, schneller Start-ups zusätzlich verschärft. Die sog. FinTechs bringen in kurzer Zeit hoch innovative Produkte auf den Markt. Agile Transformation sollte für traditionelle Banken und Versicherungen keine Modeerscheinung sein – sondern eher eine Entwicklung, die das langfristige Überleben ermöglicht (siehe auch: Agile Transformation – Modeerscheinung oder Pflichtprogramm?).
Denn wenn sich die Wettbewerber schneller und flexibler auf den Kunden ausrichten können und folglich bessere Produkte auf den Markt bringen, sind Unternehmen mit längerer Time-to-Market langfristig gesehen nicht mehr wettbewerbsfähig. Zusätzlich schrumpf der Vorteil des exklusiven Zugangs zum Kunden zunehmend durch den rasant waschsenden Anteil des digitalen Kanals.
Agilität muss vom Management getragen werden
Ohne klares Verständnis und Commitment im Management ist die agile Transformation wenig erfolgversprechend. Agilität bedeutet im wesentlichen Eigenverantwortung, d. h., die Rolle des Managements verändert sich grundlegend. Führungskräfte haben jedoch oftmals keine praktische Erfahrung mit Agilität. Agilität wird grundsätzlich begrüßt, der eigene Rollenwandel des Managements wird jedoch gemieden bzw. das Erfordernis nicht erkannt.
Wenn das Management selbst nicht bereit ist, die neue Rolle auszufüllen, fehlt ein zentraler Baustein für die agile Organisation: das Vorleben. Auch in agilen Organisationen gibt es Hierarchien, diese sind aber mit einer lateralen Führungskultur „verbunden“ (Führen durch Coachen, Führen durch „Enablen“, Führen durch Fragen) und im Wesentlichen auf Vertrauen basiert. Damit geht einher, dass agiles Denken nicht befohlen werden kann – das Management muss die Mitarbeiter abholen, mitnehmen und überzeugen (siehe auch: Agile Führung – Kontrollieren Sie noch oder vertrauen Sie schon?).
Agilität erfordert fundamentalen Wandel des Mindset
Sobald das Verständnis der Bedeutung von Agilität vorhanden sowie die Unterstützung durch den Vorstand gesichert sind, ist das Mitnehmen der Mitarbeiter auf den Weg zu einem agilen Unternehmen die wohl größte Herausforderung. Neben dem Verstehen, wie die Organisation zukünftig aufgestellt sein und arbeiten soll, sind vor allem zwei Dinge unabdingbar:
- Wollen
Mitarbeiter müssen die nötigen Veränderungen gedanklich in ihrem Mindset akzeptieren und vor allem in konkrete Handlungen umsetzen. Diese Veränderungen auf Mitarbeiterebene bedürfen eines hohen Aufwands und erfordern viel Fingerspitzengefühl. - Können
Mindestens genauso wichtig ist es, dass die Mitarbeiter in der Lage sind, ihre neuen Rollen in agilen Teams wahrzunehmen und sich in der neuen Organisation zurechtzufinden. Dazu müssen sie teils umfangreich weitergebildet und befähigt werden, um die nötigen Kompetenzen zu erwerben. Das tägliche Tun ist dann Schlüssel zum Erfolg.
Gleichwohl können und wollen am Ende nicht alle Mitarbeiter Agilität im Unternehmen leben. Daraus folgt, dass die agile Transformation auch immer mit einem Wechsel in der Belegschaft einhergeht. Während bestimmte Typen von Mitarbeitern das Unternehmen verlassen, werden andere durch die agile Transformation angezogen bzw. müssen aktiv angeworben werden. Diese Transformation der Belegschaft ist ein wesentlicher Baustein für das Gelingen der agilen Transformation.
Agile Transformation ist komplex und aufwendig
Agile Arbeitsmethoden und das korrespondierende Mindset unterscheiden sich in großen Teilen davon, wie traditionelle Institute über Jahrzehnte hinweg gearbeitet haben. In dieser Zeit wurde die Belegschaft hierarchisch sozialisiert. Klare Entscheidungswege und die Einteilung in starre Abteilungssilos haben die Arbeitswelt dominiert.
Damit diese alten Zöpfe abgeschnitten werden können und die Agilität Einzug halten kann, ist ein unternehmensweiter Wandel notwendig: Teams werden zukünftig interdisziplinär zusammengestellt und fokussieren sich auf die Maximierung des Kundennutzens. Die Mitarbeiter arbeiten selbstorganisiert und werden zum „Unternehmer“ innerhalb der Organisation. Die Manager agieren als Coaches und wenden gemeinsam mit den Teams neue Management- und Arbeitsmethoden wie Objectives and Key Results (OKR) und Kanban an.
All diese Stellschrauben müssen fein aufeinander abgestimmt sein, damit die Transformation zu einem agilen Unternehmen gelingen kann. Da es sich hierbei um grundlegende Veränderungen in nahezu allen Bereichen des Unternehmens handelt, muss die Transformation über einen langen Zeitraum geplant und aktiv vom Management auf allen Ebenen begleitet und gefördert werden.
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Agilität ist individuell
Wie kann auf Basis der vorgenannten Erkenntnisse ein Konzept für die Einführung von agilem Denken und Arbeiten aussehen? Tatsächlich findet sich keine universell funktionierende Blaupause. Vielmehr geht es darum, agiles Denken und agile Werte in eine individuelle Transformation zu übersetzen, um agile Arbeitsweisen und Organisationsformen zu implementieren.
Den Aufsatzpunkt bildet eine Einschätzung der aktuellen Situation: Ist das Denken und Arbeiten im Wesentlichen hierarchisch geprägt mit festen Entscheidungswegen und gering ausgeprägter Flexibilität? Oder ist man schon mit flachen Hierarchien aufgestellt, und wird bereits überwiegend in gemischten Teams mit dezentralen Entscheidungsbefugnissen gearbeitet? Auch spielt das Zielbild sowie das grundlegende Geschäfts- sowie Betriebsmodell eine entscheidende Rolle. Eine durchgängig digitalisierte Direktbank sollte sich agil anders aufstellen als eine Regionalbank, deren Filialorganisation mittel- bis langfristig substanzieller Bestandteil der Organisation sein wird.
Eine wesentliche Rolle kann auch der betriebswirtschaftliche Lehrsatz „verändere dein Unternehmen, wenn es dir gut geht“ spielen: Ein wirtschaftlich gut aufgestelltes Unternehmen kann und sollte es sich leisten, die Veränderung als eine weitere Stärkung des Unternehmens anzugehen, und wird dabei vermutlich schnell auf breite Zustimmung im Unternehmen stoßen – schließlich hat man ja auch bisher das meiste richtig gemacht. Gleichwohl kann eine starke Position auch dazu führen, dass man keinen Grund sieht, etwas zu ändern. Dem ist zu entgegnen, dass ein Beibehalten und Verharren früher oder später dazu führt, im Wettbewerb an Boden zu verlieren.
Auf der anderen Seite ist eine Krise oft der Grund, Veränderungen konsequent voranzutreiben. Ein sich in schwerer See befindliches Institut wird eher um Akzeptanz kämpfen müssen, da eine Veränderung der eigenen Rolle und somit Machtposition häufig mit tiefen Einschnitten einhergeht, die vieles umwälzen und für jeden Mitarbeiter spürbar werden. Daher ist es in solch einer schwierigen Situation besonders wichtig, allen betroffenen Mitarbeitern den Sinn und Zweck der benötigten Veränderung zu vermitteln. In einem nächsten Schritt sollte man unter Einbindung der Mitarbeiterschaft zu einem gemeinsamen Vorgehen gelangen.
Egal, wo man steht: Die Implementierung der Agilität basiert auf einem von allen Mitarbeitern im Unternehmen getragenen Verständnis, welches sich in der Implementierung selbst entwickelter Prozesse und Vorgehensweisen widerspiegelt. Agilität gibt es nicht von der Stange. Die Individualität gehört zum gemeinsamen Wertekanon und erzeugt die erforderliche Akzeptanz. Getragen wird diese Umsetzung vom gemeinschaftlichen Verständnis aller (!) Mitarbeiter, wieso man diesen Kulturwandel will und braucht. Es geht darum, das Unternehmen für eine sich immer schneller verändernde Umwelt wetterfest zu machen.
Wie geht es weiter?
Die Einführung von agilen Prinzipien in einer Organisation ist eine tief greifende, für jedes Unternehmen individuell zu treffende Entscheidung. Die Klärung der Relevanz für das eigene Unternehmen und der Abbau von Berührungsängsten können z. B. durch Learning Journeys unterstützt werden, bei denen Führungskräfte und Mitarbeiter den Umgang mit agilen Prinzipien kennenlernen.
Zusätzlich können Benchmarking-Tools wie der „digital pulse check“ oder der „Agile Readiness Check-up“ von zeb dabei helfen, den aktuellen Grad der Agilität innerhalb des Unternehmens zu bestimmen und mit den Wettbewerbern zu vergleichen.
In den folgenden Wochen werden wir an dieser Stelle weitere Einblicke geben, wie die in diesem Artikel beschriebenen Veränderungen angestoßen und umgesetzt werden können. Wir erläutern Einzelheiten zu den zeb-Beliefs und zeigen beispielhaft auf, wie eine agile Transformation erfolgreich gestaltet werden kann.