Ist die Sonderabschreibung ein Investitionsimpuls für die E-Mobilität?
Das Bundeskabinett hat einen Gesetzentwurf beschlossen, der gezielt Investitionsanreize setzen soll. Ein zentrales Element ist die steuerliche Förderung des gewerblichen Umstiegs auf Elektromobilität.
Im Rahmen des sogenannten „Investitionsboosters“ ist vorgesehen, dass rein elektrisch betriebene Fahrzeuge, die dem Anlagevermögen eines Unternehmens zugeordnet werden und im Zeitraum vom 1. Juli 2025 bis zum 31. Dezember 2027 angeschafft werden, von einer neuen Sonderabschreibung profitieren können. Diese Sonder-AfA soll es Unternehmen ermöglichen, einen erheblichen Teil der Anschaffungskosten bereits im ersten Jahr steuerlich geltend zu machen und damit die Investitionsbereitschaft in emissionsfreie Mobilität deutlich erhöhen.[1]
Konkret sieht der Gesetzesentwurf vor, dass Unternehmen die Anschaffungskosten für ein betrieblich genutztes E-Fahrzeug wie folgt steuerlich abschreiben können[2]:
- 75 % im Jahr der Anschaffung
- 10 % im Folgejahr
- je 5 % im dritten und vierten Jahr
- 3 % im fünften und 2 % im sechsten Jahr
Das Ziel der Regierung: mehr Netto-Investitionen durch Steuervorzüge, insbesondere bei gewerblichen Kunden. Die Maßnahme kommt in einem Umfeld, in dem die bisherigen Förderinstrumente (z. B. Umweltbonus) bereits ausgelaufen sind.[3]
BankingHub-Newsletter
Analysen, Artikel sowie Interviews rund um Trends und Innovationen im Banking alle 2-3 Wochen direkt in Ihr Postfach
„(erforderlich)“ zeigt erforderliche Felder an
Marktverzerrung, Risikoexposition und Bilanzwirkungen
Für Leasinggesellschaften und Captives birgt die geplante Sonderabschreibung jedoch nicht nur Chancen, sondern auch Herausforderungen – sowohl struktureller als auch bilanzieller Natur:
I) Wie wirkt sich die Abschreibungsberechtigung aus?
Die Sonderabschreibung ist an das wirtschaftliche Eigentum des Fahrzeugs gekoppelt. Das bedeutet für klassische Leasingverträge:
- Leasingnehmer:innen profitieren steuerlich nicht direkt, da das Fahrzeug nicht in ihrer Bilanz aktiviert wird.
- Leasinggeber (also die Gesellschaften selbst) hingegen können die Sonder-AfA ansetzen, sofern das Fahrzeug beim Leasinggeber im Anlagevermögen der Bilanz aktiviert wird.[4]
Das schafft zunächst einen intertemporalen Steuervorteil für die Leasinggesellschaft, birgt aber die Herausforderung, diesen in Kundenkonditionen zu übersetzen, um gegenüber Kauf, Mietkauf wettbewerbsfähig zu bleiben. Inwieweit sich der Vorteil in Kundenkonditionen niederschlagen kann, verdeutlicht folgendes Rechenbeispiel.
Rechenbeispiel:
Der im Jahr 2025 am häufigsten zugelassene Pkw mit Elektroantrieb in Deutschland ist der VW ID.7.[5] In mittlerer Ausstattung kostet dieser aktuell ca. 59.000 EUR brutto.[6] Das entspricht aktivierungspflichtigen Anschaffungskosten von 49.580 EUR netto. Wenn eine Leasinggesellschaft Anfang des Jahres diesen VW ID.7 anschafft, ergeben sich bei einer durchschnittlichen Leasinglaufzeit von 36 Monaten[7] folgende Sonder-AfA:
- Jahr: 75 % von 49.580 EUR = 37.185 EUR
- Jahr: 10 % von 49.580 EUR = 4.958 EUR
- Jahr: 5 % von 49.580 EUR = 2.479 EUR
Bei einer durchschnittlichen Unternehmenssteuer von durchschnittlich 30%[8] (Hinweis: Die ebenfalls in dem Gesetzesentwurf beschlossene stufenweise Senkung der Körperschaftssteuer ab dem Jahr 2028 wurde im Rechenbeispiel nicht berücksichtigt) ergeben sich folgende Steuersparnisse:
- Jahr: 30 % von 37.185 EUR = 11.155,50 EUR
- Jahr: 30 % von 4.958 EUR = 1.487,40 EUR
- Jahr: 30 % von 2.479 EUR = 743,70 EUR
In Summe ergibt sich also über die drei Jahre eine Steuerersparnis von 13.386,60 EUR. Der Buchwert am Ende der Laufzeit beträgt 4.958 EUR.
Nach bisheriger Regelung beträgt die reguläre Abschreibungsdauer für Pkw – unabhängig von der Antriebsart – sechs Jahre.[9] Daraus ergibt sich eine lineare Abschreibung von 16,67 % pro Jahr. Im obigen Beispiel lassen sich somit jährlich 8.264,99 EUR abschreiben, was einer Steuerersparnis von 2.479,50 EUR pro Jahr entspricht. Über die Leasinglaufzeit von 36 Monaten ergeben sich somit Steuerersparnisse von insgesamt 7.438,49 Euro. Der Buchwert beträgt nach drei Jahren 24.785,04 EUR.
Die Sonder-AfA führt somit über die Laufzeit von 36 Monaten zu einem zusätzlichen Liquiditätseffekt (steuerlicher Vorteil oder Nachteil) je nach Jahr in Höhe von:
- Jahr: 11.155,50 EUR – 2.479,50 EUR = 8.676,00 EUR
- Jahr: 1.487,40 EUR – 2.479,50 EUR = -992,10 EUR
- Jahr: 743,70 – 2.479,50 EUR = -1.735,80 EUR
Wird das Fahrzeug anschließend verkauft, sind Restwertrisiken sowie der sogenannte steuerliche Bumerangeffekt zu berücksichtigen. Ein vergleichbares Modell (z. B. der VW ID.5 Pro Performance E2) hat laut ADAC im Zeitraum von Juni 2022 bis Juni 2025 bei 30.000 Kilometern Laufleistung pro Jahr rund 51 % an Wert verloren[10] – von 48.970 EUR auf 23.800 EUR. Übertragen auf das obige Beispiel ergibt sich für den ID.7 nach drei Jahren ein geschätzter Marktwert von 24.294,20 EUR.
Damit ergeben sich folgende stille Reserven:
- Bei Sonder-AfA: 24.294,20 EUR – 4.958 EUR = 19.336,20 EUR
- Bei linearer AfA: 24.294,20 EUR – 24.785 EUR = -490,84 EUR
Diese Beträge sind bei Verkauf als außerordentlicher Ertrag bzw. Aufwand zu versteuern. Bei 30 %[11] Steuersatz ergibt sich daraus ein steuerlicher Bumerangeffekt:
- Sonder-AfA: 30 % von 19.336,20 EUR = 800,86 EUR
- Lineare AfA: 30 % von -490,84 EUR = -147,25 EUR
Setzt man die Liquiditätseffekte über die gesamte Laufzeit in Beziehung zueinander (Hinweis: Es wurde keine intertemporale Diskontierung berücksichtigt), ergeben sich für die Gesamtperiode folgende Effekte:
- Sonder-AfA: 13.386,60 EUR – 585,74 EUR = 7.858,74 EUR
- Lineare AfA: 7.438,49 EUR + 147,25 EUR = 7.858,74 EUR
Wie erwartet wird anhand der Modellrechnung ersichtlich, dass sich kein dauerhafter steuerlicher Vorteil durch die geplante Sonderabschreibung für betrieblich genutzte Elektrofahrzeuge ergibt. Zwar erlaubt die Sonder-AfA eine vorzeitige steuerliche Entlastung in den ersten Jahren – diese wird jedoch durch einen entsprechend höheren Buchgewinn bei Verkauf in späteren Jahren kompensiert. Der sogenannte Steuer-Bumerangeffekt neutralisiert den anfänglichen Vorteil vollständig.
Die steuerliche Gesamtbelastung bleibt über den Betrachtungszeitraum identisch zur linearen Abschreibung.
Relevant ist einzig die zeitliche Verschiebung der Steuerzahlung, d. h. die Sonder-AfA bringt eine Liquiditätsentlastung in der Frühphase.
Diese temporär freiwerdende Liquidität kann von kapitalmarktorientierten Unternehmen oder Leasinggesellschaften gezielt genutzt werden, z. B. zur:
- kurzfristigen Geldanlage (Zinsvorteil)
- Reduktion von Refinanzierungskosten
- Optimierung der internen Cashflow-Planung
Beispielsweise beträgt die im ersten Jahr durch die Sonder-AfA zusätzlich freigesetzte Steuerersparnis 8.676 EUR (11.115,50 EUR gegenüber 2.439,50 EUR bei linearer AfA). Wird dieser Betrag anstelle einer Fremdfinanzierung zur Refinanzierung genutzt, ergeben sich bei einer verbleibenden Laufzeit von 24 Monaten und einem Refinanzierungszinssatz von 4 % p. a. Zinsvorteile in Höhe von 694,08 EUR (347,04 EUR pro Jahr). Ab dem zweiten Jahr ergibt sich für das letzte Jahr der Laufzeit durch die höhere lineare Abschreibung (2.479,50 EUR gegenüber 1.487,40 EUR) ein Zinsnachteil von
-39,68 EUR.
Über die gesamte Laufzeit von 36 Monaten lassen sich also Zinsvorteile in Höhe von 654,40 EUR erzielen.
II) Führen die Sonder-AfA zu wachsenden Restwertrisiken?
Darüber hinaus wird die neue Sonder-AfA voraussichtlich zu einem starken Anstieg der gewerblichen E-Fahrzeugzulassungen ab Mitte 2025 führen. Die Folge:
- In 3–5 Jahren drängen große Mengen gebrauchter E-Fahrzeuge auf den Markt.
- Bereits heute zeigen sich Volatilitäten im Restwert von Stromern – insbesondere bei Fahrzeugen mit geringer technischer Differenzierung oder veralteter Akkutechnik.[12]
Für Leasinggesellschaften, die das Restwertrisiko tragen, steigt damit die Unsicherheit in der Kalkulation ihrer Leasingraten. Dadurch ergibt sich ein erhöhter Bedarf an Risikopuffern und Remarketing-Strategien.
III) Welche Auswirkungen hat die Sonderabschreibung auf Neuwagenpreise und Marktverzerrung?
Ein weiterer Effekt der Sonderabschreibung ist die potenzielle Stabilisierung der Neuwagenpreise: Die höhere steuerliche Attraktivität von Neufahrzeugen dürfte den Rabattdruck auf OEM-Seite verringern. Im Umkehrschluss bedeutet das: weniger Preisnachlässe, höhere Einstiegskosten – aber für die Käufer:innen entsteht durch die AfA eine rechnerisch geringere Nettobelastung.
Für Leasinggesellschaften ergibt sich daraus eine kritische Konsequenz:
- Höhere Neuwagenpreise erhöhen die Initialinvestitionen.
- Gleichzeitig bleibt der künftige Marktwert (Restwert) davon weitgehend unberührt – da sich dieser nach realen Gebrauchtwagenpreisen richtet, die nicht durch steuerliche Effekte beeinflusst werden.
- Die Folge: Die Differenz zwischen Neupreis und Restwert vergrößert sich, wodurch das Restwertrisiko signifikant ansteigt.
IV) Gibt es eine Verlagerung der Nachfrage zwischen Leasing, Kauf, Finanzierung oder Mietkauf?
Mit der Aussicht auf eine 75-%-Sonderabschreibung könnten viele Unternehmen ihre Finanzierungspräferenzen neu bewerten. Denn: Nur wer das Fahrzeug selbst bilanziert – also beim Direktkauf, über eine klassische Finanzierung oder einen Mietkauf – kann den steuerlichen Effekt unmittelbar nutzen.
Für Leasinggesellschaften bedeutet das:
- Anbieter mit breiter Produktpalette (z. B. Finanzierung, Mietkauf und Leasing) könnten lediglich eine interne Verlagerung der Nachfrage erleben – etwa weg vom klassischen Leasing hin zum Mietkauf oder einer klassischen Autofinanzierung.
- Für Gesellschaften, die ausschließlich Leasing anbieten, droht hingegen ein echter Geschäftsrückgang, sofern sie keine ergänzenden Modelle integrieren.
- Besonders betroffen sind Captives oder Leasinggesellschaften ohne flexible Produktarchitektur, die bislang auf ein reines Leasingmodell fokussiert waren.
Der Gesetzesentwurf wird somit zum strategischen Stresstest für das Produktportfolio vieler Marktteilnehmer. Wer keine Alternativen zum Leasing bietet, riskiert mittelfristig Marktanteilsverluste, nicht weil die Produkte schlechter würden, sondern weil steuerliche Mechanik und Kundennutzen nicht mehr passfähig sind.
Strategische Neupositionierung der Leasinggesellschaften
Leasinganbieter stehen vor der Herausforderung, ihr Geschäftsmodell strategisch anzupassen, um auch im neuen steuerlichen Umfeld relevant zu bleiben. Drei Stoßrichtungen sind zentral:
I) Sollten steuerliche Vorteile systematisch in Leasingkonditionen eingepreist werden?
Leasinggesellschaften sollten die eigene AfA-Nutzung nicht als Margenhebel, sondern als Kalkulationsvorteil zur Angebotsschärfung verstehen. Denkbar sind:
- z. B. reduzierte Leasingraten infolge der reduzierten Refinanzierungskosten
- z. B. Sonderprämien oder Upfront-Gutschriften zur Stärkung der Abschlussquote
- Verkürzte Vertragslaufzeiten, um Unsicherheiten im Restwert zu reduzieren und technologische Innovationszyklen besser abzubilden
Für die Kund:innen kann Leasing in Vergleich zu anderen Produkten dennoch attraktiv sein, wenn der Leasinggeber den eigenen Vorteil über Konditionen weiterreicht.
II) Sind Mietkauf oder Finanzierung als ergänzende Geschäftsmodelle sinnvoll?
Leasinggesellschaften sollten neben klassischen Leasingprodukten auch Mietkauf- und Finanzierungsmodelle gezielt entwickeln und positionieren.
Beide Modelle, Mietkauf und klassische Objektfinanzierung, ermöglichen den Kund:innen:
- Aktivierung des Fahrzeugs in der eigenen Bilanz und damit volle Abschreibung inklusive der Sonder-AfA
- Planbare Liquiditätsbelastung über regelmäßige Ratenzahlungen
- Einfache Eigentumsübernahme (bei Mietkauf) bzw. klare Eigentumsverhältnisse (bei Finanzierung)
Für Leasinggesellschaften erschließen sich so zusätzliche Erlösquellen und Kundenzugänge, auch außerhalb des klassischen Leasings.
III) Ist eine Professionalisierung des Restwert- und Remarketing-Managements erforderlich?
Ein strukturiertes Restwertrisikomanagement ist künftig unverzichtbar:
- Konservative Restwertansätze in der Angebotskalkulation
- Diversifikation der Vermarktungskanäle (z. B. Export, Zweitvermarktung, Fahrzeugabos)
- Digitale Bewertungsmodelle und Stresstests zur Prognose von Wiederverkaufswerten
Zudem kann die Verlängerung der Fahrzeugnutzung (Second-Life-Leasing) helfen, Wertverluste über längere Zeiträume zu strecken und höhere Erträge zu erzielen.
Als zusätzliches vertriebliches Argument kann die Übernahme des Restwertrisikos durch den Leasinggeber herangezogen werden und damit sowohl die Unsicherheit als auch die Chance auf Wertentwicklung. Für viele Kunden ist genau das ein entscheidender Vorteil gegenüber Finanzierung oder Mietkauf, da sie keine Risiken aus Wiederverkaufswerten tragen müssen.
Ist die Sonder-AfA ein Weckruf für eine strategische Neuausrichtung?
Die geplante Sonderabschreibung stellt eine temporäre Marktveränderung dar – mit unmittelbaren Folgen für Produktportfolios, Kundenerwartungen und Ertragsmechaniken. Für Leasinggesellschaften bedeutet sie nicht nur Unsicherheit, sondern eröffnet zugleich neue Gestaltungsspielräume.
Wer die steuerlichen Effekte klug in seine Produktlogik integriert, das eigene Angebot um Mietkauf- und Finanzierungsmodelle ergänzt und das Restwertrisikomanagement konsequent auf E-Mobilität ausrichtet, kann sich nicht nur Marktanteile sichern, sondern auch neue Kundensegmente erschließen.
Gleichzeitig wird klar: Neben der Finanzierungskomponente gewinnt auch das Serviceangebot strategisch an Bedeutung. Unternehmenskunden, die künftig eher über Finanzierung oder Mietkauf bilanzieren, erwarten weiterhin die vertrauten Servicebausteine – von Wartung und Reparatur bis hin zu Reifen-, Versicherungs- oder Telematikdiensten.
Gerade für Captives und Leasinggesellschaften, deren Geschäftsmodell bislang stark auf den Finanzertrag und Verwertungserlös ausgerichtet war, stellt sich damit die Frage nach der Wirtschaftlichkeit der Servicekomponenten. Viele dieser Services sind isoliert betrachtet nicht kostendeckend oder nur im Paket („Bundling“) tragfähig. In einem Markt mit wachsendem Margendruck kann dies eine Neukalkulation oder strategische Repositionierung des Serviceangebots erfordern.
Die Sonder-AfA wirkt nicht isoliert, sie beeinflusst das Zusammenspiel von Finanzierung, Produktlogik und Kundennutzen. Wer sich frühzeitig entlang dieser Hebel neu ausrichtet, kann aus der steuerlichen Regelung einen strukturellen Wettbewerbsvorteil machen, nicht nur durch Steuerersparnis, sondern auch durch intelligente Portfoliosteuerung.