Ausgangssituation
Versicherer sehen sich mit Herausforderungen konfrontiert
Versicherer sehen sich durch die aktuelle Dynamik in ihrem Marktumfeld mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert. Ein wesentlicher Treiber dieser Entwicklung ist die zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft, die eine konsequente Kundenzentrierung und eine Optimierung bestehender Prozesse erfordert. Für Versicherer bedeutet dies, neue Produkte und Kundenschnittstellen entwickeln zu müssen und gleichzeitig die Digitalisierung ihrer Prozesse bei steigender Qualität und Effizienz voranzutreiben.
Neben der Digitalisierung muss sich die Versicherungsbranche auch mit der steigenden Anzahl regulatorischer Vorgaben sowie der sich verschärfenden Geldpolitik der EZB und der daraus resultierenden Niedrigzinsphase arrangieren. In der Konsequenz müssen sich Versicherer daher immer häufiger die Fragen gefallen lassen, wie lange ihr Geschäftsmodell im Spannungsfeld zwischen Digitalisierung und Regulatorik noch tragbar sein wird und ob sie in der Lage sind, auf die stattfindenden Veränderungen mit innovativen und differenzierenden Produkten und Services zu reagieren.
Durch eine veraltete IT wird Digitalisierung behindert
Um sich in der herausfordernden Marktlage behaupten zu können, müssen Versicherungsunternehmen unter anderem neue Anforderungen mit überschaubarem Aufwand in ihrer IT abbilden können. Die IT muss somit in der Lage sein, Geschäftsprozesse und Kundenkanäle schnell und flexibel an die Anforderungen der Kunden, der Aufsicht und des Marktes anzupassen. Nur auf diesem Wege können Innovationen und neue Technologien adaptiert und den Anfordernden zugänglich gemacht werden.
Auch wenn viele Versicherungsunternehmen aktuell gewillt sind, sich den aufkommenden Herausforderungen zu stellen, scheitert ein Großteil an einer oftmals veralteten, meist komplexen und heterogenen IT-Landschaft. So wurden in der Vergangenheit häufig dringend notwendige Investitionen hinausgezögert, weshalb IT-Systeme aus den 1970er-Jahren keine Seltenheit darstellen.
Anpassungen an diesen Systemen können zumeist nur noch von wenigen Experten durchgeführt werden und sind daher mit hohen Zeit- und Kostenaufwänden verbunden.
Statt ihre IT-Systeme flexibel und schnell anzupassen, sind Versicherer daher auf langwierige und risikobehaftete Projekte angewiesen. Unter diesen Voraussetzungen müssen sich Versicherungsunternehmen fragen, wie sie der Digitalisierung mit ihren bestehenden IT-Systemen gerecht werden können. Wie kann die Komplexität einer gewachsenen IT-Landschaft reduziert und gleichzeitig die Entwicklung neuer und innovativer Produkte und Prozesse vorangetrieben werden?
Neue Systeme sind mit hohen Kosten und Aufwänden verbunden
Zur technischen Erneuerung ihrer IT-Landschaft haben Versicherungsunternehmen grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Einerseits können sie anstreben, die Landschaft auf der bestehenden technischen Basis zu modernisieren und zu erweitern. Andererseits können sie versuchen, auf eine neue technische Plattform zu wechseln. Beide Ansätze sind zwar äußerst konsequent, in der Praxis jedoch mit mehrjährigen Projekten und Investitionen in mehrstelliger Millionenhöhe verbunden. Kurz- bis mittelfristig stellt somit keine der Vorgehensweisen eine adäquate Lösung dar.
Damit Versicherer dennoch kurzfristig auf die gegenwärtige Situation reagieren können, müssen diese auf einen Lösungsansatz zurückgreifen, der die schnelle und flexible Entwicklung von Innovationen bei gleichzeitiger Beibehaltung der bestehenden Systeme ermöglicht. Den erfolgversprechendsten Ansatz stellt in diesem Kontext die bimodale IT dar, die sich bereits in unterschiedlichsten Branchen bewähren konnte.
Grundkonzept einer bimodalen IT
Schnelligkeit und Flexibilität durch eine bimodale IT
Die bimodale IT stellt ein Lösungskonzept dar, mit dem neue IT-Anforderungen schnell und flexibel umgesetzt werden können, ohne dass die vorhandenen Altsysteme kurzfristig abgelöst werden müssen. Ermöglicht wird dieser Spagat durch die Einführung einer intelligenten Integrationsschicht und einer damit herbeizuführenden Separation von bestehenden Systemen und neu zu entwickelnden IT-Innovationen (siehe Abbildung 1).
Die technische Grundlage einer bimodalen IT stellt der Aufbau einer serviceorientierten Architektur (SOA) dar. So sieht dieses Konzept vor, die Funktionalitäten der bestehenden Systeme über Services verfügbar zu machen, wobei Neuentwicklungen sich dieser Services bedienen können. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass Neuentwicklungen die Services über die Integrationsschicht aufrufen, wodurch wartungsintensiven Punkt-zu-Punkt-Verbindungen vorgebeugt wird.
Neben der technischen Grundlage (SOA) bezieht das Konzept der bimodalen IT noch kulturelle und organisatorische Aspekte explizit mit in die Betrachtung ein. So kann die Weiterentwicklung und Wartung der bestehenden Systeme zwar wie gewohnt betrieben werden, die Entwicklung neuer und innovativer Produkte bedarf jedoch agiler Strukturen und Vorgehensweisen, mit denen die Ausrichtung an den Kundenbedürfnissen zielgerichteter erfolgen kann als mit einem klassischen Wasserfall-Vorgehen.
Effizienter und sicherer Betrieb der bestehenden Systeme
Trotz seiner oftmals angesprochenen Schwächen besitzt das klassische Wasserfall-Modell weiterhin seine Berechtigung. So eignet sich das Modell einerseits in Fällen, in denen klare Anforderungen existieren und Kosten und Zeit gut abgeschätzt werden können. Andererseits ist durch die klare Abgrenzung der einzelnen Phasen eine transparente Planung und Kontrolle möglich. Diese genannten Voraussetzungen sind insbesondere im Betrieb der bestehenden Systeme erforderlich.
An die bestehenden Systeme werden hohe Anforderungen hinsichtlich Sicherheit und Effizienz gestellt. Aus diesem Grund eignen sich gut planbare Entwicklungsphasen wie beim Wasserfall-Modell vielfach besser als agile Methoden, deren Stärke in ihrem explorativen Charakter zu sehen ist (siehe Abbildung 2). Aus diesem Grund zielt die bimodale IT im Umfeld der bestehenden Systeme nicht zwangsläufig auf eine Umstellung der Entwicklungsmethodik auf agile Vorgehen ab, sondern lässt diese Entscheidung bewusst offen.
Einen Aufwand, den Versicherer jedoch zu leisten haben, um eine bimodale IT im Unternehmen umzusetzen, ist der Zugriff auf grundlegende Funktionalitäten der bestehenden Systeme über Schnittstellen bzw. Services. Auf diese Services werden im laufenden Geschäftsbetrieb die neuen IT-Anwendungen zugreifen, um die bereits bestehenden Funktionalitäten der Kernsysteme zu nutzen. Durch die Nutzung der existierenden Funktionen kann auch sichergestellt werden, dass die Konsistenz der Daten gewährleistet wird.
Intelligente Übersetzung zwischen zwei Welten
Die Übersetzung zwischen „neuer“ und „alter“ Welt wird durch eine intelligente Integrationsschicht gesteuert. Die Integrationsschicht hat dabei unter anderem zur Aufgabe, die bereitgestellten Services der bestehenden Systeme zu integrieren und somit den neuen IT-Anwendungen zentrale Funktionalitäten über definierte Schnittstellen zur Verfügung zu stellen. Zur Erreichung des Ziels wird ein Enterprise Service Bus (ESB) eingesetzt, bei dem es sich um den zentralen Bestandteil der Integrationsschicht handelt.
Neben dem ESB können in der Integrationsschicht auch noch Komponenten zur Datenhaltung und zur Hinterlegung und Ausführung von Geschäftslogik optional angesiedelt werden. Durch die Nutzung der Datenhaltung innerhalb der Integrationsschicht kann beispielsweise trotz der Verwendung einer nur einmal täglich laufenden Batchverarbeitung dem Kunden eine Echtzeitverarbeitung simuliert werden, indem die benötigten Daten bis zum Batchlauf in einer Schwebedatenbank vorgehalten werden.
Innovation an der Schnittstelle zu Kunden und Partnern
Um der Digitalisierung und den daraus resultierenden Anforderungen von Kunden und Partnern gerecht zu werden, muss sich zukünftig die Entwicklung von neuen IT-Komponenten sehr stark an den Bedürfnissen der Nutzer ausrichten. Um dies sicherzustellen, sollten unter anderem agile Entwicklungsmethoden eingesetzt werden. Durch deren iterativen Charakter können Produkte innerhalb kurzer Zeitzyklen entwickelt, am Markt validiert und schließlich auf Basis des Kundenfeedbacks angepasst werden.
Bimodale IT im Betrieb
Eine bimodale IT als dauerhafte Transformationsarchitektur
Versicherer sollten sich vom klassischen Bild einer Zielarchitektur lösen. Vielmehr bedarf es in Zukunft einer dauerhaften Transformationsarchitektur, mit der Veränderungen begegnet werden kann. Die bimodale IT stellt genau ein solches Konzept dar, das die Rahmenbedingungen für kontinuierliche Transformation schafft.
Denn auch wenn die bimodale IT den Fortbetrieb bestehender Systeme bei gleichzeitiger Befähigung, neue Anforderungen schnell und flexibel umzusetzen, ermöglicht, ist dies keine Einladung, die bestehenden Systeme ohne jegliche Einschränkung langfristig zu betreiben.Kann der Druck zur Ablösung der Systeme zwar etwas gemindert werden, gilt es auch mit einer bimodalen IT im Unternehmen, die geschäftskritischen Systeme aktuell zu halten.
Die Ablösung bestehender Systeme wird dabei durch eine bimodale IT stark vereinfacht. So wird durch die Nutzung der Integrationsschicht und der damit verbundenen Auflösung von Punkt-zu-Punkt-Verbindungen einerseits die Transparenz über Schnittstellen erhöht. Andererseits wird die Anzahl an Abhängigkeiten deutlich reduziert, wodurch Systemablösungen vereinfacht werden.
Wertgetriebene Umsetzung einer bimodalen IT
Trotz des Einsatzes einer Integrationsschicht ist die Anbindung der einzelnen bereits bestehenden Systeme an den ESB mit Aufwänden verbunden. Um die Komplexität dieses Unterfangens zu steuern, sollte die Umsetzung einer bimodalen IT idealerweise phasenweise erfolgen (siehe Abbildung 3). So erhebt die bimodale IT nicht den Anspruch, die gesamte IT-Landschaft im Rahmen einer ganzheitlichen Transformation gleichzeitig auf den bimodalen Betrieb umzustellen.
Für die praktische Umsetzung empfiehlt sich ein iteratives und wertgetriebenes Vorgehen. Dabei werden die Systeme nacheinander und gezielt an den ESB gekoppelt. Es ist angeraten, mit den Altsystemen zu starten, deren Funktionalitäten für die innovativen Anwendungen an der Kundenschnittstelle am dringendsten benötigt werden. Die Vorteile des skizzierten Vorgehens im Zusammenspiel mit der bimodalen IT liegen insbesondere in den geringen Einschränkungen auf den operativen Betrieb.
Fazit und Ausblick
Die bimodale IT beschreibt ein ganzheitliches Konzept zur Erhöhung der Flexibilität und Geschwindigkeit der Unternehmens-IT bei gleichzeitiger Wahrung des Sicherheits- und Effizienzbedürfnisses der bestehenden Systeme. Das Konzept zeichnet sich dadurch aus, dass der Druck, bestehende Systeme abzulösen, reduziert wird und Neuentwicklungen kurzfristig realisiert werden können.
Ermöglicht wird der dargestellte Trade-off durch die Separation der bestehenden Systeme und den zu entwickelnden innovativen Anwendungen und Produkten. Eine Integrationsschicht übernimmt dabei die Synchronisation zwischen beiden Welten und stellt die Funktionalitäten aus den bestehenden Systemen den neuen Anwendungen über definierte Schnittstellen zur Verfügung.
Insbesondere für die Versicherungswirtschaft, die sich durch ihre oft veralteten Systemlandschaften auszeichnet, stellt die bimodale IT ein Lösungskonzept dar, um den zahlreichen Anforderungen der Digitalisierung und Regulatorik gerecht zu werden. Nachdem einige Versicherungsunternehmen bereits erste Gedankenspiele zur Umsetzung einer bimodalen IT angestellt haben, gilt es nun jedoch, die praktische Umsetzung voranzutreiben.
Bei diesem Artikel handelt es sich um eine gekürzte Version des unter dem Titel „Wie Versicherer der Digitalisierung mit einer bimodalen IT gerecht werden können“ erschienen Beitrags aus der Zeitschrift für Versicherungswesen (08/2017).
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