„Stopp und Wiederaufnahme des Projekts“ – der vordergründig einfache Relaunch
Die Option „Stopp und Wiederaufnahme“ ermöglicht die am weitesten gehende Neustrukturierung eines Projekts, ist aber nur realisierbar bei fehlendem zeitlichen Druck. Hier kann das Projekt geordnet zurückgefahren, der Wiederanlauf sorgfältig vorbereitet und ebenso geordnet das Projekt wieder hochgefahren werden.
Die Herausforderungen an den Stopp und Wiederaufnahme des Projekts sind in der folgenden Abbildung dargestellt.
Dokumentation von Ergebnissen und Vorbereitung für den Wiederaufsatz
Für die Dokumentation ist sehr oft weiteres Budget aufzuwenden, damit diese für Dritte verständlich, nachvollziehbar, vollständig und wiederverwendbar ist. Die erwarteten Ergebnistypen der Dokumentation müssen klar formuliert und inhaltlich zum Herbeiführen eines wieder aufsetzbaren Zustands beschrieben sein. Ist dies nicht möglich, sollte auf Wiederverwendung von Lösungsbausteinen und Ergebnisobjekten verzichtet werden.
Analyse der Wiederverwendbarkeit von Lösungsbausteinen und Ergebnisobjekten
Auch hier ist ein zusätzliches Budget bereitzustellen, um die Analyse von einem neutralen Review-Team (beispielsweise aus Know-how-Trägern bzw. Key-Ressourcen) durchzuführen. Dabei werden u. a. bereits bestehende Testergebnisse, Code-Inspektionen und Einschätzungen verwendet. Das Review-Team sollte sich günstigenfalls schon aus den Reihen der zukünftigen Wiederaufsetzer rekrutieren.
Verfügbarkeit von Key-Ressourcen und Weitergabe von aufgebautem Know-how
Die Ermittlung der Key-Ressourcen ist der entscheidende Schritt, um einerseits Transparenz zu schaffen und andererseits durch Kommunikation an die Betroffenen das Commitment beiderseitig frühzeitig einzuholen. Nun gilt es, diese Key-Ressourcen zu halten, indem das Budget bereitgestellt wird und die Wartezeiten durch Einsatz und Wiederverwendung beispielsweise in den Rüstzeiten minimiert werden.
Minimierung der Rüstzeiten und der zeitlichen Terminverschiebung
Für das Herunterfahren und Hochfahren des Projekts (Rüstzeiten), sowie für die Ruhezeit bzw. Vorbereitung des Wiederanlaufs ist eine stringente Planung erforderlich. Dies erfordert eine frühzeitige Einbindung und Abstimmung mit den Projektsponsoren und weiteren Stakeholdern.
Bewältigt man diese Herausforderungen, ergeben sich folgende Vorteile aus diesem Vorgehen:
- Minimierung von „sunk costs“
- Geordneter, strukturierter Wiederaufsatz
- Einfacher Wechsel auf neue Strukturen und Prozesse
- Minimierung der Interimsprozesse zur Kurskorrektur
„Stopp und die Wiederaufnahme des Projekts“ scheint damit vom methodischen Ablauf vordergründig einfach umsetzbar zu sein. Bei näherer Betrachtung der daraus entstehenden Herausforderungen zeigt sich jedoch, dass insbesondere die Abstimmung mit den Stakeholdern und das Halten der Key-Ressourcen-Verfügbarkeit über Ruhezeiten hinweg eine herausfordernde Übung darstellt.
„Fortführung und Umbau des Projekts“ – die komplexe Form des Relaunchs
In Großprojekten mit hoher personeller Besetzung und einer Vielzahl von Arbeitspaketen ist ein vollständiger Stopp eher unrealistisch, da die in Kauf zu nehmende Terminverschiebung – beispielsweise durch entstehende Rüstzeiten – nicht akzeptabel ist. Schließlich sind Verträge mit externen Mitarbeitern einzuhalten, eigens für das Projekt abgestellte interne Mitarbeiter produktiv zu beschäftigen und eine Gefährdung von aktuell zu erstellenden Ergebnisobjekten zu verhindern. Angesichts dieser Umstände kann ein Umbau während des laufenden Projekts geboten sein.
Die Herausforderungen für den Umbau während des laufenden Projekts werden im Folgenden erläutert.
Zeitweise paralleler Betrieb von Projektstrukturen
Aufbau der neuen und Weiterbetrieb der alten Projektstruktur kann aufgrund entsprechender Meilensteine zunächst teilweise oder auch zeitlich versetzt erfolgen. Der dadurch eventuell notwendige parallele Betrieb von Projektstrukturen ist zu minimieren.
Mix von neuen und alten Prozessen, Ergebnissen für einen Übergangszeitraum
Mit dem Ziel eines möglichst sanften Übergangs in neue Prozesse und Ergebnisse macht es häufig Sinn, nicht alle anzupassenden Prozesse gleichzeitig durch neue Prozesse zu ersetzen. Der Umbau hat den Leitlinien „das Wichtigste zuerst“ und „Anpassung vor Ersatz“ zu folgen.
Betrieb unnötiger Interimskonstrukte
Der Schritt auf die neue Verfahrensweise, den neuen Prozess oder auch die neue Organisation sollte möglichst in einem Zug durchgeführt werden. Die Interimskonstrukte zur Unterteilung dieses Schritts müssen auf ein Minimum reduziert werden.
Ausphasen von Projektmitarbeitern und Rückfall in alte Verhaltens- und Vorgehensweisen
Ein Auswechseln von Programm-, Projekt- oder Teilprojektleitern genügt oft nicht, um das Beharrungsvermögen auf alte Verhaltens- oder Vorgehensweisen einzureißen. Trotzdem muss die weitere Verfügbarkeit von Key-Ressourcen und Know-how-Trägern gewährleistet sein.
Analyse der Wiederverwendbarkeit von Lösungsbausteinen/Ergebnisobjekten
Die Kunst ist hier, die Balance zwischen Belastung der Know-how-Träger durch die Analyse und weiterer Umsetzung zu finden. Neben den rein inhaltlich orientierten Themen gilt es auch noch, emotionale Themen – wie beispielsweise eine empfundene Bewertung der bisherigen Arbeit durch ein unabhängiges, neutrales Analyseteam – in Einklang zu bringen.
Erhöhter Kommunikationsaufwand und aufwendiger Entscheidungsbedarf
Während der weiter laufenden Umsetzung werden sehr oft Änderungen als störend empfunden. Der Kommunikationsaufwand zur Erlangung der Einsicht in die Notwendigkeit der Änderung ist sehr zeitaufwendig. Zu treffende Entscheidungen, die sich weder auf den Umbau, noch primär auf den Projektfortschritt beziehen, sind ebenfalls zeitraubend und meistens unpopulär. Es gilt, die Prozessabläufe und die Organisationsstruktur des Projekts, beispielsweise durch Aufstockung der Ressourcen, effektiv auszurichten.
Werden diese Herausforderungen erfolgreich gemanagt, so entstehen folgende Vorteile:
- Minimierung der zeitlichen Terminverschiebung
- Vermeidung eines Wissens- und Informationsverlusts
- Schutz bestehender Lösungskomponenten und Ergebnisobjekte
- Beibehaltung der Projektkontinuität
- Vermeidung eines zeitaufwendigen Erklärungsbedarfs nach innen (Projektteam) und nach außen (Unternehmen, Markt)
- Effektive Nutzung bereits bestehender Kommunikationswege mit den Stakeholder
- Einhaltung der Verträge mit externen Mitarbeitern und weiterhin Beschäftigung interner Mitarbeiter (keine Rüst- oder Leerzeiten)
Die Migration durch „Fortführung und Umbau“ ersetzt nach und nach die alten Vorgehensweisen, Strukturen und Ergebnisse. Dabei sind natürlich immer wieder die Fragen zu beantworten, welche Personen und Ergebnisse für das Projekt unersetzlich, welche optional und welche herauszulösen sind. Der organisatorischer Parallelbetrieb und die Migration in die neuen Rollen, Prozesse und Ergebnisse im laufenden Projekt sind unausweichlich.
Diese komplexe Form des Relaunchs fordert geradezu eigenständige Teams (PMO und Projekte/Teilprojekte) oder zumindest vollständig ausgefüllte Rollen und Verantwortlichkeiten, die für eine definierte zeitliche Phase für die alte Organisationsstruktur, wie auch die neue Organisationsstruktur, zu betreiben sind.
Fazit
Neben diesen beiden Handlungsoptionen gibt es Varianten und Mischformen. Eine sehr oft angewandte Alternative stellt das gezielte Herunterfahren von Aktivitäten – also ein „Beinahe-Stopp“ – und das Hochfahren mit neuer Struktur (Organisation, Rollen und Inhalte) mit neuen Prozessen dar.
Welche Form oder Variante die beste ist, hängt von den jeweiligen Projektgegebenheiten und vor allem von den Umgebungsfaktoren ab. Da in komplexen Großprojekten die Ursachen der Misere oft gut versteckt sind, sollte die Durchführung des Relaunchs in jedem Fall rollierend geplant werden. Jede gewählte Handlungsalternative, die getroffenen Festlegungen und Zwischenergebnisse sind aufgrund des erzielten Erkenntnisfortschritts immer wieder auf den Prüfstand zu stellen, um den richtigen Kurs beizubehalten oder den Hochseiltanz, diesmal mit Sicherung, zu bestehen.