Großprojekte relaunchen – eine außergewöhnlich regelmäßige Herausforderung (Teil 1)

Wer heute an Großprojekte denkt, denkt an die Elbphilharmonie, Stuttgart 21, den Berliner Flughafen und somit an nicht eingehaltene Zeitpläne, explodierende Kosten, handwerkliche Fehler. Dass es sich angesichts solcher Frustrationen dennoch lohnen kann, Großprojekte nicht scheitern zu lassen, zeigt ein anderes Beispiel: Das Sydney Opera House nahm 14 statt sechs Jahre Bauzeit in Anspruch, kostete 50 statt 3,5 Mio. GBP und wurde anfangs für seine Akustik stark kritisiert. Trotzdem ist das Ergebnis dieses Großprojekts seit Jahrzehnten das stolze Wahrzeichen eines ganzen Kontinents. Getrieben durch regulatorische Anforderungen, einen volatilen Kapitalmarkt, fortschreitende Vernetzung und Digitalisierung sowie nicht zuletzt durch wachsenden Kostendruck nehmen auch in der Finanzbranche Großprojekte einen immer größer werdenden Stellenwert ein. So gilt es, heute und auch künftig Projekte mit zweistelligen Millionen-Budgets zu steuern.

 

Wann ist ein Projekt ein Großprojekt?

Das Budget alleine genügt nicht, um ein Projekt als Großprojekt zu klassifizieren. Vielmehr sind es mehrere inhärente Eigenschaften (s. Abbildung 1), die ein Großprojekt kennzeichnen:

  • Laufzeit länger als zwölf Monate bis zu mehreren Jahren
  • Hoher Bedarf an personellen und finanziellen Ressourcen
  • Hohe organisatorische Komplexität (z. B. Beteiligung mehrerer Unternehmen und Unternehmenskulturen, große Anzahl an Projektmitarbeitern und -betroffenen mit unterschiedlichen Zugängen und Arbeitsweisen; vielschichtige Projektaufbauorganisation und
    -kommunikation)
  • Hohe fachliche und technische Komplexität (z. B. vielfältiges Experten Know-how)
  • Erhebliches Risiko für das Unternehmen aus wirtschaftlicher Sicht und für die Reputation
  • Hohe Bedeutung für das gesamte Unternehmen durch Einbezug des Top-Managements
  • Wesentliche Auswirkungen auf das Unternehmensumfeld und die Unternehmensstrategie
  • Hoher Veränderungscharakter des Projekts
Abbildung 1: Eigenschaften von Großprojekten

So kann gerade die mit der Größe eines Projekts beispielsweise einhergehende überproportionale Steigerung der Komplexität auch während der Projektlaufzeit zu wesentlichen Planänderungen im Sinne des „Teufelsquadrats“ (s. Abbildung 2) führen:

  • Quality: Mängel, die bei Planung nicht abgesehen werden konnten und im Rahmen einer regulären Änderung nicht behoben werden können
  • Scope: inhaltliche Lücken, die durch Vernachlässigung des Zielbilds, gegebenenfalls aber auch durch veränderte Rahmenbedingungen des Regulators entstehen
  • Time: Verzögerungen, die den kritischen Pfad des Meilensteinplans verletzen
  • Budget: Kostensteigerungen, die genehmigte Budgets wegen erforderlicher Mehrarbeiten oder gestiegener Sachkosten übersteigen

So kann gerade die mit der Größe eines Projekts beispielsweise einhergehende überproportionale Steigerung der Komplexität auch während der Projektlaufzeit zu wesentlichen Planänderungen im Sinne des „Teufelsquadrats“ (s. Abbildung 2) führen:

Abbildung 2: Änderungen im Teufelsquadrat

Ein aufgrund solcher Abweichungen vom ursprünglichen Plan notwendiger Relaunch ist damit eher die Regel und nicht die Ausnahme. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden nicht die Frage beantwortet, aus welchen Gründen Großprojekte in Schieflage geraten – vielmehr steht folgende Frage im Mittelpunkt:

Wie können Großprojekte in Schieflage stabilisiert werden?

In der Ausgangssituation hängt das Großprojekt an einem seidenen Faden, das Scheitern ist greifbar nahe und die Unsicherheit aller handelnden Personen ist hoch. Es ist vergleichbar mit einem Hochseiltanz ohne Sicherung – jeden Moment kann der nächste Schritt in den Abgrund führen.

In dieser angespannten Situation eröffnen sich unterschiedliche Handlungsoptionen für die Entscheider:

  1. Stopp und Nicht-Wiederaufnahme des Projekts („Tanz beenden“)
  2. Stopp und Wiederaufnahme des Projekts („Tanz beenden, trainieren und Tanz wieder aufnehmen“)
  3. Fortführung und Umbau des Projekts („Weiter tanzen lassen und gleichzeitig stabilisieren“)
  4. Fortführung des Projekts („Augen zu und durch – weiter tanzen lassen“)

Im Sinne eines Relaunchs sind nur die Optionen 2 und 3 zu behandelnde Varianten, da die Optionen 1 und 4 keine offensichtlichen Herausforderungen an einen Relaunch stellen.

Stabilisierung erfordert Bestandsaufnahme auf Basis „Landkarte PMO-Disziplinen“

Um die Handlungsoptionen in dem spezifischen Kontext des Großprojekts zu interpretieren und anzuwenden, ist der erste und elementarste Schritt die Eruierung des Status quo. Diese einfach klingende Bestandsaufnahme ist jedoch bereits mit besonderen Herausforderungen verknüpft. So ist es erforderlich, dass die Beurteilung unabhängig und unvoreingenommen erfolgt. Weiterhin ist zur Durchdringung der Komplexität eines solchen Projekts ein ganzheitliches Verständnis der fachlichen, organisatorischen, prozessualen und technischen Beziehungen und Abhängigkeiten unabdingbar. Grundlegend ist es ferner, die übergeordnete Zielstellung nicht aus den Augen zu verlieren, um einem „Verlieren im Detail“ oder einer Fokussierung auf Themen mit geringem Erfolgsbeitrag vorzubeugen.

Vor diesem Hintergrund stellt die „Landkarte PMO-Disziplinen“ ein ganzheitliches und erprobtes Rahmenwerk

  • zur strukturierten Analyse, Einordnung des Status quo und
  • zur Neustrukturierung

dar.

Dieses Rahmenwerk umfasst in der Basis acht zentrale Dimensionen, welche sich weiter in verschiedene PMO-Disziplinen aufgliedern lassen (siehe Abbildung 3). Selbstverständlich kann die Landkarte angepasst und erweitert werden, um dem spezifischen Kontext des jeweiligen Projekts adäquat Rechnung zu tragen.

Abbildung 3: Landkarte PMO-Disziplinen

Für eine neutrale Bestandsaufnahme gilt es, alle relevanten Projektaspekte durch Ablaufen der zunächst im Fokus stehenden PMO-Disziplinen zu berücksichtigen (Fokus siehe Abbildung 3).

Die Überprüfung selbst erfolgt inhaltlich, wie im Teufelsquadrat abgebildet, hinsichtlich „Quality, Scope, Time, Budget“ und methodisch durch Sichtung der zur Verfügung stehenden Unterlagen, sowie Interviews mit den unterschiedlichen Stakeholdern. Die anschließende Einwertung wird auf Grundlage von „Best Practice“-Lösungen unter Berücksichtigung eines fundierten methodischen Unterbaus (diverse Vorgehensmodelle und Methoden) durchgeführt.

Die Bestandsaufnahme und Einwertung unter Zuhilfenahme der „Landkarte PMO-Disziplinen“ ist damit von essenzieller Bedeutung für die Entscheidung der zu wählenden Handlungsoption und legt gleichzeitig die Basis zur Neugestaltung, Neustrukturierung für eine erfolgreiche Stabilisierung.

Welche Herausforderungen die einzelnen Handlungsoptionen an alle Beteiligten stellen und welche Erfolgsfaktoren hierbei zu berücksichtigen sind, wird im zweiten Teil der Reihe „Großprojekte relaunchen – eine außergewöhnlich regelmäßige Herausforderung“ behandelt.

Sprechen Sie uns gerne an!

Andreas Scheuermann / Autor BankingHub

Dr. Andreas Scheuermann

Partner Office Frankfurt

Gunter Brinkmann

Senior Manager Office München

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