Die Digitalisierung der weltweiten Versicherungsbranche schreitet mit großen Schritten voran und wesentliche Treiber dieses Megatrends sind InsurTechs. Gestützt auf ein Finanzierungsvolumen von 1,7 Mrd. USD im Jahr 2016 sind sie vielerorts zu ernsten und vielbeachteten Marktteilnehmern erwachsen. Doch InsurTech ist nicht gleich InsurTech. Vom digitalen Makler über Blockchain-basierte Geschäftsmodelle bis hin zur AI-unterstützen automatischen Betrugserkennung – inzwischen drängen verschiedenste Geschäftsmodelle entlang der Wertschöpfungskette der Versicherungsunternehmen an den Versicherungsmarkt und setzen etablierte Anbieter unter Druck.
Allein die schiere Anzahl von InsurTechs macht es schwierig, Transparenz über den Markt herzustellen. So zählt die Unternehmensberatung zeb aktuell über 500 InsurTechs in ihrer internationalen InsurTech-Datenbank. Die Studie der Strategie- und Managementberatung im Jahr 2016 ergab zudem, dass nur jedes siebte InsurTech mehrheitlich bekannt ist, hier vor allem Aggregatoren und digitale Makler. Zudem erschwert die Schnelligkeit der Branche dringend notwendige Transparenz, denn es kommen laufend neue innovative Lösungen auf den Markt. Gleichzeitig verschwinden stetig erfolglose InsurTechs oder verändern ihr Geschäftsmodell.
Definition InsurTechs:
- InsurTechs sind jünger als zehn Jahre,
- erbringen Leistungen des Versicherungsgeschäfts oder unterstützen bzw. ermöglichen diese,
- setzen neue Technologien zur Erzielung einer hohen Kundenzufriedenheit ein
- und zielen dabei auf ein signifikantes Umsatzwachstum ab.
Koordinationsprobleme zwischen Versicherern und InsurTechs
Vor diesem Hintergrund sind Versicherungen kaum in der Lage, nachhaltig tragfähige Entscheidungen für oder gegen einzelne Versicherungs-Startups zu fällen – es mangelt schlicht und einfach an der notwendigen Transparenz. Für sie ist es nahezu unmöglich, die gesamte Bandbreite der aktuellen Digitalisierungstrends und -ansätze zu erfassen. Oft sind nur die bekanntesten InsurTechs auf der Agenda der Entscheider, wobei Bekanntheit nicht zwangsläufig bedeutet, dass diese InsurTechs tatsächlich über die besten Lösungen verfügen.
BankingHub-Newsletter
Analysen, Artikel sowie Interviews rund um Trends und Innovationen im Banking alle 2 Wochen direkt in Ihr Postfach
„(erforderlich)“ zeigt erforderliche Felder an
Markttransparenz hilft nicht nur Versicherungen, sondern auch InsurTechs, da sie den Fokus ihrer Aktivitäten noch stärker auf ihre Produkte legen können. Die Gründer Nikolaus Sühr, CEO von Kasko, und Florian Knörrich, Geschäftsführer von Haftplicht Helden, bestätigen, dass sie einen Großteil ihrer Zeit für Kooperationsanbahnungs-, Marketing- und Sales-Aktivitäten verwenden müssen. InsurTech-Gründer nehmen regelmäßig an Pitches teil, sprechen mit potenziellen Partnern oder nehmen an Kongressen teil. Dies sind ohne Frage wichtige Aktivitäten, doch der Umfang, in dem sich Gründer von hochinnovativen Unternehmen nicht mit ihrem Produkt, sondern mit dem Verkauf beschäftigen, behindert die Entfaltung des vollen Potenzials ihrer Ideen.
Erschwerend kommt hinzu, dass in vielen Versicherungen bisher keine festen Ansprechpartner definiert und/oder (Kooperations-)Prozesse etabliert wurden, sodass InsurTech-Gründer oft in einer Art „Warteschleife“ hängen bleiben, da sie den falschen Ansprechpartner adressieren. Betrachtet man nun zusätzlich den entstehenden Kundennutzen aus der besseren Verfügbarkeit von innovativen und vor allem kundenzentrierten Lösungen, ergibt sich durch die Bewältigung des bestehenden Koordinationsproblems oftmals eine Win-Win-Win-Situation für Kunden, Versicherungen und InsurTechs.
Lösungsansatz mithilfe des InsurTech-Radars
Um auf InsurTechs zuzugehen, sollten Versicherungen einen eigenen, strukturierten Weg finden. Dafür ist es in einem ersten Schritt notwendig, den digitalen Reifegrad der Versicherung zu bestimmen und das Marktumfeld zu analysieren, um Klarheit über den Status quo und den Handlungsbedarf herzustellen. Anschließend können die aktuellen Digitalisierungstrends im Versicherungsmarkt bewertet werden.
Die dafür notwendige Transparenz bietet der InsurTech-Radar von zeb. Dieses Instrument strukturiert InsurTechs anhand einer vereinfachten Wertschöpfungskette bestehend aus Vertrieb, Produkt und Operations (vgl. Grafik 1). Darüber hinaus ist diese Wertschöpfungskette in sieben Marko-Trends aufgeteilt, die aus der digitalen Entwicklung der Versicherungswirtschaft resultieren. Diese Makro-Trends sind wiederum in Sub-Trends nach der Reihenfolge ihrer Entstehung unterteilt. Die äußeren Trends sind in der Branche bereits länger vertreten, während die inneren Trends neue Entwicklungen zusammenfassen, mit denen sich bisher häufig nur einzelne InsurTechs beschäftigen.
Die neueste Entwicklung stellt der Trend Versicherung 2.0 – abgebildet in der Mitte des Radars – dar, bei der Start-ups die Wertschöpfungskette ganzheitlich und in digitalisierter Form abdecken. Bekannte Beispiele für Versicherungen 2.0 sind die US-amerikanischen InsurTechs Lemonade und Oscar. Aber auch in Deutschland gibt es derzeit Bestrebungen für den Aufbau von volldigitalen Versicherungen wie Element, ONE oder Ottonova.
Die Bewertung der Digitalisierungstrends sollte in den drei Dimensionen Potenzial, Umsetzungsaufwand und Reifegrad der Technologie erfolgen. Auf Basis der Bewertungsergebnisse können dann für jeden Trend Handlungsoptionen abgeleitet werden. Diese Handlungsoptionen heißen Act, Think sowie Watch und erfordern ein unterschiedlich starkes Commitment von Ressourcen und Managementattention (vgl. Grafik 2).
Abschließend sollte ermittelt werden, ob und wie InsurTechs zur Unterstützung herangezogen werden können und mit welchen InsurTechs das Gespräch gesucht werden sollte. Dabei sind in der Diskussion mit InsurTechs drei Fragen zu beantworten:
- Was ist das Leistungsversprechen und Differenzierungsmerkmal des InsurTechs und welche alternativen Angebote gibt es?
- Wie ist der Fit zum Geschäftsmodell der Versicherung?
- Welche Ressourcen und Kompetenzen müssen die potenziellen Partner in die Kooperation einbringen?
Durch diesen Ansatz tritt ein klar strukturierter Top-down-Prozess an die Stelle eines häufig ausgeübten, unstrukturierten Vorgehens (vgl. Grafik 3). Die Vorteile liegen darin, dass sich die Zusammenarbeit an der Unternehmensstrategie orientiert, die Partnerwahl transparent und nachvollziehbar wird und das Ergebnis der Partnerwahl ein besseres ist im Vergleich zum unstrukturierten Vorgehen.
Drei ausgewählte Trends des InsurTech-Radars
Analysiert man aktuell den InsurTech-Markt näher, werden drei Trends sichtbar:
1. Die datenbasierte Zielkundenansprache
Dass Big-Data-Analyse schon heute funktioniert, beweist der Trend der datenbasierten Zielkundenansprache. Hierbei werden technische Daten und Kundenmerkmale genutzt, um bestimmte Nutzerkreise zu identifizieren und präziser sowie zielgerichteter anzusprechen. Aus Versicherungsperspektive lassen sich aus dem „digitalen Fußabdruck“ potenzieller Kunden insbesondere Versicherungsbedürfnisse und die Ausprägung des Wunsches nach Absicherung ableiten, um darauf basierend neue Vertriebspotenziale zu heben.
So setzt das InsurTech „Bought By Many“ eine Kombination aus Suchmaschinenoptimierung und Social Media ein, um Nischengruppen zu identifizieren und zusammenzubringen. Gruppen besitzen spezielle Bedürfnisse (bspw. Diabetiker) und stellen gewisse Anforderungen. Bought By Many verhandelt im Namen der Gruppe mit der Versicherungsbranche. Nach Erhalt des Angebots durch den Versicherer können die Gruppenmitglieder die Versicherung abschließen.
In Zukunft wird diese umfassende Analyse von Kundendaten und Risikoparametern in Echtzeit immense Auswirkungen auf die gesamte Wertschöpfungskette der Versicherungen haben. Je früher Versicherungen sich mit den heute bereits vorhandenen technischen Möglichkeiten auseinandersetzen, desto schneller werden sie in Zukunft bahnbrechende Innovationen im Bereich der Big-Data-Analyse adaptieren können.
2. Der präventive Versicherungsservices
Das „Internet der Dinge“ schafft neue Möglichkeiten der Prävention, indem Versicherer zunehmend an die Orte und Lebenssituationen vordringen können, an denen Schäden entstehen. Dies kann z.B. über Wearables im Gesundheitsbereich, Telematik-Lösungen im Kfz-Bereich oder „Smart Home“-Lösungen in der Sachversicherung geschehen. Durch die Unterstützung bei der (Schadens-)Prävention eröffnen Versicherer ihren Kunden einen mehrwertstiftenden Service, der gleichzeitig zu einer Reduzierung der Schadenquote beiträgt.
Das Start-up „Arya“ bietet bspw. ein Tool zur Gefühls- und Verhaltensdokumentation während einer längerfristigen Depressionstherapie an. Es ermöglicht Patienten eine diskrete und einfache Lösung zur täglichen Protokollierung des eigenen Befindens und Verhaltens. Therapeuten können die damit erstellten Protokolle in das eigene System übertragen und als Charts für Patientenanalysen bei Bedarf aufbereiten.
Wearables und Smart-Home-Geräte verkaufen sich bereits millionenfach. Versicherungen sollten die neuen technischen Möglichkeiten nutzen, um beim Kunden präsenter zu sein. Gleichzeitig gewinnen durch die Nutzung präventiver Versicherungsservices beide Seiten: Der Kunde bekommt einen mehrwertigen Service und die Versicherung reduziert ihre Schadenquote.
3. Self-Service-Prozesse
In letzter Zeit kommen immer mehr InsurTechs auf den Markt, die durch Artificial Intelligence (in Deutsch auch künstliche Intelligenz) unterstützte Self-Service-Prozesse anbieten. Mithilfe von Self-Service-Prozessen können Kunden ihre Anliegen unabhängig von Zeit und Ort lösen und werden dabei von AI-Anwendungen unterstützt.
Die AI-Anwendungen analysieren die Kundenanfragen, geben den Kunden Informationen und bereiten eine Auswahl von Lösungen vor. Dabei sollen sie nicht den persönlichen Kundenservice gänzlich ersetzen, doch smarte Self-Service-Prozesse können für den Kunden einen mehrwertigen zusätzlichen und ganztätig erreichbaren Kanal darstellen. Gleichzeitig lassen sich aufseiten der Versicherer Kosteneinsparungen durch Dunkelverarbeitung realisieren.
Ein beispielhaftes InsurTech in diesem Bereich ist „Spixii“, das einen Chatbot entwickelt, mithilfe dessen Kunden Servicefragen stellen, Schadenmeldungen mitteilen oder sich über Produkte informieren und diese in standardisierten Prozessen abschließen können. Dabei wird je nach Kundentyp auf eine besonders verständliche Sprache und Kommunikation geachtet, sodass der Kunde auch ohne persönliche Interaktion ein positives und individuell betreutes Kundenerlebnis hat.
Aktuell ist Artificial Intelligence (AI) auf Start-up- und Tech-Konferenzen weltweit das Thema Nr. 1. Vor dem Hintergrund, dass technische Entwicklungen in der Regel exponentiell verlaufen und die Lernkurve in diesem Thema noch sehr steil ist, ist die Zukunft für AI vielversprechend und die Anwendungsfelder vielfältig: von der Schadensbearbeitung über den Service bis hin zur Kundenberatung.
Fazit und Ausblick
Es steht außer Frage, dass der technische Fortschritt sich weiter beschleunigt und der Grad der Digitalisierung zunehmen wird. Ob InsurTechs nur ein Hype sind oder ob sie die Versicherungsbranche nachhaltig verändern, wird sich erst in der Zukunft zeigen.
Fakt ist, dass Kunden heutzutage immer öfter die Leistungen verlangen, die sie von den GAFA (Google, Apple, Facebook, Amazon) dieser Welt gewöhnt sind. Daher trifft die Akteure eine klassische Make-or-Buy-Fragestellung: Sind die organisatorischen, technischen und finanziellen Kapazitäten vorhanden, um kundenzentrierte Innovationen in dem benötigten Maß eigenverantwortlich voranzutreiben oder wird die Unterstützung von innovativen InsurTechs mit weitreichenden technologischem Know-how und klarem Kundenfokussierung benötigt?
In vielen Fällen geben InsurTechs den nötigen Impuls zur digitalen Veränderung, denn sie bieten nicht nur technische Innovationen, sondern bringen auch eine neue und frische Kultur mit. Zwar verläuft dies nicht immer ganz konfliktfrei, jedoch können Versicherungen und InsurTechs viel voneinander lernen und dadurch schließlich bessere Leistungen für ihre Kunden erbringen.